Die Frage, ob eine "starke KI" möglich ist, eine KI mit Bewusstsein also, wird z. T. milde belächelt, z. T. aber auch als Dystopie gefürchtet. Statt wilder Spekulationen plädiert der verlinkte Bericht für einen empirisch fundierten Ansatz zum Thema KI-Bewusstsein. Bestehende KI-Systeme werden dabei im Lichte der am besten unterstützten neurowissenschaftlichen Theorien zum Bewusstsein bewertet. Aus diesen Theorien werden "Indikatoreigenschaften" des Bewusstseins abgeleitet, die es erlauben, KI-Systeme nach diesen Eigenschaften zu bewerten und zu extrapolieren, wie zukünftige Systeme sie implementieren könnten. Die Autor:innen kommen zu dem Schluss, dass zwar kein aktuelles KI-System über Bewusstsein verfügt, aber auch, dass es keine offensichtlichen technischen Hindernisse für die Entwicklung von KI-Systemen gibt, die diese Indikatoren erfüllen. Ob die Indikatoren notwendige oder (in Kombination) hinreichende Kriterien für Bewusstsein sind, bleibt für meinen Geschmack in dem Artikel zu vage. - hhp

Die Wissenschaftsjournalistin Sonja Kastilan nimmt das jüngst in Science veröffentlichte neue Referenzgenom des Menschen genauer unter die Lupe. Die von der Human-Genom-Organisation und Craig Venter vor 20 Jahren medial gefeierte vermeintlich vollständige Entzifferung des Humanerbgutes erwies sich als durchaus ergänzungsbedürftig. Erst jetzt konnten die zahlreichen Unvollständigkeiten weitgehend abgearbeitet werden. Auch habe man gelernt, dass die DNA-Sequenz allein längst nicht alles enthält; daher hätten die Wissenschaftler des neuen Referenzgenoms auch epigenetische Daten mitgeliefert. Aber auch das sei noch nicht das Ziel. Dazu gehöre das menschliche "Pangenom" über die Vielfalt der gesamten Menschheit und die Berücksichtigung vormenschlicher Genome, will man denn das evolutive Erbe verstehen. Ein angenehmer Artikel, der keine Sensationen aufbauscht, sondern seriös in die wissenschaftliche Entwicklung einordnet. - hhp

Dem protestantischen Theologen Werner Thiede zufolge wird der Mensch im Transhumanismus (anders als beim Posthumanismus) nicht abgeschafft, sondern technisch und digital überstiegen - eine Superintelligenz nicht ausgeschlossen. Thiede erwähnt TheologInnen, die dem Transhumanismus freundlich gegenüberstehen (wie Caroline Helmus, siehe in diesem Forum www.forum-grenzfragen.de/transhumanismus-der-neue-unter-gang-des-menschen/), oder ihn als reduktionistische Anthropologie (Johannes Hoff: www.forum-grenzfragen.de/transhumanismus-als-symptom-symbolischer-verelendung/) verurteilen. Thiede selbst moniert am Transhumanismus die technische Ablösung Gottes, die allenfalls auf ein innerweltliches Jenseits ziele. Es gelte daher die transhumanistischen Erlösungsphantasien zu entzaubern. hhp

Der katholischer Priester, Biologe und Gründer des Instituts für Theologische Zoologie, Rainer Hagencord, tritt für eine erhöhte Sensibilität gegenüber Fleischkonsum und Tierethik ein. Er beklagt, dass die heutige Theologie die Tiere weitgehend vergessen habe, obwohl sie in der Bibel eine wichtige Rolle spielten. Der Mensch-Tier-Dualismus, der seine Begründung in großen Teilen in der Aufklärung erfuhr, müsse zugunsten der Tiere überwunden werden. - lm

Wer dachte, dass Religion und Theologie so etwas wie ein Monopol auf die Themen Trauer, Sterben, Tod und Transzendenzbezug hätten, der irrt sich. Neuerdings wagt sich Künstliche Intelligenz ebenfalls in diesen Bereich vor. Programmierte und selbstlernende Algorithmen machen es möglich, eine Art digitale Unsterblichkeit zu kreieren, um nach dem (physischen) Tod mit Verstorbenen in Kontakt zu treten. Damit eröffnen sich ungeheure Möglichkeiten, die ebenso vielversprechend wie unheimlich sein können und Theologie und Ethik vor neue Herausforderungen stellen. - lm

Wenn man sich in der Gesellschaft umschaut, gewinnt man den Eindruck, dass die Relevanz von Religiosität von Mensch zu Mensch sehr variieren kann. Warum ist Religion für die einen existentieller Bestandteil ihres Lebens, während er für andere Bedeutungslos ist? Diese Frage beschäftigt nicht nur Theologen, sondern seit einiger Zeit auch Naturwissenschaftler. Neurospiritualität heißt einer dieser Bereiche, in dem Forscher vor Kurzem interessante neue Erkenntnisse gewonnen haben. Sie entdeckten im Gehirn eine weitere Region, die für Religiosität und Spiritualität verantwortlich ist. Auch religiöses Empfinden hat somit eine naturwissenschaftlich-biologische Dimension. Die neuen Erkenntnisse sprechen dafür, dass man mit Rückgriff auf die Religion bestimmte Ressourcen im Menschen aktivieren kann, beispielsweise altruistische Einstellungen, aber auch unsoziales Handeln oder extremistische Positionen können unter bestimmten Umständen mit religiösen Motiven begründet werden. Darüber hinaus lässt sich darin ebenfalls eine Antwort finden, warum es so viele individuelle und verschiedene Ausprägungen von Spiritualität und Gebetsformen gibt. Genauso, wie nicht alle Menschen denselben Musikgeschmack haben, sind die Vorlieben auch im religiösen Bereich verschieden. - lm

Der Titel offenbart schon die Marschrichtung des Deutschlandfunkbeitrags: Die Naturwissenschaften werden gegen Bibel und Theologie ins Feld geführt. Selbst wenn mit dem Kirchenhistoriker Hubert Wolf ein Theologe zu Wort kommt, entspricht die Darstellung für meinen Geschmack nicht dem status quo und ist viel zu unterkomplex. So weiß man nie so recht, ob Wolf einen historischen Konflikt (den es ja zweifellos gegeben hat) oder einen gegenwärtigen beschreibt, zumal seine Aussagen im Präsens formuliert sind: "Deshalb wehrt sich die katholische Kirche massiv gegen das Evolutionsdenken", heißt es dort. Und die päpstliche Aussage "Evolutionstheorie ist mehr als eine Hypothese" wird sogleich wieder relativiert durch den Hinweis, dass die Geistseele als unmittelbar erschaffen verstanden werde. Eine Vereinbarkeit von Evolution und Schöpfung wird eher vom Biologen Jürgen Neffe eingebracht, als vom Theologen Wolf. Immerhin gesteht er der Kirche Wissenschaftsfreundlichkeit beim Klimawandel zu. Hier sind wieder einmal Chancen zur Versöhnungsarbeit verspielt worden. - hhp

In dem Interview bedauert Simone Horstmann bei der klassischen Theologie die "strukturelle Ausblendung der Tiere ... zugunsten des Menschen". Die Heraushebung des Menschen aus der Mitwelt müsse jetzt mit ökologischen Kosten bezahlt werden. Daher trage die Unterscheidung Mensch-Tier nicht mehr, und die großen Differenzen müssten aufgebrochen werden. Erst dann könne man vom Beherrschen zum Verstehen der Tiere übergehen. Durch die Tiere könne man die Vorstellung der Pyramide mit dem Menschen an deren Spitze überwinden, so dass Tiere zu Freunden werden können. Auch einen Himmel ohne Tiere kann Horstmann sich nicht vorstellen: "Wenn Tiere am Ende nicht zählen, können wir aufhören, schöne Reden von der Schöpfung zu schwingen". - hhp

In Kalifornien haben Wissenschaftler Embryonen aus Affen- und Menschenzellen erzeugt. Angezielt seien keine ausgewachsenen Chimären, sondern die Möglichkeit, menschliche Organe in Tieren herzustellen. Die Experimente würden als Grundlagenforschung zur Untersuchung früher Entwicklungsphasen eingestuft, für Organzüchtung im größeren Stil böten sich eher Schweine an. Der Artikel weist noch auf die ethische Brisanz von Frühembryonen mit pluripotenten menschlichen Zellen hin, von Zellen also, aus denen sich sämtliche Zelltypen, wenn auch kein gesamter menschlicher Organismus entwickeln könnten. - hhp

Dieser anlässlich der dritten Coronawelle von Hildegund Keul verfasste tiefgründige Artikel hat auch in der vierten Welle nichts an Aktualität verloren, ganz im Gegenteil. Mehr denn je gilt: "Das Virus legt die Menschheit in ihrer Verwundbarkeit bloß". Für das Thema Verwundbarkeit, Vulnerabilität, ist Keul einschlägig - längst vor der Pandemie. Aber mit der Pandemie wird die Vulnerabilität zu einem neuen "Dispositiv". Gemeint ist damit (nach Michel Foucault) eine Sammlung von Wissen und Maßnahmen, die auf einen Notstand antwortet. So gibt "das Vulnerabilitätsdispositiv ... Antwort auf den Notstand der Pandemie". Gerade weil nun "Vulnerabilität zu den Kernthemen der Theologie gehört", könne diese Entscheidendes zur Pandemie beitragen. Am Kreuz Jesu hat sich gezeigt, dass Verletzlichkeit nicht nur destruktiv sein muss, sondern auch konstruktiv sein kann. Weil dort jemand bereit war, die eigene Verwundbarkeit für andere zu wagen, "geschieht Lebensgewinn durch Lebensverlust". Keul benutzt hier den Begriff der Selbstverschwendung (vgl. die Redewendung "Gottes Liebe ist verschwenderisch"), wenn sie abschließend benennt, "was die Pandemie dringend braucht: Keine Empörungsrhetorik, sondern die Bereitschaft, sich selbst und die eigenen Rituale zum Wohl einer Gemeinschaft zu verschwenden". - hhp