Nicht mit der Schere laufen – ?! Teil 1

Neben Therapie und "Enhancement" sind Wissenschaftler an verschiedenen weiteren Anwendungen des Genome Editing interessiert. Knockout-Mäuse, Krankheitsmodelle, Xenotransplantation und epigenetische Modifikation werden erst jetzt möglich. Teil 1 eines Artikels, der das Genome Editing näher vorstellt.

Von neuen Methoden des Genome Editing heißt es, dass sie "eine neue Ära in der Molekularbiologie" einläuten. Auch außerhalb der Fachwelt der Genetik werden neue Verfahren der Genmodifikation als epochemachend ("transformative") [1] bezeichnet. Es hat den Anschein, dass sich durch ihren Einfluss gängige soziale Praktiken wandeln und typische Denkformen verändern werden. Aufgrund seiner enormen Bedeutung ist ein angemessenes Verständnis des Genome Editing hilfreich - wie funktioniert die Prozedur und wozu dient sie? Zu Beginn dieses Blogs beschreibt dieser Post CRISPR und das Genome Editing für Laien.

 

CRISPR/Cas9 ist die Speerspitze neuer Entwicklungen des Genome Editing. Es handelt sich um eine chemische Substanz, die für bestimmte Anwendungen im Labor maßgeschneidert wird. Dass die Bestandteile von CRISPR/Cas9 außerordentliches Potential haben, wurde 2011 entdeckt, und 2014 war geradezu eine Flut von Experimenten und wissenschaftlichen Studien zu verzeichnen, die dieses Potential ausloten. Man sprach sogar von einem Nobelpreis für die ursprünglichen Entdecker. Diese Hoffnung ist unerfüllt geblieben - vielleicht aufgrund von einem milliardenschweren Rechtsstreit um Patente -, und so mussten zwei Protagonistinnen mit den 3 Millionen US-Dollar vorlieb nehmen, die beide jeweils mit dem so-genannten "Breakthrough Prize" erhielten. Das CRISPR-Verfahren wurde indessen noch nicht an Menschen angewendet, doch es wurden bereits Schritte unternommen, um das zu ändern. Vergleichbare Genome-Editing-Verfahren kamen allerdings bereits in der Humanmedizin zum Einsatz. Dabei geht es um chemische Substanzen, die ZFNs und TALENs heißen. Die letzte kam erfolgreich im Kampf gegen die Krebserkrankung von zwei Kleinkindern zum Einsatz [2].

 

CRISPR dagegen ist chemisch deutlich simpler, billiger und effizienter. Im Wesentlichen funktionieren CRISPR und Äquivalente wie Präzisionsscheren, die einen DNA-Strang an präzise definierten Positionen durchschneiden. Zwar konnte man schon zuvor ein neues DNA-Stück in einen bestehenden DNA-Strang eines Organismus' einfügen. Eine solche Einfügung macht nun aber unwesentlich mehr Sinn, da man neuerdings gezielt Schnitte vornehmen kann - und zwar mit einem Präzisionsgrad, der zwischen einzelnen Nukleotiden unterscheidet. Hier geht es bereits um technische Fragen, die genauere Betrachtungen in der Genetik erforderlich machen. Diese Fragen wird ein späterer Blog-Post behandeln, der den 2. Teil dieses Textes bilden wird. Hier werde ich mich zunächst der Frage widmen, wozu man Genome Editing einsetzen kann.

 

Ein entscheidender Grund, weshalb Genome Editing so große Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist, dass Wissenschaftler nun Krankheiten therapieren können, die auf einem irregulären Gen beruhen. Das Gen mit der Fehlfunktion lässt sich nun "redigieren" - im Englischen "to edit". Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit ein Prozent aller Neugeborenen von einer Erkrankung betroffen sind, die eine eng umschriebene genetische Grundlage hat, etwa Sichelzellenanämie, Haemophilie (Bluter) or zystische Fibrose (Mukoviszidose). Außerdem lassen sich bestimmte Formen des Krebs mit Genome Editing therapieren [2], und die Prozedur steht im Zentrum neuer Versuche, HIV zu bekämpfen. So hat etwa ein chinesisches Labor versucht, menschliche Embryonen HIV-resistent zu machen. Dafür hatte man Embryonen gewählt, die von vornherein nicht überlebensfähig waren, die aber auch nicht HIV-infiziert waren, und diese Versuche haben in der internationale Forschergemeinschaft Skepsis gegenüber einem schnellen Vorpreschen hervorgerufen.

 

Über die Therapie hinaus verhilft die Technologie Wissenschaftlern zu einem besseren Verständnis, welche Rolle bestimmte Gene überhaupt in einem Organismus spielen. Das Genome Editing bietet die Möglichkeit, Gene gezielt und zuverlässig "auszuknocken", also funktionsunfähig zu machen. Das Resultat dessen lässt dann Rückschlüsse auf die ursprüngliche Funktion des Gens zu. Typischerweise verwendet man hier Mäuse ("Knockout-Mäuse"). Aber den Forschern geht es vorrangig um den menschlichen Organismus, und so erläutert John Parrington, dass mit dem Genome Editing die Verwendung von Organismen zunehmen wird, die dem Menschen ähnlicher sind, etwa Affen, wobei Menschenaffen von besonderen Interesse sind (vgl. auch diesen Beitrag zum Thema Gentechnik und Tierversuche, der sich aber nicht speziell auf das Genome Editing bezieht).

 

Außerdem lassen sich mit dem Genome Editing Mäuse und andere Tiere besser so modifizieren, dass sie menschliche Krankheiten imitieren, also als Krankheitsmodelle fungieren. Damit können Forscher Einblicke in therapeutische Möglichkeiten gewinnen - vielleicht sogar bis zu einer Spezifität der Gene eines einzelnen Individuums.

 

Die Modifikation von Tieren kann aber nicht nur durch die "Sabotage" eines intakten Organismus zu neuen Erkenntnissen verhelfen. Mit dem Genome Editing machen sich Forscher und Pharmafirmen daran, Gewebe und sogar menschliche Organe in anderen Organismen zu züchten, die dann zur Transplantation im Menschen "geerntet" werden (die so-genannte Xenotransplantation aus einer Chimäre). Aufgrund von ethischen Bedenken hat die US-amerikanische Regulationsbehörde (NIH, National Institutes of Health) diesen Projekten öffentliche Forschungsgelder entzogen, und aus wissenschaftlicher Sicht ist noch bedeutender Aufwand nötig, um diese Projekte in die Reichweite medizinischer Praxis zu bringen. Gegenwärtig hat ein Pavian ein Jahr lang mit einem Herz überlebt, das in einem Schwein gezüchtet wurde. Einzelne gezielte, große Investitionen in diese Forschungsrichtung haben sich kürzlich auf über 60 Millionen US-Dollar belaufen.

 

Wiederum eine andere Anwendung des Genome Editing richtet sich nicht auf die Modifikation der DNA-Nukleotide selbst, sondern derjenigen chemischen Komponenten, die der Organismus auf die DNA aufsetzt, um die Funktion der DNA zu regulieren. Einerseits codiert ein DNA-Abschnitt eine Aminosäure-Sequenz, die dann ein Protein bildet, das einen Teil des Organismus bildet. Andererseits kalibriert der Organismus den Wirkungsgrad, mit dem die DNA zur Anwendung kommt, auf andere Weise als die Übersetzung der einfachen DNA. Hier werden zusätzliche Moleküle auf den entsprechenden DNA-Abschnitt aufgepfropft ("Methylisierung", Epigenetik). Es geht hier also nicht um die Zusammensetzung der DNA selbst, sondern darum, in welchem Maße der Organismus die DNA in Proteine umsetzt. Auch hier besteht der Wunsch, therapeutisch im Organismus einzugreifen. So legen Studien nahe, dass andauernder Stress in der Kindheit die Art und Weise modifizieren kann, auf die der Körper DNA umsetzt und Stresshormone produziert. Das kann dann zu einer umso sensiblererStressreaktion führen, sogar einer Depression [3].

 

Bei der Beschreibung dieses epigenetischen Einflusses, den die Erfahrungen auf spätere Generationen haben kann, haben sich Journalisten einer biblischen Ausdrucksweise bedient: Die "Sünden der Väter"werden an ihren Kindern heimgesucht. Tatsächlich sind epigenetische Veränderungen erblich. Damit lässt sich erklären, dass Menschen, deren Eltern die Konzentrationslager der Nazis oder den Hungerwinter 1944/45 in den Niederlanden überlebt haben, selbst außerordentliche Eigenschaften zeigen, die zu diesen Erfahrungen ihrer Eltern passen, in einer anderen Lebenssituation aber Beschwerden bedeuten können.

 

Apropos biblische Ausdrucksweisen ("die Sünden der Väter"): im biblischen Buch Hesekiel findet sich die Prophezeiung, dass Gott das Prinzip der Sippenhaft nicht mehr anwenden werde. Das Sprichwort: "Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Söhnen werden die Zähne stumpf" solle nicht mehr gelten. Hier solle also keine Vererbung der Schuld mehr stattfinden. Mit dem Genome Editing lässt sich etwas Vergleichbares auf der Ebene der Genetik vollziehen - wobei allerdings einige theologische Einschränkungen zu machen sind [4]. Die Vererbung erworbener Merkmale ließe sich also mit CRISPR rückgängig machen.

 

Schließlich wird CRISPR oft im Enhancement-Diskurs genannt, in dem es darum geht, wie das Genome Editing einem gesunden Menschen neue körperliche Fähigkeiten bescheren könnte. Der Genetiker George Church spricht davon, wie bestimmte Genmodifikationen zu besonders festen Knochen, minimierten Körperausdünstungen und einem verminderten Erkrankungsrisiko führen können. Bei Nagetieren wurden so etwa ein leistungsfähigeres Gedächtnis, eine höhere Lebenserwartung, eine bereicherte Farbwahrnehmung, spontane Regeneration von Gewebe sowie genetisch verstärkte eheliche Treue hervorgerufen. Genetisch verstärkte Treue - das ist die Gen-Editing-Variante der Ansicht, dass "ein Nasenspray die Beziehung festigen kann." Oder hat jemand vielleicht Interesse an der Fähighkeit zur Nachtsicht einer Eule, an körpereigener Photosynthese oder der Wiederherstellung der genetischen Grundlagen zur körpereigenen Vitamin-C-Produktion? In einem anderen Beispiel modifizierte das inzwischen eingestellte Medikament Repoxygen ein Gen, was zu einer erhöhten Ausschüttung des Hormons Erythropoietin führte (EPO). Intendiert als Anaemie-Therapie würde das einem Athleten zudem größere Ausdauer verleihen ("Gen-Doping").

 

Ist also die Modifikation des Genoms mit CRISPR eine gute oder schlechte Idee? Die Übersicht über die verschiednen Möglichkeiten zeigt, dass die Frage sich so einfach nicht beantworten lässt. Mit dieser Präzisions-Schere könnte man in die verschiedensten Richtungen laufen. Überdies ist diese Metapher zu überdenken. Es handelt sich um einen "dichten Begriff" - ihn so zu verwenden, heißt bereits, die Technologie zu bewerten. Als Beurteilung der Technologie ist der Titel dieses Posts aber nicht gemeint. Ist also die Genmodifikation zu empfehlen? In welchem Kontext, mit welcher Absicht? Weshalb ja, weshalb nein? Welche Anwendungsmöglichkeiten sind hilfreich, und wie ließen sich die Praktiken in den Laboren auf sinnvolle Weise beschränken?

 

Bevor dieser Blog sich diesen Fragen zuwendet, wird ein zweiter Teil dieses Posts in etwas größerem Detail auf die technische Seite der Genmodifikation eingehen. Das mag kompliziert klingen - wahrscheinlich komplizierte, als es tatsächlich ist -, doch die technischen Möglichkeiten sind bedeutsam dafür, wie wir sie aus ethischer Sicht bewerten.

 

Anmerkungen

1

"Genome editing: An ethical review" des Nuffield Council on Bioethics, S. 21

2

"World first use of gene-edited immune cells to treat 'incurable' leukaemia" , "Cellectis hails success in ridding British infant of cancer"

3

Vgl. das TV-Interview mit Elisabeth Binder und die Studien "Implication of sperm RNAs in transgenerational inheritance of the effects of early trauma in mice", "Youth offspring of mothers with posttraumatic stress disorder have altered stress reactivity in response to a laboratory stressor"

4

Aus theologischer Perspektive ist die Analogie zwischen unangenehmen oder schädlichen biologischen Effekten einerseits und dem theologischen Begriff der Sünde ("in der Epigenetik geht es um den biologischen Sinn, in dem die Sünden der Väter an den Kindern heimgesucht werden") korrekturbedürftig. Theologisch gesprochen ist nicht alles, was wenig wünschenswert ist, Sünde, und andersherum kann ein positiv besetztes Verhalten ein Kandidat für Sünde sein kann. Aus theologischer Sicht liegt es außerdem außerhalb menschlicher Reichweite, die Verbindung zwischen der Sünde und den schädlichen Konsequenzen zu zerbrechen.

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