Nicht mit der Schere laufen – ?! Teil 2

Der erste Teil dieses Posts beschreibt, zu welchem Zweck Forscher das Genome Editing gerne einsetzen möchten. Was noch fehlt, ist ein Blick "unter die Motorhaube" des Genome Editing selbst. So soll es hier darum gehen, welcher Wirkmechanismus sich hinter CRISPR-Cas9 verbirgt, was auf einem CRISPR-Beipackzettel zu "Risiken und Nebenwirkungen" stehen würde, aber auch um das umstrittene Thema der Modifikation embryonaler DNA.

Leute Rennen mit Schere in der Hand

DNA in einer Zelle "verklappen": Gen-Therapie

Vor dem Genom-Editing gab es bereits die Möglichkeit, ein Stück DNA in das Genom eines Organismus' einzufügen. In einem Krankenhaus in Paris zum Beispiel wurden in den 1990-ern Kinder mit einer Krankheit namens “severe combined immunodeficiency” (SCID) behandelt. Da eine genetische Unregelmäßigkeit ihre weißen Blutkörperchen beeinträchtigte, war ihr Immunsystem insgesamt lahmgelegt. Hier griffen die Forscher zur "Gentherapie": Ein Virus wurde im Labor erstellt, das ein funktionales Äquivalent zum defekten Abschnitt in das Genom der Kinder einfügte.

DNA wird durch einen Virus in die Zelle eingeschleust. WikiMedia CommonsDas neue Gen ließ sich jedoch nicht an einer präzise bestimmten Stelle einfügen. Das menschliche Genom ist fein abgestimmt in den Wechselwirkungen zwischen einzelnen Abschnitten. Jeder einigermaßen komplexe Organismus reguliert sich selbst mit raffinierten genetischen Feedback-Schleifen: Durch die Proteine, die sie codieren, haben manche Gene einen Effekt auf andere Gene, die aktiviert, unterdrückt oder anders reguliert werden.

Gen-Therapie hat mindestens 17 SCID-Patienten geheilt, doch drei von ihnen erkrankten daraufhin an Leukämie (Blutkrebs). Daraufhin wurde die Gentherapie eingestellt. Bei den an Leukämie erkrankten Patienten hat die Gentherapie nicht nur die weißen Blutkörperchen "repariert", sondern Unheil in den genetischen Feedbackschleifen gestiftet. Ein willkürliches Einfügen von neuem genetischem Material kann z.B. ein Onkogen aktivieren - ein Gen, das tumorhaftes Wachstum verursacht - oder etwa ein anderes Gen beschädigen, das eine solche Wucherung gerade verhindert. DNA willkürlich in eine Zelle zu "verklappen" ist eine heikle Angelegenheit, denn Organismen sind komplexe Systeme. [1].

Die ersten automatischen Gen-Scheren

Mit der Entwicklung neuer Methoden änderte sich die Lage allerdings. Dazu führten besonders die sogenannten TALENs und ZFNs. In den späten 1990-ern entdeckten Forscher, dass ein bestimmtes Protein, das in bestimmten Bakterien vorkommt, zunächst eine bestimmte DNA-Sequenz ansteuert, um die DNA an diesem Ziel durchzuschneiden [2]. Proteine sind die komplexen Bausteine, aus denen alle Organismen bestehen. Es gibt viele verschiedene Arten davon, je nach Abfolge und Art der Aminosäuren, aus denen sie bestehen. Diejenigen Proteine, um die es hier geht, bestehen nun aus zwei Teilen: Ein Teil erkennt die Ziel-Region der DNA, während der zweite Teil wie eine Schere funktioniert (ein so-genanntes Enzym, eine Art Protein). Man fand daraufhin heraus, dass sich die "Ziel-Einheit" im Labor mit etwas ähnlich Funktionierendem ersetzen lässt. Damit lässt sich praktisch jedes genetische Ziel ansteuern. Das Ergebnis ist eine automatisierte Schere, mit der man ein Ziel ganz nach Wunsch ansteuern kann, um dann einen gezielten Schnitt zu setzen. TALENs und ZFNs sind programmierbare Scheren.

Nun haben Zellen auch ihren eigenen Reparaturservice, der den gebrochenen DNA-Strang wieder zusammenfügt. Doch selbst dieser Mechanismus stellt einen beschädigten Strang oft nicht wieder korrekt her. So hat man durch die Gen-Scheren die Möglichkeit,ein Gen "auszuknocken", auszuschalten. Sowohl TALENs und ZFNs verwenden das Schneide-Enzym der ursprünglichen, zwei-teiligen Bakteriums. TALENs und ZFNs unterscheiden sich aber in dem Protein, das das genetische Ziel ansteuert. ZFNs wurden eher entdeckt, sind aber in einigen Fällen weniger geeignet, während TALENs größere Flexibilität beim Ansteuern der Ziele erlauben.

 

Gen-Therapie + Genscheren = Genome Editing

Diese neuen Genscheren lassen sich auch mit der Möglichkeit kombinieren, ein neues DNA-Stück aus dem Labor in die Zelle einzuschleusen - also mit dem Verfahren, auf dem die Gentherapie beruhte. Die Genscheren schneiden also das fehlerhafte Gen am Anfang und Ende, während das neue Gen, ein Ersatz für das ausgeschnittene Stück, zur Baustelle transportiert wird. Der Selbstreparatur-Mechanismus der Zelle stellt dann eine Verbindung zwischen dem DNA-Strang und dem neuen DNA-Stück her, dort, wo sich das irreguläre Gen befand. Damit wird das neue DNA-Stück eingebaut, und das Genom wurde modifiziert. Damit wurde die alte Gen-Therapie zu einem ganz neuen Verfahren. Aber natürlich bleibt es möglich, eine genetische Sequenz einfach "auszuknocken", bzw. funktionsuntüchtig zu machen, ohne etwas Neues einzufügen. Auch das ist Genome-Editing.

 

Hürden

Obwohl all das wissenschaftlich und technisch einen Fortschritt bedeutet, sind ZFNs und TALENs noch immer "ein relativ unhandliches Werkzeug". Der Ziel-Abschnitt beim Schneiden der DNA variiert zwischen den Individuen, und die Komponente, die auf dieses Ziel eingestellt ist, ist ein Protein. Das bedeutet, dass für jeden Schnitt ein neues Protein maßgeschneidert werden muss.

So befreite ein Londoner Krankenhaus ein Kleinkind mit Hilfe von TALENs von Leukämie. Dazu nahm man eine bestimmte Art von weißen Blutkörperchen (T-Zellen) von einem gesunden Spender. In der Petrischale fügte man diesen Zellen ein Gen hinzu, damit diese Zellen später die Krebszellen des Kindes angreifen. Daraufhin kamen TALENs zum Einsatz, um diese Zellen auf zweifache Weise genetisch zu modifizieren: Sie wurden davon abgehalten, im Körper des Kindes andere Zellen als die Krebszellen anzugreifen, und ferner wurden sie so modifiziert, dass sie nicht ihrerseits von den Leukämie-Medikamenten angegriffen würden. So behandelt, wurden diese Zellen der Patientin injiziert. Tatsächlich reduzierten sie die Anzahl der Krebszellen drastisch, so dass nun eine Knochenmarktransplantation vorgenommen werden konnte. Denn die alten Knochenmarkzellen produzierten Krebszellen und nicht reguläre weiße Blutkörperchen, doch vor der Transplantation mussten die Krebszellen reduziert werden. Für die genetischen Modifikationen der Spenderzellen mussten also zwei Arten von Proteinen hergestellt werden. Sie sind diejenigen Elemente, die die Ziel-Sequenz zum Schneiden der DNA angeben. All das ist sehr aufwendig, da ein Protein ein recht komplexes Gebilde ist, das aus einigen Aminosäuren besteht, die kunstvoll gefaltet sind. Und für jeden Spender von Zellen müssen diese Ziel-Proteine individuell hergestellt werden, womit die Kosten und die Dauer der Behandlung stark ansteigen.

CRISPR/Cas9

Durch die Notwendigkeit, das Ziel des Schneidens zu definieren, wird eine vielseitige Entdeckung deutlich kompliziert. Und hier betritt CRISPR/Cas9 die Bühne. CRISPR/Cas9 ist im Augenblick die Speerspitze der genetischen Forschung.

So wie ZFNs und TALENs besteht auch CRISPR/Cas9 aus zwei Komponenten: eine, die die "Sollbruchstelle" der DNA definiert - das ist CRISPR - sowie eine, die den Schnitt vornimmt - das ist das Cas9-Enzym. Die entscheidende Neuerung besteht jedoch darin, dass CRISPR ein RNA-Molekül ist und kein kompliziertes Protein. RNA ist eine Substanz, die der DNA sehr ähnlich ist. Die Zelle verwendet RNA dazu, DNA zu vervielfältigen oder in Aminosäuren und Proteine zu übersetzen. Damit ist die Steuereinheit von CRISPR/Cas9 beinahe eine 1:1-Kopie der Ziel-DNA und kein komplexes Protein wie bei ZFNs und TALENs. Das vereinfacht die Sache ungemein.

Darüber hinaus kann man CRISPR/Cas9 mit mehreren verschiedenen Ziel-RNAs ausstatten, wodurch mehrere sukzessive Schnitte mit einer rozedur ermöglicht. Das hat sich z.B. als hilfreich erwiesen, als Forscher Schweine-DNA von Spuren befreiten, die von Viren hinterlassen wurden, die typischerweise Schweine befallen. Dabei mussten über 60 DNA-Passagen beseitigt werden. Ziel der Prozedur war es, ein Schwein vorzubereiten, in dem potentielle Spender-Organe wachsen, und wenn diese Organe in einen Menschen transplantiert werden, darf man nicht neue Viren aus dem Schwein in den Menschen importieren. Das Thema Transplantationsorgane von nicht-menschlichen Organismen ("Xenotransplantation") habe ich im ersten Teil dieses Blogs behandelt.

Interessanterweise wird CRISPR ursprünglich von Bakterien verwendet. Hat ein Bakterium einmal einen viralen Angriff überstanden, nimmt es die DNA des Virus in sein eigenes Genom auf. Damit kann das Bakterium das Virus in einer späteren Begegnung leichter wiedererkennen und ist nun auf der Hut. CRISPR kommt z.B. in solchen Bakterien vor, die aus Milch Joghurt und Käse machen. Vermutlich essen Sie also regelmäßig CRISPR! Was natürlich nicht heißt, dass im Joghurt oder in Ihrem Körper Genom-Editing im technischen Sinne passiert.

Weitere technische Schwierigkeiten

Ein Problem mit CRISPR-Cas9 besteht darin, dass es Schnitte an Stellen vornehmen könnte, die nicht in der Ziel-DNA vorgegebemn sind. Man spricht hier von "off-target effects". Natürlich hat jede Medizin ihre Nebenwirkungen. Doch wenn CRISPR-Cas9 je dazu genutzt wird, menschliche Krankheiten zu bekämpfen, bedeutet das die Modifikation von Millionen von Zellen bein einem Patienten. Eine Fehler-Quote von 0,1 % kann dann schon zu hoch sein. Deshalb probieren Forscher Cas9-Varianten im Labor, und es wurden bereits Fortschritte erzielt dabei, off-target-Effekte zu minimieren - vielleicht sogar bis in einen Bereich, der nicht mehr messbar ist.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass zwar das Schneiden präzise sein mag, doch die Verbindung zwischen dem Haupt-DNA-Strang und dem neuen einzufügenden Gen nicht zuverlässig funktioniert. Hier verlassen sich die Forscher auf den Selbtreparatur-Mechanismus der Zelle, dem dann allerdings neues Material untergeschoben wird. Ist dieser körpereigene Mechanismus ausreichend?

Wenn diese Schwierigkeit nicht behoben wird, kann ein Problem namens Mosaizismus auftreten: Ein Organismus mit genetischer Information, die zwischen den Zellen abweicht. Gewiss haben wir sehr viele unterschiedliche Zelltypen,es bleibt aber wesentlich, dass sich die Erbinformation zwischen Haut- und Hirnzellen nicht unterscheidet. Das wäre im Mosaizismus gerade nicht mehr der Fall. Wenn dann also die Zahl der funktionsuntüchtigen Zellen über einem kritischen Wert liegt und der Körper z. B. eine nicht ausreichende Menge eine kritischen Proteins herstellt, oder aber sich die falsche Substanz sich in der Zelle ansammelt, ist die ganze Prozedur gescheitert. Möglicherweise sind auch Wechselwirkungen neuer Art nicht auszuschließen.

Körperzellen und Geschlechtszellen

Eine weitere kritische Frage lautet, in welchem Stadium ein Organismus mit Geom-Editing-Methoden behandelt wird. Sollen genetische Modifikationen den gegenwärtigen Organismus allein betreffen, oder soll die Variation vererbt werden? Der entscheidende Punkt ist der Augenblick, an dem sich Körperzellen und Geschlechtszellen ausdifferenzieren. Bei den Geschlechtszellen handelt es sich um die Eizelle oder die Samenzellen, die sich ihrerseits wieder aus besonderen Zellen entwickeln ("germ line"). Veränderungen an all diesen Zellen sind erblich. Nach einem bestimmten Punkt in der Entwicklung des Embryo entwickeln sich Körper- und Geschlechtszellen auf einer je eigenen Schiene. Schließlich greift der Organismus in der Fortpflanzung auf die Geschlechtszellen zurück, die an die neue Generation vererbt werden. Körperzellen sind dabei aber ausgeschlossen. Wenn also eine genetische Modifikation nicht nur den gegenwärtigen Organismus selbst betreffen soll, sondern auch die folgenden Generationen durch die genetische Vererbung, sind die Geschlechtszellen das Ziel der Modifikation. Dazu müsste man das Genom des Embrzo modifizieren, bevor sich Geschlechts- und Körperzellen ausdifferenzieren. Aus technischer Sicht ist das auch die effizienteste Methode sicherzustellen, dass alle genetischen Modifikationen in einer maximalen Anzahl von Zellen umgesetzt werden.

Um Modifikationen also auch zugleich in die zukünftigen Generationen einzuführen, oder um zu vermeiden, dass sich eine Unregelmäßigkeit im Körper manifestiert, erwägen mehrere Wissenschaftler die Modifikation von Embryonen. Gegenwärtig wird diese Art von Arbeit anscheinend in vier Laboren auf der Welt durchgeführt (in England, Schweden und China). Diese Prozedur wirft weitere Fragen auf, mit denen sich ein späterer Blog-Post befassen wird.

 

Anmerkungen

[1] Die saloppe Formulierung, DNA in einer Zelle zu "verklappen", übernehme ich von John Parrington.

[2] Siehe den Artikel “Genome-editing tools storm ahead” aus dem Jahr 2012 mit weiterer Literatur.

 

Bilder

Mit der Schere laufen: Gavin M. Roy, flickr

Gene therapy: Wikimedia Commons

Schere: philriley, pixabay

"Foreign Contaminant": Gretchen Kessler, DeviantArt

T-Zelle: Blausen.com staff. Wikiversity Journal of Medicine. commons.wikimedia.org/w/index.php

Cas9-Modell: NIH 3D Print Exchange, National Institutes of Health 

Menschlicher Embryo im 8-Zellen-Stadium: ekem, RWJMS program via Wikimedia Commons

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