Dem protestantischen Theologen Werner Thiede zufolge wird der Mensch im Transhumanismus (anders als beim Posthumanismus) nicht abgeschafft, sondern technisch und digital überstiegen - eine Superintelligenz nicht ausgeschlossen. Thiede erwähnt TheologInnen, die dem Transhumanismus freundlich gegenüberstehen (wie Caroline Helmus, siehe in diesem Forum www.forum-grenzfragen.de/transhumanismus-der-neue-unter-gang-des-menschen/), oder ihn als reduktionistische Anthropologie (Johannes Hoff: www.forum-grenzfragen.de/transhumanismus-als-symptom-symbolischer-verelendung/) verurteilen. Thiede selbst moniert am Transhumanismus die technische Ablösung Gottes, die allenfalls auf ein innerweltliches Jenseits ziele. Es gelte daher die transhumanistischen Erlösungsphantasien zu entzaubern. hhp

Die Wissenschaftsjournalistin Sonja Kastilan nimmt das jüngst in Science veröffentlichte neue Referenzgenom des Menschen genauer unter die Lupe. Die von der Human-Genom-Organisation und Craig Venter vor 20 Jahren medial gefeierte vermeintlich vollständige Entzifferung des Humanerbgutes erwies sich als durchaus ergänzungsbedürftig. Erst jetzt konnten die zahlreichen Unvollständigkeiten weitgehend abgearbeitet werden. Auch habe man gelernt, dass die DNA-Sequenz allein längst nicht alles enthält; daher hätten die Wissenschaftler des neuen Referenzgenoms auch epigenetische Daten mitgeliefert. Aber auch das sei noch nicht das Ziel. Dazu gehöre das menschliche "Pangenom" über die Vielfalt der gesamten Menschheit und die Berücksichtigung vormenschlicher Genome, will man denn das evolutive Erbe verstehen. Ein angenehmer Artikel, der keine Sensationen aufbauscht, sondern seriös in die wissenschaftliche Entwicklung einordnet. - hhp

Der Philosoph Hans-Dieter Mutschler kritisiert Konzepte, welche die Unterscheidung von Mensch und Tier nivellieren. Durchaus will Mutschler aber den Tieren einen intrinsischen Wert zuschreiben, Wert also, der ihnen an sich zukommt und nicht erst durch unsere Interessen, wie dies Dieter Birnbacher unhaltbar versuche. Das bedeute aber nicht, die Sonderstellung des Menschen aufzulösen, wie dies u.a. "progressiv sich dünkende Theologen" tun. Dass wir vergessen hätten, Teil der Natur zu sein, sei plausibel aber falsch. Gut dialektisch seien wir zwar AUCH Teil der Natur, gleichzeitig aber sei unsere reflexive kulturelle Distanz zu ihr unsere STÄRKE (wenn wir sie denn wahrnehmen und nicht leben wie alle anderen Tiere auch). Auch den Würdebegriff univok auf Tiere zu übertragen (wie z. B. Kurt Remele, ähnlich Simone Horstmann, Thomas Ruster, Gregor Taxacher, Michael Rosenberger) lehnt Mutschler im Rückgriff auf Heike Baranzke ab. Dies habe "die übelsten Konsequenzen", was Mutschler mit amüsanten bis polemischen Beispielen veranschaulicht. Übrigens: Ausdrücklich nimmt Mutschler von solchen "modischen Kurzschlüssen" den Gründer des "Instituts für Theologische Zoologie" Rainer Hagencord aus. - hhp

Man konnte der Evolution bei der Arbeit zuschauen, auch wenn es ein mehr als trauriger Anlass war. Während des 20-jährigen Bürgerkriegs in Mosambik sind 90% der Elefantenpopulation des Gorongosa-Nationalparks ausgerottet worden, um mit dem Elfenbein Geld zu machen. Die massive Jagd führte zu einem starken Selektionsdruck, der inmitten des rapiden Populationsrückgangs die Stoßzahnlosigkeit begünstigte. Bei der Erholung der Population wurde ein relativ großer Anteil der weiblichen Tiere ohne Stoßzähne geboren. Die AutorInnen sehen in ihrer Studie den Beweis für eine schnelle, durch Wilderei ausgelöste Selektion eines bedeutenden anatomischen Merkmals bei einer Schlüsselart.

Der Artikel ist bei Science frei zugänglich, ist aber auch in der deutsche Presselandschaft rezipiert worden (z. B. www.deutschlandfunk.de/elefanten-ohne-stosszaehne-wilderei-beschleunigt-evolution.676.de.html. - hhp

Die Biologen Hansjörg Hemminger und Andreas Beyer legen die Leistungen und prinzipiellen Grenzen der Naturwissenschaften dar. Diese lieferten ein geeignetes Werkzeug, und die "dinglichen" Entitäten der Welt zu beschreiben und zu verstehen. Konsensfähig wäre m.E. diese Behauptung für viele wohl nur, wenn "verstehen" sehr eng gefasst würde. Der "weltimmanente Naturalismus" jedenfalls habe sich als Methode derart bewährt, dass ein grundsätzlicher Zweifel daran nicht mehr möglich sei. Gleichwohl weisen die Autoren auf Grenzen hin, über die empirische Forschung grundsätzlich nicht hinauskomme: Jenseits dieser Grenze gehe es um Glaube, Weltanschauung, Werte und Sinn, "also um den großen Rahmen unserer Existenz". Der Beitrag aus den Stimmen der Zeit (Stimmen der Zeit 146 (2021) 447-460) ist in umfassenderer Form frei erhältlich unter www.theologie-naturwissenschaften.de/fileadmin/user_upload/WaskannNaturwissenschaftundwasnicht.pdf. - hhp

Mehr Licht im Dunkel des Neandertalers verspricht die Forschung der Tübinger Professorin für Paläoanthropologie Katerina Harvati-Papatheodorou. Harvati ist einschlägig für die menschliche Evolutionsforschung auf Fossilbasis und hat aus der Kombination von Feldforschung und modernster 3D-Technik nicht nur morphologische Erkenntnisse zur Abgrenzung von Neandertaler und sog. modernen Menschen gewinnen können. Ihre Rekonstruktion von Verhaltensmustern trägt einmal mehr dazu bei, das primitive und grobschlächtige Image des Neandertalers zu revidieren. - hhp

Der Titel offenbart schon die Marschrichtung des Deutschlandfunkbeitrags: Die Naturwissenschaften werden gegen Bibel und Theologie ins Feld geführt. Selbst wenn mit dem Kirchenhistoriker Hubert Wolf ein Theologe zu Wort kommt, entspricht die Darstellung für meinen Geschmack nicht dem status quo und ist viel zu unterkomplex. So weiß man nie so recht, ob Wolf einen historischen Konflikt (den es ja zweifellos gegeben hat) oder einen gegenwärtigen beschreibt, zumal seine Aussagen im Präsens formuliert sind: "Deshalb wehrt sich die katholische Kirche massiv gegen das Evolutionsdenken", heißt es dort. Und die päpstliche Aussage "Evolutionstheorie ist mehr als eine Hypothese" wird sogleich wieder relativiert durch den Hinweis, dass die Geistseele als unmittelbar erschaffen verstanden werde. Eine Vereinbarkeit von Evolution und Schöpfung wird eher vom Biologen Jürgen Neffe eingebracht, als vom Theologen Wolf. Immerhin gesteht er der Kirche Wissenschaftsfreundlichkeit beim Klimawandel zu. Hier sind wieder einmal Chancen zur Versöhnungsarbeit verspielt worden. - hhp

Der Biologe und Anthropologe Carel van Schaik beteuert in dem Interview, zwischen Natur- und Geisteswissenschaften Brücken bauen und den "Streit um Natur gegen Kultur" befrieden zu wollen. So sei Kultur stärker als manche Biologen annähmen. Und die Biologie wolle auch keinen normativen Anspruch erheben, sie könne aber eine Verstehenshilfe sein. Die Behauptung, das Patriarchat sei eine Strafe Gottes, könne man allerdings als eine "Lüge über Eva" bezeichnen. Am Patriarchat seien weder Gott noch die Biologie schuld, Gleichberechtigung sei in der Evolutionsgeschichte zu 99% die Normalität gewesen. Und van Schaik findet es erstaunlich, dass trotz Jesu Wertschätzung von Frauen sich in seinem Namen "eine so misogyne Institution wie die katholische Kirche" entwickeln konnte. (Vgl. van Schaik in unserer Videodokumentation www.forum-grenzfragen.de/schoepfung-im-spiegel-evolutionaerer-anthropologie/) - hhp

Ulrich Bahnsen rekonstruiert auf anschauliche Weise den Forschungsstand zum Ursprung des Lebens auf einer frühen Erde vor vier Milliarden Jahren, an dessen Anfang es einen LUCA ("Last Universal Common Anvestor") gegeben haben muss. Leben entsteht, wenn sich Gelegenheit ergibt, lautet der philosophische Schluss. - Die Anschaulichkeit der Darstellung hat den Preis, dass nur ein Forschungsansatz zur Entstehung des Lebens vorgestellt wird, ohne die Vielfalt der naturwissenschaftlichen Theorien zu bedenken. Denn genau wissen wir es noch nicht.

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In leicht verständlicher Form stellt der Artikel eine zentrale Kontroverse der Evolutionsbiologie vor: Dominierte in der Entwicklung des Lebens bis zum Menschen der Zufall oder lief alles mehr oder weniger zwangsläufig ab? In den Worten der Hauptvertreter dieser Kontroverse wird dies an einem anschaulichen Vergleich diskutiert: Würde man den Film der Evolution zurückspulen und neu ablaufen lassen, würde es für Stephen Jay Gould nicht zu den gleichen uns bekannten Formen einschl. des Menschen kommen, für Simon Conway Morris durchaus. Einen Hinweis darauf erblickt Conway Morris im Phänomen der Konvergenz: Die Evolution hat unabhängig voneinander für eine Aufgabe immer wieder gleiche Lösungen gefunden, wie z. B. Linsenaugen. Dass nur durch einen zufälligen Asteroideneinschlag, der die Dinosaurier ausgelöscht hat, Platz für den Menschen geschaffen wurde, ist für Conway Morris kein Argument. Der Mensch wäre auch ohne Einschlag entstanden, es hätte nur noch etwas länger gedauert. - hhp