Das Universum. Wissen und Staunen. Astrophysikalische Erkenntnisse und religiöse Erfahrungen von Arnold Benz, ausgewählt von Ruth Wiesenberg Benz

Rezension von Dr. Frank Vogelsang

Unter dem Titel „Das Universum. Wissen und Staunen.“ ist ein schön gestalteter, mit faszinierenden Fotographien bereicherter Band erschienen, der eine Sammlung kurzer Texte und Aphorismen des weltweit renommierten Schweizer Astrophysikers Arnold Benz enthält. Die Fotographien von kosmischen Ereignissen wie auch von Aufnahmen des Planeten Erde aus dem All illustrieren zentrale Aussagen des Buches. Ausgewählt hat die Texte die Theologin Ruth Wiesenberg Benz.

Die prägnanten, allgemein verständlichen Texte dokumentieren die lebenslange Beschäftigung des Autors mit der philosophischen Interpretation der astrophysikalischen Forschung, mit fundamentalen Fragen im Raum zwischen Naturwissenschaften und Theologie. Schon der Titel weist die Richtung, in der die Texte zielen: Es geht um die unauflösliche Verbundenheit von naturwissenschaftlichem Wissen und existentiellem menschlichen Staunen im Angesicht der Weiten des Universums und der Schönheit der Welt.

Das Buch ist in vier Abschnitte geteilt. Das einleitende Kapitel betont die Haltung des Staunens: „Im Staunen nimmt man an der Wirklichkeit teil und erlebt sie aus einer anderen Perspektive als die Astronomie.“(S. 12) Es geht aber in beidem um ein und dieselbe Wirklichkeit, die aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann. Denn auch inmitten des Bereichs der Wissenschaften hebt das Erstaunen an: „Je genauer die Naturwissenschaften die Wirklichkeit untersuchen, desto rätselhafter erscheint sie.“(S. 18).

Das zweite Kapitel bietet wichtige Erkenntnisse der Astrophysik, entlang dem Standardmodell der Kosmologie. Benz denkt über den Urknall nach, über die kosmische Zeit. Leichte Identifizierungen mit theologisch aufgeladenen Begriffen wie „Plan“ oder „Design“ lehnt Benz ab, denn dies passt „nicht zur kosmischen Entwicklungsgeschichte mit den ungeheuren Katastrophen, Sackgassen und unermesslich verschwenderischen Fehlentwicklungen.“(S. 40) Das kosmische Geschehen ist für den Physiker keine fest gefügte Ordnung. „Die Materie ist nicht etwas Seiendes, sondern im Grunde etwas Wandelbares.“(S. 46). „Wir sind das Produkt eines Netzwerks von (…) chaotisch gekoppelten Vorgängen.“(S. 58) Hieraus zieht Benz eine für einen Naturwissenschaftler radikale Konsequenz: „Die Naturwissenschaft kann die Wirklichkeit nicht ausloten“(S. 60). Allerdings kann diese Einschränkung auch nicht als Gottesbeweis gelten. Denn, was auch immer das Universum darstellt, es ist kein heimeliger Ort, der Zerfall gehört zum Kosmos ebenso dazu wie das Entstehen neuer Strukturen. „Die kosmische Entwicklung weckt nicht nur Staunen, sie kann auch erschrecken.“(S. 72) Doch existiert ein „Prinzip des Werdens“, „eine Grundeigenschaft, die sich auch in der Chemie, Biologie, bis hin zur menschlichen Gesellschaft zeigt.“(S. 76)

Das dritte Kapitel wendet sich der Erde zu. Hier erkennt der Mensch die Wirklichkeit nicht allein durch naturwissenschaftliche Forschung. Es ist dem Autor wichtig, dass der Mensch immer schon seine Umwelt wahrnimmt, er ist mit seinem Bewusstsein, mit seinen Gefühlen ein  quasi natürliches Messinstrument. „Ich nenne es daher ein teilnehmendes Wahrnehmen, in das der Mensch involviert ist.“(S. 89) Dort, in der teilnehmenden Beobachtung ist auch die Religion zu verorten. Benz bringt die Besonderheit der Religion auf den Punkt, wenn er feststellt: „Religion ist nicht durch die Naturwissenschaften gefährdet, sondern durch das Vergessen, Verzichten und Negieren dieser teilnehmenden Erfahrung.“(S. 90) Menschen sind aber als leibliche Wesen notwendiger Weise immer auch teilnehmende Beobachter. Insofern kann die naturwissenschaftliche Erkenntnis gar nicht mit religiösen Aussagen in einen Konflikt geraten, beide liegen auf verschiedenen Ebenen, auch wenn sie sich auf dieselbe Wirklichkeit beziehen, die Naturwissenschaft schaut methodisch distanziert, die Religion teilnehmend. Deshalb darf der Urknall nicht mit der Schöpfung Gottes identifiziert werden. Es ist im Gegenteil für die Religion geradezu eine Gefahr, wenn Gott als Ursache für das gesetzt wird, worauf die Naturwissenschaften noch keine Antwort haben.(vgl. S. 97). „Religion soll nicht erklären. Im Gegenteil: Sie hat mit der Erfahrung zu tun, dass die Wirklichkeit letztlich nicht verfügbar ist.“(S. 99) Es ist dagegen die Rationalität und Zweckgerichtetheit unserer modernen Lebensweise, die uns von der Religion entfremdet(S: 117), die Erfahrung der Teilnahme verblasst. Die Aussagen von Benz sind wichtig für die Theologie, weil sie ihrem ganz eigenen religiösen Erstaunen die Freiheit wahren. Wichtig ist deshalb: „Der biblische Gottesbegriff hat seinen Ursprung weder in philosophischen noch in naturwissenschaftlichen Überlegungen.“(S. 103) Was aber ist dann die Rede von Gott? Benz deutet eine wichtige Konsequenz an: Die Rede von Gott geschieht nur in Metaphern: „Metaphern eignen sich zum Beschreiben religiöser Wahrnehmungen, denn sie erhellen, was nicht wirklich in Worte zu fassen ist, oder füllen eine Lücke, für die es keine Worte gibt.“(S. 111) Die Theologie muss bescheiden sein, ihr Versuch, das Gemeinte in Worte zu fassen, kann immer nur ungenügend sein.

Das folgende dritte Kapitel wendet sich dem Neuen zu. Das Universum schafft immer wieder Neues und es ist die Haltung des glaubenden Menschen, dieses Neue mit Hoffnung zu verbinden: „Noch heute entstehen Sterne und Planeten, Tiere und Menschen. Meine Hoffnung vertraut auf Schöpfung auch in der Zukunft.“(S. 122) Die Schöpfung kann immer wieder als Geschenk erfahren werden, als geschenkte Lebenszeit, als geschenkte Grundlage für das Leben. Gerade, wenn man das Chaos des Universums um sich herum wahrnimmt, sieht man, wie groß das Geschenk der eigenen Lebensbedingungen ist. Die Rede von der Schöpfung bringt gerade zum Ausdruck, dass diese Bedingungen geschenkt sind. Sie beginnt nicht mit einer Behauptung (Gott hat die Welt geschaffen), sondern mit einer Erfahrung, der Erfahrung der unverdienten eigenen Lebensmöglichkeiten (vgl. S. 132) Das Neue weist auf eine der rätselhaftesten Größen des Universums, die Zeit. Die Zeit kann als Bedrohung wahrgenommen werden, alles vergeht, aber auch Quelle von immer wieder Neuem, von Leben. In diesem Sinne interpretiert Benz auch die christliche Auferstehung. Sie steht für das neue Leben: „Ostern ist wie die Entstehung des Lebens auf der durch Meteoriten und Kometen bombardierten und von Vulkanen verwüsteten frühen Erde.“(S. 140) Das Neue kann Angst machen: „Es braucht Mut, Bestehendes im Leben abzubauen, um dem Neuen Raum zu schaffen.“(S. 152) Zu hoffen, heißt deshalb, im Vertrauen auf etwas Neues zu setzen, letztlich in der „Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort sein wird, so wenig wie Karfreitag der Schlusspunkt war.“(S. 156) Das weist für Benz auch auf den Sinn des Universums, denn das Empfinden von Sinn lebt vor allem in der Erwartung der Zukunft. „Sinnvoll ist, was Zukunft hat.“(S. 164)

Das abschließende Kapitel wendet sich erneut dem Staunen zu: „Im Staunen lässt man sich auf die Wirklichkeit ein und nimmt sie als nicht selbstverständlich wahr.“(S. 170) Die Welt ist geheimnisvoll sowohl für den forschenden Menschen wie auch für den religiösen Menschen, hier „zeigt sich eine Parallelität zwischen den Resultaten der Astrophysik und der existenziellen Erfahrungsebene.“(S. 174) Es geht eben in beiden Zugängen um ein und dieselbe Wirklichkeit, verstanden als Universum, verstanden als Schöpfung.

Die Lektüre des Buches hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Da der Text aus vielen kleinen Absätzen besteht, die je für sich gelesen werden können, kann man das Buch auch immer wieder zur Hand nehmen und den einen oder anderen Gedanken daraus entnehmen. Der christliche Glaube, das wird deutlich, ist gar nicht so fern zur modernen naturwissenschaftlichen Forschung, denn es sind in beiden Fällen die Beschäftigung des verletzlichen, endlichen Menschen im Angesicht einer übermächtigen Natur, die zur Ehrfurcht Anlass gibt, zum Erstaunen, aber auch Grundlage sein kann für Hoffnung und Vertrauen. 

 

196 Seiten mit 74 Fotos für 34€, Berchtold Haller Verlag 2019, ISBN 978-3-85570-155-1

Dr. Frank Vogelsang, Bonn im November 2019