Jenseits der Konflikte. Eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung von Theologie und Naturwissenschaft von Andreas Losch

Rezension von Dr. Frank Vogelsang

Wie ist das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften zu bestimmen, welches sind ihre Gemeinsamkeiten, wo aber sind unaufgebbare Unterschiede? Dieser Frage stellt sich Andreas Losch in seiner jetzt veröffentlichten Dissertation „Jenseits der Konflikte – Eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung von Theologie und Naturwissenschaft“.

Der Titel ist programmatisch, gleich zu Beginn, im 1. Kapitel weist er nach, dass die Vorstellung lang anhaltender Konflikte zwischen beiden Seiten historisch-kritischer Forschung nicht standhält. Im Gegenteil, die Erzählung von der dramatischen Auseinandersetzung zukunftsorientierter Wissenschaft und rückwärtsgewandter Theologie hat man in weiten Teilen konstruiert, um einen neuen Mythos begründet, nämlich den Mythos der Moderne. Losch hält sich deshalb nicht länger an angeblich unüberbrückbaren Konfliktlinien auf und fragt nach einem konstruktiven und auch produktiven Verständnis des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie. Dazu wendet er sich der angelsächsischen Tradition des Dialogs zu, vor allem den Arbeiten der drei Wissenschaftler-Theologen Ian Barbour, Arthur Peacocke und John Polkinghorne, alle drei ausgewiesene Naturwissenschaftler, die sich erst in einer späteren Phase ihres Lebens der Theologie zugewendet haben. Die Theorie von John Polkinghorne ist für Losch paradigmatisch und richtungsweisend, er nimmt immer wieder in zustimmender, aber auch in kritischer Weise auf dessen Texte Bezug. Die Tatsache, dass er schon im zweiten Kapitel einen Überblick über die zahlreichen Schriften Polkinghornes gibt, zeigt die Bedeutung, die Losch dessen Konzept der Konsonanz von Theologie und Naturwissenschaften zubilligt.

 

Die beiden folgenden Kapitel fragen nach einer Verhältnisbestimmung der beiden Seiten jenseits eines Konfliktes. Dabei bezieht er sich auf die Typologien von Ian Barbour und Jürgen Hübner. Ian Barbour kann als Doyen der angelsächsischen Diskussion gelten, sein richtungsweisendes Werk hat er schon in den 60er Jahren geschrieben und dort vier verschiedene Typen des Verhältnisses bestimmt: Konflikt, Dialog, Unabhängigkeit und Integration. Allerdings kritisiert Losch die statische Ausrichtung dieser Einteilung, die die historischen Veränderungen nicht adäquat abbilden kann. Weiterhin fragt er zu Recht, ob nicht viele Themen des Dialogs zwischen Naturwissenschaften und Theologie sich einer einfachen Einteilung verweigern, ob sie nicht also von allen genannten Typen bestimmte Aspekte aufweisen.

 

Losch rekonstruiert anschließend die Genese des kritischen Realismus, einem der Grundbausteine des angelsächsischen Diskurses. Alle wichtigen Stimmen dieses Diskurses reklamieren in auffallender Weise die Position des kritischen Realismus für sich. Der kritische Realismus besteht genau genommen in einer Relativierung. Am Anfang steht ein Bekenntnis zum Realismus, also zu einer Position, die eine beobachterunabhängige Wirklichkeit behauptet. Doch im Unterschied zum naiven Realismus besteht zugleich die Einsicht, dass jede Beobachtung durch den Beobachter beeinflusst ist. Deshalb ist eine kritische Reflexion der Beobachtung vonnöten, die nach den verzerrenden Einflüssen der Beobachtung fragt. Die Position des kritischen Realismus ist im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer wieder diskutiert und präzisiert worden, wie Losch in detaillierten Untersuchungen nachweist. Auch die beiden philosophischen Kronzeugen, die großen Einfluss auf den Dialog haben, Michael Polanyi und Alfred North Whitehead, können dieser Position zugeordnet werden. Unstrittig ist die Grundaussage des kritischen Realismus, dennoch bleibt auch für Losch eine nicht unerhebliches offenes Problem, wenn er fragt, ob hier eigentlich eine Entwicklung einer bestimmten Theorie vorliege oder ob nicht der kritische Realismus tatsächlich immer wieder neu erfunden werde.

 

Losch beschreibt den Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft an einer zentralen Stelle seiner Arbeit als eine Art Brückenbildung. Für die Gestaltung einer die Wissenschaften überspannenden Brücke reicht der kritische Realismus nicht aus, dieser ist zu sehr von der naturwissenschaftlichen Seite bestimmt. Nach Ansicht des Autors müsse man stärker als in der angelsächsischen Tradition die Theologie als eigenständigen Vertreter der Geisteswissenschaft berücksichtigen. Deshalb plädiert er für eine Position, die er „konstruktiv-kritischer Realismus“ nennt. Um diese Modifikation zu entfalten, bezieht er nun in zwei weiteren Kapiteln philosophischen Beiträgen aus dem deutschsprachigen Bereich, einerseits der Zeitanalyse von A.M.K. Müller und andererseits der philosophischen Reflexionen von Viktor von Weizsäcker. Mit Hilfe beider Ansätze untermauert Losch in je unterschiedlicher Weise die These, dass die Theologie eine Dimension der Wirklichkeit bearbeitet, die aufgrund methodischer Vorgaben von den Naturwissenschaften nicht erfasst werden kann. Müller macht deutlich, dass der Zeitbegriff der Theologie über den der Naturwissenschaften hinaus reicht, denn sie berücksichtigt vor allem die Zukunftsbezogenheit aller Zeitmodi. Die Auferstehung Christi ist ein Vorschein für eine von Gott bestimmte Zukunft, die von der christlichen Hoffnung aufgenommen wird. Viktor von Weizsäcker wiederum arbeitet heraus, wie tief greifend die Einflüsse des Subjekts für die Erkenntnis der Wirklichkeit sein können. In der Beschäftigung mit von Weizsäcker wird aber auch deutlich, dass Losch wohl für den kritischen Realismus die Notwendigkeit der Ergänzung sieht, ihn aber grundlegend bejaht. Hier grenzt er sich gegen anders lautende Stimmen des deutschsprachigen Diskurses ab und stellt auch kritische Frage an Autoren wie Christian Link und Hans-Dieter Mutschler. In dem abschließenden Kapitel spiegelt sich wie auch im Aufbau der ganzen Arbeit das Bestreben von Losch, die Ergebnisse der Arbeiten der Wissenschaftler-Theologen Barbour, Peacocke und vor allem Polkinghorne aufzugreifen und daran weiter zu arbeiten. Im Fazit seiner Arbeit votiert Losch deshalb für eine Erweiterung des kritischen Realismus zum konstruktiv-kritischen Realismus, der der Theologie mehr Eigenständigkeit zuzubilligen vermag.

 

Ohne Zweifel hat der Hauptstrom der deutschen theologischen Diskussion die Naturwissenschaften in ihrer Bedeutung zu sehr vernachlässigt. Der angelsächsische Diskurs ist wiederum oft zu sehr von der Erwartung bestimmt, dass Theologie und Naturwissenschaften sich als unterschiedliche Akzente ein und desselben Erkenntnisprozesses ausweisen lassen und unterschätzt so die Eigenständigkeit der Theologie. Insofern kann man Losch in der argumentativen Ausrichtung seiner Arbeit voll und ganz zuzustimmen. Wie können die Ergebnisse der Naturwissenschaften in ihrer Bedeutung berücksichtigt werden, ohne dass die Theologie dabei ihre eigenständige Perspektive verliert? In dieser Frage sieht sich der Rezensent mit seinen Bemühungen zum Thema eng mit der Position des Autors verbunden, auch wenn er dem Ansatz Viktor von Weizsäckers in größerem Umfang zu folgen bereit wäre, als dies der Autor getan hat. Mit dem Vorschlag eines konstruktiv-kritischen Realismus ist ein Arbeitsfeld beschrieben, eine Arbeitsaufgabe genannt, die der weiteren Bearbeitung harrt. Die Arbeit von Losch ist ein erkenntnistheoretischer und programmatischer Versuch, der sich nun in einzelnen Diskussion bewähren muss. Was heißt es, den konstruktiven und den kritischen Aspekt des Realismus miteinander zu verbinden? Welche Konsequenzen hat der konstruktiv-kritische Ansatz für die Theologie selbst, aber auch für das Verständnis naturwissenschaftlicher Theorien? Es bleibt also im Diskurs zwischen Naturwissenschaft und Theologie noch viel zu tun!

 

Leider ist der Preis des hochwertig gestalteten und gebundenen Buches mit 69 Euro nicht gering. Das Buch ist aber gut zu lesen und gut ausgestattet: es hat sowohl ein Personen- als auch ein Stichwortregister.

Jenseits der Konflikte – Eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung von Theologie und Naturwissenschaft, Vandenhoeck&Ruprecht 2011 69,95 €

 Dr. Frank Vogelsang, im September 2011