„Es wäre das Beste, die Religionen auszulöschen“, meint E. O. Wilson, Pionier der Soziobiologie, im Anreißer des Artikels. Der martialisch anmutende Rat wird allerdings durch den Nachsatz, dass „die spirituelle Sehnsucht des Menschen“ von der Ausrottung auszunehmen sei, relativiert.
Was Wilson damit meint, wird in dem Interview anlässlich seines neuesten Buches, „The Meaning of Human Existence“, deutlicher. Das Buch ist der zweite Teil einer Trilogie, welche die drei Hauptfragen von Religion und Philosophie beantworten will: Woher kommen wir, wer sind wir und wohin gehen wir?
Das letzte Buch steht also noch aus, die Richtung deutet Wilson aber vor dem Hintergrund des globalen Artenschwundes an. Dass wir diese globale Bedrohung allen wissenschaftlichen Warnungen zum Trotz ignorieren, sieht Wilson gut soziobiologisch darin begründet, dass wir einem Denken in Stammesstrukturen - durch Religionen institutionalisiert - verhaftet sind. „Jeder Stamm, egal wie großzügig, freundlich, liebevoll und barmherzig er sein mag, schaut nichtsdestoweniger auf alle anderen von oben herab. Was uns runterzieht ist religiöser Glaube“. Wilson sieht dabei sehr wohl, dass die Menschen als Individuen und als Gattung einen starken religiösen, spirituellen Impuls teilen, der die Menschheit vereine. Aber: „Diese transzendente Suche ist von den Stammesreligionen gekapert worden“. Darum also rät Wilson, „dass es zum Wohle des menschlichen Fortschritts wohl das Beste wäre, religiösen Glauben bis zu seiner Auslöschung zu dezimieren, nicht aber die natürlichen Sehnsüchte unserer Spezies oder das Stellen dieser großen Fragen zu eliminieren“.
Die Frage stellt sich jedoch, wie (wünschenswert und) aussichtsreich ein solches Wilsonsches Eliminationsprojekt ist. Als „natürliche Sehnsucht“ wird das „große Fragen“ nicht innerlich bleiben, sondern die Kommunikation suchen und sich Kommunikationsgemeinschaften, sprich: Religionen, schaffen. Wäre es nicht ein wünschenswertes Ziel, Religionen nicht abzuschaffen, sondern von fundamentalistischer (Stammes-)Konkurrenz zu globalem Dialog zu bewegen?
Zum Schluss bleibt noch die allgemeine Frage, ob die Woher- und Wohin-Fragen, wie Wilson sie stellt, tatsächlich mit den Woher- und Wohin-Fragen der Religionen identisch sind. Wird hier nicht der Geltungsanspruch überzogen, wie dies der Soziobiologie wiederholt – nicht zuletzt von Wilson selbst – vorgeworfen wurde?