Theologie und Naturwissenschaften – sind das nicht Gegensätze?

Einführung von Andreas Losch

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Die verbreitete Auffassung, Theologie und Naturwissenschaften seien zueinander gegensätzlich wie Feuer und Wasser, ist ein Mythos. Die historische Entwicklung und Auseinandersetzung der beiden Disziplinen, auch im Falle Galileis und Darwins,  ist wesentlich vielschichtiger und daher auch spannender als diese Auffassung nahelegt. Es gibt genug Anlässe zu einer streitbaren Diskussion, ohne dass dabei unversöhnliche Gegensätze aufbrechen müssen. Neue Herausforderungen – wie die Nachhaltigkeitsdebatte oder Fragen der Bio- und Neuroethik – prägen das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften heute.

Im Gefolge der Aufklärung sehen viele das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften als Konflikt. Dieser Auffassung nach waren Menschen früherer Zeiten tendenziell sehr religiös und haben die Umwelt daher in religiösen Ausdrücken beschrieben. Blitze z.B. galten als Zeichen göttlichen Zorns. Die aufstrebende moderne Wissenschaft jedoch führte zu einem besseren Verständnis der natürlichen Welt, so dass wissenschaftliche Erklärungen die religiösen Erklärungen zunehmend ersetzten. Es wird weithin angenommen, dass die Kirche sich über solche Entwicklungen erregte und ihr bestes tat, neues Wissen zu ersticken. Im Laufe der Zeit jedoch eroberte die neue Wissenschaft siegreich das intellektuelle Leben der westlichen Welt und ließ, so die Annahme, den Theologen keine andere Rolle übrig, als Rückzugsgefechte auszutragen und neuere Entwicklungen gelegentlich zu attackieren.

Wie passt es aber dann ins Bild, dass an vielen Orten in Deutschland, der Schweiz und auf der ganzen Welt sich regelmäßig Naturwissenschaftler und Theologen treffen, um über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Disziplinen zu diskutieren? In Berkeley, Cambridge, Edinburgh, Harvard, Oxford und anderen Orten gibt es sogar Lehrstühle oder Lehraufträge, die sich allein diesem reichhaltigen Thema widmen.

 

Mythos und Wirklichkeit

Tatsächlich ist die historische Entwicklung und Auseinandersetzung zwischen Theologie und Naturwissenschaften auch wesentlich vielschichtiger als der eingangs geschilderte moderne Mythos eines Dauerkonfliktes behauptet. Zunächst ist festzuhalten, dass am Beginn der modernen Naturwissenschaften die positive Würdigung der Natur als Gottes Schöpfung lag. Die Gedanken Gottes im „Buch der Natur“ nachzudenken war eine Hoffnung, die der gläubige Astronom Johannes Kepler mit seinem Unternehmen verwirklichen wollte. Einen Reflex finden diese Ursprünge noch im Schlusskapitel von Stephen Hawkings bekannter "Kurzer Geschichte der Zeit": wenn wir eine Theorie finden würden, die die Quantentheorie mit der Relativitätstheorie vereint, dann, so Hawking, würden wir die „Gedanken Gottes kennen“ (eine schlüssige Kritik dazu formuliert Hawkings früherer Kollege John Polkinghorne).

Die Geschichte des Verhältnisses von Naturwissenschaften und Theologie ist voller weiterer Mythen. So hat auch nicht erst Kolumbus demonstriert, dass die Welt eine Kugel ist. Der Reichsapfel der mittelalterlichen Herrscher, der die Erde symbolisierte, war nicht zufällig rund. Die Opposition der Kirche gegen seine Reise auf dem "Konzil von Salamanca" ist dann auch nur die nachträgliche Fiktion eines Romanautors (namens Washington Irving). 

Aber was ist mit Galilei? Hat sein Fall nicht die Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche deutlich gezeigt? In der vorherrschenden Meinung wurde Galilei zum Märtyrer der Gedankenfreiheit, und sein Gegenspieler Papst Urban wurde zum Vertreter des finsteren Mittelalters. Natürlich gab es Konflikte, und man mag diskutieren, ob Galilei nicht Recht daran tat, sich dem Vorschlag zu widersetzen, seine Erkenntnisse als bloße Hypothesen zu betrachten. Allerdings muss man wissen, dass Papst Urban ein früherer Bewunderer Galileis war, und Galilei auch weder gefoltert noch ins Gefängnis geworfen wurde, auch wenn man wiederum zugestehen muss, dass der frühere Kenntnisstand der Quellen solches nahelegte. Galileis Verurteilung war das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von politischen Umständen, persönlichen Ambitionen und verwundetem Stolz, und zwar unter anderem dem des Papstes, dessen Argumente Galilei in seinem „Dialogo“ in den Mund des ‚Einfallspinsels’ Simplicio legte. Dabei war Galilei selbst ein durchaus religiöser Mensch, der mahnte, die eigene Interpretation der Bibel nicht mit Gottes Wort zu verwechseln, wenn Gottes Schöpfung so eindeutig ein anderes Zeugnis ablege (Brief an Castelli).

 

Tendenziöse Geschichtsschreibung

Die Autoren, die die Geschichte von Wissenschaft und Theologie als Konflikt inszeniert haben, sind zwei Geschichtsschreiber des 19.Jahrhunderts, William Draper und Andrew Dickson White. In ihrer „Geschichte der Conflicte zwischen Religion und Wissenschaft“ (1875) bzw. „Geschichte der Fehde zwischen Wissenschaft und Theologie in der Christenheit“ (1896), beides internationale Bestseller, zeichnen sie ein Bild des Verhältnisses von Wissenschaft und Theologie als andauerndem Kampf. Während Drapers Werk sich im Geiste des Kulturkampfes insbesondere gegen die katholische Kirche richtete, dehnte Andrew Dickson Whites Buch den Kampf der Aufklärung auf die ganze Christenheit aus. Historisch erklärt sich dies daher, dass Whites Gegner bei der Errichtung der ersten amerikanischen nichtkonfessionellen Universität (der Cornell-Universität) Protestanten waren. Diese Autoren haben mit ihrer sehr tendenziösen Darstellung nicht nur die Schulbücher beeinflusst.

Wie sieht die Geschichte aber in Wirklichkeit aus? An ihrer Aufarbeitung wird seit einigen Jahren erfolgreich gearbeitet. Dass die christliche Theologie auf der anderen Seite förderlich für die Erforschung der als Gottes Schöpfung verstandenen Natur gewesen ist, ist sicher nicht falsch, auch wenn es nicht überbetont werden sollte. Die Wirklichkeit ist komplexer und facettenreicher als die Propagandisten der einen oder anderen Seite glauben machen wollen.

 

Evolution und Schöpfung und die deutsche Geschichte

So wie man den Fall Galilei heute bei Licht besehen, neu bewerten muss, so ist auch die Auseinandersetzung um die Evolutionstheorie vielschichtiger gewesen, als manches Klischee es darstellt. Auch hier gilt, dass entgegen dem gegenwärtig in den Medien vorherrschendem Eindruck eines Dauerkonfliktes, heute zwischen Kreationisten (und der Intelligent Design Bewegung) auf der einen Seite und Neuen Atheisten (wie z.B. Dawkins und Dennet) auf der anderen Seite, schon früh einige Theologen den Gedanken Darwins (der ja auch selber als Theologe ausgebildet war) durchaus positiv gegenüberstanden: so z.B. Frederick Temple, der spätere Erzbischof von Canterbury, oder Charles Kingsley, den Darwin in der zweiten Auflage der Origin of Species (1860) auch zitiert. In Deutschland gestaltete sich eine positive Aufnahme Darwins durch die monistische Interpretation der Evolutionstheorie seitens Ernst Haeckels als schwierig. Der Kampf gegen den Glauben entspricht aber auch im 19. Jahrhundert nicht dem Denken der Mehrzahl der Naturwissenschaftler; "das wurde vielmehr von den Gegnern der Naturwissenschaft behauptet, um diese wirkungsvoll attackieren zu können." (Dietrich von Engelhardt).

Eine gesunde Vorsicht vor allzu schnellen Gleichsetzungen hat sich in Deutschland bis heute allerdings bewahrt, auch als Erbe des Kirchenkampfs der Bekennenden Kirche. In der Ablehnung einer natürlichen Theologie (als Quelle der Verkündigung der Kirche) wurde der "geschichtlichen Stunde" 1933 mit dem Festhalten an dem einen Wort Gottes eine deutliche Absage erteilt. Gottes Äußerungen im "Buch der Natur" mussten in ihrer Bedeutung hinter das klare Zeugnis der Bibel zurücktreten.

Als Erbe dieser Auseinandersetzung lässt sich die Aussage Karl Barths, des "Kirchenvaters des 20.Jahrhunderts" begreifen: "Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muss sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft … ihre gegebene Grenze hat.“ So befreiend diese beiderseitige Grenzziehung ist, so offen lässt sie die Frage, wie denn das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften angemessen zu bestimmen ist.

 

Neue Herausforderungen

Ein allein schiedlich-friedliches Trennungsmodell der beiden Disziplinen, nachdem die Naturwissenschaft z.B. das „Wie?“ der Weltentstehung beantwortet, die Theologie aber das „Warum?“ scheint überholt. Der Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie erreicht damit ein neues Stadium. Nachdem in der zweiten Hälfte des 20.Jh. zunächst der Einfluss relativistischer wissenschaftstheoretischer Konzepte (Kuhn, Polanyi u.a.) zu einer methodologischen Annäherung der Disziplinen führte, sahen sich viele Physiker aufgrund der tiefgreifenden Erkenntnisse ihrer Wissenschaft bald selbst dazu genötigt, metaphysische Fragen zu stellen. Dies war ein Grund für einen neuen Ansatz im Gespräch. Auch die ökologische Herausforderung sorgte spätestens seit den 1980er Jahren dafür, dass das Gespräch nicht verebbte. Neue Themenfelder sind seitdem hinzugekommen: Fragen der Bioethik, Neuroethik, manchmal der „Neurotheologie“ gar, wenn behauptet wird „Gott wohne im Gehirn“. Auch macht u.a. die Synthetische Biologie von sich reden, in der der Mensch sich anschickt, Gottes Schöpferrolle zu übernehmen. Überhebliche Anmaßung oder Ausdruck seines Geschaffenseins zum Mitschöpfer? Hier scheiden sich die Geister. Apropos Geist: Eine wichtige neuere Anregung für das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaften besteht auch darin, die Geisteswissenschaften stärker zu berücksichtigen und den Dialog in einen "Trialog" aller drei Wissenschaftsbereiche zu überführen. 

 

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Andreas Losch (Editiert am 03.09.2014, 02.01.2017 und 01.08.2019)