Wann wurde Jesus Christus geboren?

Leitartikel von Rainer Hirsch-Luipold

Jesus aus dem galiläischen Dorf Nazareth im Norden Israels wird von einem grossen Teil der Menschheit als der erwartete Messias oder jedenfalls als aussergewöhnlicher ethischer Lehrer verehrt. Seinen Geburtstag feiern Christen in Mitteleuropa traditionell – nach der vorbereitenden Adventszeit, mit der das Kirchenjahr beginnt – am 25. (bzw. 24.) Dezember. Bisweilen stellen auch Muslime einen Weihnachtsbaum auf – aus Freude am Feiern und an der weihnachtlichen Folklore, aber auch, weil Jesus im Koran unter dem Namen «Isa ibn Maryam» als Prophet gewürdigt wird.

Jesus und das Fest der Liebe?

Weihnachten ist bei weitem das populärste christliche Fest. Zeit für die Familie, Licht und Musik, Geschenke. Die Geburt eines Kindes, wenn auch im Falle Jesu unter schwierigen Bedingungen, auf der Reise, vermittelt einen Neuanfang und vermag unterschiedlichste Gefühle zu bündeln. Dass heute Weihnachten meist mehr Business ist als Besinnung baut nicht zuletzt darauf auf.  Aber so wichtig Weihnachten für viele Menschen ist: Das entscheidende Fest der Christen verband sich von Anfang an nicht mit der Geburt, sondern mit dem gewaltsamen Tod Jesu. Nach der Überzeugung der ersten Christen zeugt er nicht nur als Tod eines Märtyrers von einem konsequenten Einstehen für die eigenen Überzeugungen. In der Auferstehung Jesu erwies sich vielmehr der Tod selber als überwunden. Zudem relativierte ein anderer Gedanke die Frage nach der Geburt Jesu, ein Gedanke, der zu heftigen Auseinandersetzungen am Anfang der Geschichte des theologischen Denkens führte: war Jesus eigentlich schon bei der Geburt der Christus, der im Judentum erwartete Gesalbte Gottes?  Oder wurde er das erst später? Etwa mit der Taufe, mit der das älteste Evangelium, das Markusevangelium, die Erzählung vom Leben Jesu beginnt?

Hat Christus überhaupt gelebt?

Für manche lautet die Frage sogar: Wurde Jesus überhaupt jemals geboren? Handelt es sich also tatsächlich um eine historische Figur oder doch eher um einen Mythos? Diese Frage lässt sich nach allen Regeln der historischen Forschung ziemlich eindeutig bejahen. Jedenfalls ist Jesus historisch nicht schlechter belegt als andere Figuren der Antike. Selbst die römischen Historiker verweisen auf Jesus Christus. So weiss Plinius der Jüngere, der unter Kaiser Trajan in den Jahren zu Beginn des 2. Jahrhunderts n.Chr. Statthalter von Bithynien und Pontus war, die Christen hätten sich immer an einem bestimmten Tag zusammengefunden und Christus mit einem Lied gleichsam als einem Gott gehuldigt (Christo quasi deo). So schreibt er in einem seiner Briefe an den Kaiser. Und der Historiker Tacitus erzählt im Kontext des Brandes Roms im Jahr 64 n.Chr., den Kaiser Nero den Christen in die Schuhe zu schieben versuchte, über diese noch weithin unbekannte Gruppe: Der Name Christen «stammt von Christus, der unter Tiberius von dem Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war».

Das Jahr: vor der Zeit!

Die Antwort auf die Frage, wann Jesus geboren ist, könnte auch lauten: unter einem guten Stern. Denn im Matthäusevangelium sagen die Sterndeuter aus dem Morgenland, als sie zu Herodes kommen: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten“ (2,2). Mit dem Morgenland ist das Gebiet der babylonischen Chaldäer gemeint, die gemäss antiker Tradition in der Lage sind, die Sterne zu deuten. Mit dem Hinweis auf die Sterne ist tatsächlich ein handfester Anhaltspunkt gegeben, der uns den Weg zum Geburtstag Jesu weisen könnte. Denn außergewöhnliche Sternkonstellationen, wie sie die Weisen gesehen haben könnten, können wir bekanntlich auch 2000 Jahre später noch genau berechnen. Wenigstens dem Jahr, in dem Jesus geboren ist, sollten wir auf diesem Weg näherkommen. Und tatsächlich lassen sich für den fraglichen Zeitraum verschiedene Sternkonjunktionen errechnen, die ein entsprechendes Schauspiel geboten haben dürften, genauer gesagt für die Jahre 7, 5 und 4 vor Christus. Jesus wäre also vor der Zeit geboren!

Geburtstag: 25.12. 1?

Wann aber wurde Jesus geboren? Unsere traditionelle Antwort lautet: Am 25. Dezember (bzw. in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember) im Jahr 1. So steht es immerhin in einer Liste aus der Mitte des 4. Jahrhunderts (354 n.Chr.) bei dem römischen Epigraphiker Furius Dionysius Filocalus. Dort ist der Geburtstag Jesu für diesen Tag in einer Liste von Todestagen von Märtyrern verzeichnet: natus Christus in Betleem Iudeae ("Christus ist in Bethlehem in Judäa geboren"). Die historische Verlässlichkeit dieses Datums ist etwa so, als würden Barack Obamas Geburtstag und Herkunft, die bekanntlich vor seiner Wahl im amerikanischen Wahlkampf strittig waren, erstmals im Jahr 2350 aufgezeichnet – ohne vorgängige Nennung in einem Geburtsregister. Und entsprechend gibt es im Laufe der frühen Kirchengeschichte eine ganze Reihe alternativer Angebote für den Geburtstag Jesu, die sich aber nicht durchsetzen konnten. Nähern wir uns also der Frage an, wann Jesus geboren ist, indem wir uns zunächst den Tag und dann das Jahr anschauen.

Der Tag: Wann genau ist „Weihnachten“?

Weihnachten ist am 25. Dezember, sagt das katholische Kind, das protestantische Kind dagegen ist sicher, dass Jesus schon in der Heiligen Nacht, also am 24. Dezember, geboren wurde. Den Dissens muss man nicht überbetonen. Feste beginnen in der orientalischen Tradition, wie etwa die jüdische Feier des Sabbat, am Vorabend, weil der Tag mit dem Abend beginnt: „Es wurde Abend, es wurde Morgen – der erste Tag“, so heisst es im biblischen Schöpfungsbericht. Wer dagegen den 6. Januar für den richtigen Termin hält, entstammt mit einiger Sicherheit der orthodoxen Tradition. Wieso aber feiern orthodoxe Christen Weihnachten zwei Wochen später? Nun, das hängt nicht eigentlich mit der Datierung, sondern lediglich mit dem Kalender zusammen. Während im Westen der von Papst Gregor XIII Ende des 16. Jh.s eingeführte gregorianische Kalender gilt, richten sich verschiedene orthodoxe Kirchen nach wie vor nach dem julianischen Kalender, dem ältesten Solar-Kalender. Beide Traditionen beziehen sich also auf denselben Geburtstermin Jesu, der aber aufgrund der Kalenderreform nun zwei Wochen auseinander liegt. Wenn wir jetzt noch berücksichtigen, dass in Melbourne der 25. Dezember bereits beginnt, während in Rom noch Heiligabend ist, dann ist die Konfusion perfekt und wir ahnen, dass die historische Frage nach dem Geburtstag Jesu die Bedeutung nicht zu erfassen vermag, die sich für die Glaubenspraxis mit diesem Tag verbindet. Der Geburtstag Jesu war von Anfang an kein historisches Datum; in ihm spiegelt sich ein Stück Religionsgeschichte. Denn der Geburtstag des „Morgensterns“ Jesus ersetzt das Fest des römischen Sonnengottes, des Sol invictus, das am 25. Dezember gefeiert wurde.

Besondere Ereignisse – besondere Zeichen

Freilich war es naheliegend, so könnte man einwenden, die einzigartige Geburt des Messias im Rückblick mit dem außergewöhnlichen Ereignis einer besonderen Sternkonstellation zu garnieren. Besondere Ereignisse fordern besondere Zeichen! So brachte man zum Beispiel im Nachhinein den Beginn des dreißigjährigen Krieges mit dem geschweiften Kometen in Zusammenhang, den Johannes Kepler am 29. November 1618 zum ersten Mal sah, während Historiker heute doch eher den Prager Fenstersturz am 23. Mai desselben Jahres als Initialzündung betrachten). Aber die matthäische Erzählung vom Kindermord des Königs Herodes, der seine eigene Herrschaft durch den neugeborenen König bedroht sieht (dass das eine Fehlinterpretation des Herrschaftssanspruchs Jesu ist, wird sich erst später zeigen), liefert ein weiteres Detail, das die genannte Datierung stützt: Da Herodes im Jahr 4 v.Chr. gestorben ist, könnte Jesus spätestens in diesem Jahr geboren sein – die Sterne hätten also recht!

Verspätete Volkszählung

Dagegen führen die Aussagen bei dem Evangelisten Lukas, dem Historiker unter den Evangelisten, der sich an die Regeln griechischer Geschichtsschreibung anzulehnen versucht, auf ein deutlich anderes Datum: „Es geschah aber zu dieser Zeit, dass eine Anordnung von dem Kaiser Augustus ausging, dass eine Volkszählung im ganzen Imperium stattfinden sollte. Und diese erste Volkszählung geschah, als Quirinius Statthalter von Syrien war.“ Augustus herrschte von 27 v.Chr. bis 14 n.Chr, die Volkszählung aber steht im Zusammenhang mit der Eingliederung Judäas in die römische Provinz Syrien, die sich präzise auf das Jahr 6 n.Chr. datieren lässt. Während also nach Matthäus die Geburt Jesu spätestens um 4 v.Chr. stattgefunden haben kann, weisen die Angaben bei Lukas auf frühestens 6 n.Chr. Man kann bei dieser uneindeutigen Beweislage nur versuchen, andere, gewissermassen „weiche“ Faktoren einzubeziehen, um so einer Entscheidung für eines der beiden Daten näherzukommen. Solche weiche Faktoren tragen zu einer relativen Chronologie bei, führen also nicht auf eine bestimmte Jahreszahl. So erzählt das Lukasevangelium, dass Jesus und Johannes der Täufer ungefähr gleichzeitig geboren wurden, und wohl auch ungefähr im selben Jahr starben. Verbindet man nun die Aussage in Lk 3,23, dass Jesus bei seinem ersten Auftreten ungefähr 30 Jahre alt war, mit der Datierung des Auftretens des Johannes ins 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius (Lk 3,1), eine Angabe, die man je nachdem auf 26/27 oder 28/29 nChr. deuten kann, so würde man beim ersten Ansatz wiederum auf das Jahr 4 v.Chr. kommen, jedenfalls aber nicht auf das Jahr 6 n.Chr.

Was ist wahr, was ist wichtig?

Die erste Frage sollte freilich sein: Weshalb ist die Datierung des Geburtstags Jesu eigentlich wichtig? Wonach fragen wir, wenn wir fragen, wann er tatsächlich geboren ist? Nehmen wir einmal eine andere historische Frage: Standen eigentlich Ochs und Esel an der Krippe bei Jesu Geburt, wie wir das aus Kinderbüchern und Kirchenmalerei kennen? An die Krippe Jesu treten sie jedenfalls, so viel können wir mit Sicherheit sagen, noch nicht im Neuen Testament, sondern erst in der frühchristlichen Ikonographie. In der Bibel finden wir sie aber doch, nämlich beim Propheten Jesaja: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn“ (Jes. 1,3). Das liess sich gut auf den neugeborenen König übertragen. Dass Tiere historisch tatsächlich an der Krippe Jesu gestanden haben, ist alles andere als unwahrscheinlich, wenn er denn in einem Stall zur Welt gekommen ist. Viel wichtiger aber ist:  das Motiv verrät uns etwas über die Bedeutung Jesu! Er erweist sich dadurch als der Herr, den Jesaja angekündigt hat. Der griechische Philosoph und Historiker Plutarch, der als Vater der Biographie gilt und zeitgleich mit den späteren Schriften des Neuen Testaments gewirkt hat, schreibt am Beginn seiner Alexanderbiographie, es seien oft die kleinen Details, die am besten Auskunft über das wahre Wesen eines bedeutenden Menschen geben. Eine gute Leseanleitung für die Evangelien!

Wann wurde Weihnachten geboren?

Interessant ist, was Paulus als älteste Überlieferung über Jesus zitiert: „Ich habe euch weitergegeben, was ich auch selbst empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen“ (1Kor 15,3-5). Von Jesu Geburt keine Rede. Eigentlich von Jesu ganzem Leben nicht, das vielmehr auf einen Punkt verdichtet wird – seinen Weg ans Kreuz und zur Auferstehung. Dass diese besondere Perspektive auf Jesus nicht nur damit zusammenhängt, dass Paulus ihn nie kennengelernt hat, sondern erst nach seinem Tod zum Glauben an ihn gekommen ist, bestätigt die erste „Biographie“ Jesu, das Markusevangelium. Auch dort ist, wie später im Johannesevangelium, von der Geburt und Kindheit Jesu keine Rede. Offenkundig sind diese frühen Autoren an Geburt und Kindheit Jesu, mithin an Weihnachten, nicht interessiert. Erst Matthäus und Lukas füllen diese Lücke aus. Noch in der Alten Kirche waren Geburtstage nicht von Bedeutung – der berühmte christliche Gelehrte und Theologe Origenes (geb. 185, gest. um 254) etwa wendet sich explizit dagegen, sie zu feiern. Wichtig waren vielmehr die Namenstage, die auf die Todestage der Märtyrer zurückgehen. Und deshalb feierte man nach dem Zeugnis der frühen Kirchenväter am Anfang auch nicht Weihnachten.

Was also ist das entscheidende Datum im Zusammenhang von Weihnachten? Die Pointe des Festes besteht darin, dass sich nach christlicher Lehre überhaupt ein Zeitpunkt in der Geschichte angeben lässt, wann sich Gott selbst in Welt und Geschichte hineinbegeben hat – wenn auch nicht auf den Tag genau.

Rainer Hirsch-Luipold
Dezember 2018

Lit.: M. Öhler, Geschichte des frühen Christentums, Göttingen 2018, 83f.

Prof. Dr. Rainer Hirsch-Luipoldist Ordentlicher Professor für Neues Testament und Antike Religionsgeschichte und seit 2015 zusätzlich Extraordinary Professor at Stellenbosch University (SA), Department of Ancient Studies. Er arbeitet gegenwärtig an einem Kommentar zum Johannesevangelium und einem Buch „The Theology of a Platonist Philosopher. Religion and God in Plutarch“. In Forschungsprojekten beschäftigt er sich unter anderem mit dem integrativen Potential monotheistischer Denkfiguren, der religiösen Deutung von Epilepsie in Geschichte und Gegenwart sowie mit der anthropologischen Theologie des christlichen, jüdischen und pagan-religiösen Platonismus. Er ist Mitherausgeber der Schriftenreihe SAPERE (Mohr Siebeck) und der Encyclopedia of the Bible and its Reception (De Gruyter)

Gott wahrnehmen. Die Sinne im Johannesevangelium (Ratio Religionis Studien IV), WUNT 374, Tübingen 2017;

Maximos von Tyros, Ist Beten sinnvoll? Die 5. Rede des Maximos von Tyros (SAPERE 31), Tübingen 2018;  

Plutarchs Denken in Bildern. Studien zur literarischen, philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften, STAC 14, Tübingen 2002;

Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven (Ratio Religionis Studien I), hrsg. v. R. Hirsch-Luipold/H. Görgemanns/M. v. Albrecht, unter Mitarbeit v. T. Thum, STAC 51, Tübingen 2009.

Bildnachweis
CARAVAGGIO, ITALY - 24-8-2017. Mosaic: Nativity @fotolia.com | Urheber: matthia
Weihnachtsbaum mit Palmen: Foto von Thomas Kelly auf Unsplash
Colosseum Rom Datei: #145809361 | Urheber: h.61.b
The three kings following the star. Datei: #176042086 | Urheber: Rawpixel.com
"Die Geburt Christi" (B. Luini, 1525) auf Wikimedia Commons

Was ist das entscheidende Datum im Zusammenhang von Weihnachten?

Für Rainer Hirsch-Luipold besteht die Pointe des Festes darin, dass sich nach christlicher Lehre ein Zeitpunkt in der Geschichte angeben lässt, wann sich Gott selbst in Welt und Geschichte hineinbegeben hat – wenn auch nicht auf den Tag genau. Halten Sie seine Argumentation für plausibel? Und welches Datum ist Ihnen am wichtigsten oder für sie am überzeugendsten?

Kommentare (3)

  • Blome, Bärbel
    Blome, Bärbel
    am 14.12.2022
    Ich finde diese Angaben als sehr wichtig und wahrscheinlich. Ob wir Jesus Geburt am 24.12. oder an einem anderen Zeitpunkt gedenken ist für mich nicht von Belang. Mir ist es wichtiger, dass wir ihn, Jesus, irgendwo in der Realität, einordnen können als einen Menschen aus Fleisch und Blut.
  • Jesus
    Jesus
    am 21.12.2022
    Für mich war dieser Text nicht sehr informierend, da ich das meiste schon wusste.
  • Holger
    Holger
    am 18.06.2023
    Es geht um Tod und Wiederauferstehung. Der Abendstern geht unter (Tod) und geht danach als Morgenstern auf (Wiederauferstehung). Es handelt sich dabei jedoch nicht um ein Monopol vom Christentum. Dieser Mechanismus ist auch in der griechischen, ägyptischen und römischen Mythologie bekannt. In der Offenbarung 22,16 (Neues Testament) outet sich Jesus als der helle Morgenstern. Dieser Morgenstern heißt in der griechischen Mythologie Phosphoros und steht im Zusammenhang mit dem chemischen Element Phosphor (Lichtträger / Lichtbringer).

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