Homöopathie - eine kritische Stellungnahme

Leitartikel von Edzard Ernst

Die Homöopathie ist offenbar ein ganz besonderes Thema; will man ihren Anhängern glauben, dann ist jemand entweder ein Verfechter dieser Behandlungsweise, oder er hat ganz einfach zu wenig Ahnung, um eine konträre Meinung kompetent zu vertreten. Mit aus diesem Grund bin ich seit Jahren ein Dorn im Auge der Homöopathie. Nachdem ich Homöopathie in einem homöopathischen Krankenhaus gelernt hatte, habe ich mich über 20 Jahre lang mit ihr als Forscher auseinandergesetzt. Der Vorwurf, ich sei nicht kompetent, die Homöopathie zu kritisieren, ist also wenig glaubhaft.

Meine Kritik an der Homöopathie bezieht sich vor allem auf drei Punkte:

  1. Die Axiome der Homöopathie sind nicht plausibel.
  2. Ihre klinische Wirksamkeit ist trotz vieler Studien nicht belegt.
  3. Entgegen einer Flut gegenteiliger Behauptungen ist die Annahme, die Homöopathie sei ungefährlich, nicht zutreffend.

Im Folgenden werde ich versuchen zu diesen Punkten kurz Stellung zu nehmen.

1. AXIOME

1.1 Plausibilität

Die Homöopathie beruht im Wesentlichen auf zwei Grundannahmen:

  • Ähnliches ist mit Ähnlichem zu heilen
  • Das Potenzieren eines Homöopathikums macht es klinisch wirksamer

Beide Axiome widersprechen den Naturgesetzen, so wie wir sie heute verstehen.

Ähnliches mit Ähnlichem heilen [similia similibus currantur] bedeutet z. B., dass ein Homöopath Zwiebel gegen Heuschnupfen einsetzt, denn die Zwiebel reizt Nase und Augen, ebenso wie Heuschnupfen durch tränende Nasen und Augen charakterisiert ist. In der Homöopathie wird dieses Ähnlichkeitsprinzip konsequent verwirklicht; ein krasses Beispiel hierfür ist das Mittel ‘Berliner Mauer’, das gegen Klaustrophobie und Kommunikationsschwäche wirken soll.

Samuel Hahnemann, der deutsche Arzt, der vor etwa 200 Jahren die Homöopathie entwickelt hat, glaubte, das Ähnlichkeitsprinzip entdeckt zu haben, als er am eigenen Leib erfuhr, dass die Einnahme von Chinin [ein Mittel gegen Malaria] bei ihm die Symptome von Malaria auslöste. Man nimmt heute an, dass diese Beobachtung Hahnemanns auf einem Missverständnis beruht: Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Symptome, die er beschrieb, auf seine Chinin-Intoleranz zurückzuführen. Nichtsdestotrotz meinte Hahnemann, ein Naturgesetz entdeckt zu haben und formulierte ‘similia similibus currantur’ als Grundlage seiner Heilslehre.

Natürlich gibt es Symptome, bei der das Ähnlichkeitsprinzip zutrifft; so hilft z.B. ein Glas Bier vielen Alkoholikern, einen Alkohol-Kater zu lindern. Als ein Naturgesetz, dass den Anspruch stellt, auf alles in der Medizin anwendbar zu sein, ist es jedoch völlig unbrauchbar. Diese ziemlich offensichtliche Tatsache wird von Homöopathen beflissentlich negiert, und sie halten dogmatistisch an Hahnemanns Dictum fest.

1.2 Potenzieren

Homöopathika sind in aller Regel hochverdünnt. Um das o. g. Beispiel der Zwiebel zu verwenden, der Zwiebel-Extrakt wird nicht pur eingesetzt, sondern er wird in vielen Schritten [meist 1:10 oder 1:100] verdünnt und bei jedem Verdünnungsschritt geschüttelt, ein Prozess, den Homöopathen ‘Potenzieren’ nennen. Wie dieser Name bereits andeutet, wird gemäß homöopathischer Lehrmeinung das so ‘verschüttelte’ Mittel nicht schwächer, sondern potenter.

Homöopathische Potenzen werden meist mit C oder D bezeichnet; C charakterisiert eine Verdünnung von 1:100 und D eine von 1:10. Hinter diesen Buchstaben stehen stets Zahlen, die die Anzahl solcher Verdünnungsschritte bezeichnen. Eine bereits von Hahnemann und auch heute noch häufig verwendete Potenz ist die C30. Ein solches Mittel ist demnach 30 mal 1:100 verdünnt worden. Das heißt, dass ein Teil der Ausgangssubstanz [Homöopathen sprechen von ‘Muttertinktur’] auf 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 Teile des Lösungsmittels kommen. Anders ausgedrückt: Um noch mindestens ein Molekül der Muttertinktur zu enthalten, müssten C 30 Globuli einen Durchmesser haben, der etwa der Distanz zwischen Sonne und Erde entspricht.

Homöopathen sind sich dieser Zusammenhänge natürlich bewusst, und sie haben während der letzten 200 Jahre alles versucht, ihre Annahmen plausibler erscheinen zu lassen. Zunächst sprach man davon, dass Wasser [das Lösungsmittel] ein ‘Gedächtnis’ habe. Es sollte dadurch zustande kommen, dass durch das Potenzieren eine nicht näher genannte Energie oder Information oder Vitalkraft auf das Wasser übertragen wird. Als die erste Atombombe über Hiroshima fiel, haben Homöopathen erklärt, dass die atomare Energie ihre Therapie erklären könne. Heute bedienen sie sich häufig der Quantenphysik und anderer ‘wissenschaftlicher’ Schein-Erklärungen. Aber keine dieser Mutmaßungen ist bisher über das Niveau der Spekulation hinausgewachsen, und selbst viele Homöopathen geben heute offen zu, dass die Annahme, hoch-verdünnte Homöopathika hätten biologische Effekte, nicht wissenschaftlich erklärbar ist.

2. Wirksamkeit

Heute gibt es etwa 230 kontrollierte klinische Studien, die die Wirksamkeit der Homöopathie prüfen. Ihre Ergebnisse sind erwartungsgemäß nicht einheitlich; einige implizieren, dass Homöopathika reine Placebos sind, andere bestätigen diesen Befund nicht.

Bei einer solchen Datenlage ist es natürlich immer unzulässig, sich die ‚Rosinen aus dem Teig zu picken’ und mehrheitlich solche Studien zum Beleg einer These vorzulegen, die einem zufällig in den Kram passen. Die einzige objektive Vorgehensweise besteht darin, alle Studien zu evaluieren und zu eruieren, was die verlässlichsten von ihnen zeigen; mit anderen Worten, wenn die Datenlage so widersprüchlich ist, wie das bei der Homöopathie der Fall ist, dann sollten wir uns auf Meta-Analysen und systematische Reviews stützen, wenn wir die Wirksamkeit der Homöopathie objektiv definieren wollen.

Inzwischen sind über 50 solche Zusammenfassungen der Primärstudien publiziert worden, die die Homöopathie unter den verschiedensten Gesichtspunkten [z. B. bei unterschiedlichen Indikationen] evaluieren. Die neueste und bei weitem gründlichste davon stammt von dem ‘National Health and Research Council of Australia’ und kommt zu folgender Schlussfolgerung: “Die Evidenz der humanmedizinischen Forschung zeigt bei den untersuchten Krankheiten keine Wirksamkeit der Homöopathie”. [1]

Damit wäre zur Wirksamkeit der Homöopathie eigentlich alles gesagt, was wichtig ist, zumal mehrere ähnliche Analysen in der Vergangenheit nahezu identische Schlüsse gezogen haben.[2] Man kommt jedoch nicht umhin, zu bemerken, dass die allermeisten Homöopathen solchen Konklusionen vehement widersprechen. Sie verweisen auf zahlreiche nicht-kontrollierte Untersuchungen, die für die Wirksamkeit der Homöopathie sprechen und ihrer Meinung nach das o. g. Urteil widerlegen.

Es stellt sich also die Frage: Wie ist es zu erklären, dass Fallserien und Outcome-Studien zur Homöopathie positiv ausfallen, während die besten kontrollierten Studien dies meist nicht tun?

Die Antwort ist sehr viel einfacher, als uns Homöopathen das glauben machen wollen. Unkontrollierte Untersuchungen haben keine Möglichkeit, den Einfluss unspezifischer Faktoren wie z.B. Placebo-Effekte, die Naturgeschichte der Erkrankung oder Regression zur Mitte, zu kontrollieren. Wenn in kontrollierten Studien diese Faktoren erfolgreich eliminiert werden, dann verschwindet auch meist der therapeutische Effekt der Homöopathika. Das bedeutet, die vermeintliche Wirksamkeit der Homöopathie beruht ziemlich eindeutig nicht auf den spezifischen Effekten der Homöopathika, sondern auf unspezifischen Kontext-Effekten.

3. Sicherheit

Auch zur Sicherheit der Homöopathie sollte man nicht alles glauben, was Homöopathen verbreiten. Natürlich können hoch-verdünnte Homöopathika keine Nebenwirkungen hervorrufen, die über einen Nocebo-Effekt hinausgehen. Aber, dass bedeutet noch lange nicht, dass die Homöopathie als solche ungefährlich sei.

Prinzipiell kann jede noch so harmlose aber ineffektive Therapie lebensgefährlich werden, wenn sie als Alternative zu einer effektiven Behandlungsform bei einer ernsten Erkrankung eingesetzt wird. Und dass das für die Homöopathie zutrifft, kann wohl niemand bezweifeln, der sich einmal im Internet informiert, für welche Indikationen Homöopathie häufig angepriesen wird – die Wahl reicht hier von Ebola bis zum Krebs und von Cholera bis zu AIDS.                             

4. Konklusion

Die Homöopathie beruht auf Annahmen, die mit unseren heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht in Einklang zu bringen sind. Obwohl wir heute über mehr als 200 kontrollierte Homöopathie-Studien verfügen, ist ihre Wirksamkeit nicht belegt. Schließlich ist das Postulat, sie sei völlig ungefährlich, schlichtweg unrichtig. Zieht man diese Punkte kritisch in Betracht, so ist keine andere Schlussfolgerung möglich, als dass man von der Homöopathie dringend abraten muss.

Edzard Ernst
Veröffentlicht im September 2016

 

 

Professor Ernst hat in München Medizin studiert. 1990 ist er einem Ruf nach Wien gefolgt und 1993 ging er nach Exeter, um dort den weltweit ersten Lehrstuhl fuer Komplementärmedizin aufzubauen. Seit 2013 ist er emeritiert. Er hat über 1000 Artikel und 50 Bücher publiziert, z. B. ‘Nazis, Nadeln und Intrigen, Erinnerungen eines Skeptikers’.

 

Sie lesen lieber aus einem Buch? Sie finden diesen Artikel auch in unserem zweiten Buch zu dieser Webseite, "Die Vermessung der Welt und die Frage nach Gott" (Bonn 2018). 18 Beiträge von renommierten Autoren, darunter auch ein Nobelpreisträger, führen in den Dialog mit der Wissenschaft angesichts der Gottesfrage ein.

[2] Mehr Literatur hierzu auf meinem Blog: edzardernst.com 

    Bildnachweis

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      Was halten Sie von Homöopathie?

      Edzard Ernst ist in seiner kritischen Stellungnahme überzeugt, dass die Homöopathie auf Annahmen beruht , die mit unseren heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht in Einklang zu bringen sind. Auch sei das Postulat, sie sei völlig ungefährlich, schlichtweg unrichtig. Wie stehen Sie dazu?

      Kommentare (4)

      • Jonas Schimke
        Jonas Schimke
        am 10.07.2017
        Herrn Ernst ist unbedingt zuzustimmen. Wenn Homöopathie überhaupt eine Wirkung hat, dann ist diese ausschließlich auf den Placebo-Effekt zurück zu führen.

        Doppelblindtests mit "echten" homöopathischen Mitteln sowie mit reinen Placebos haben dies nachgewiesen. Wenn weder Arzt noch Patient wissen, ob sie ein homöop. Mittel oder ein Placebo bekommen haben, ist die "Heilwirkung" des verabreichten Mittels völlig unabhängig von dessen Natur.
      • Hans Hanert
        Hans Hanert
        am 28.08.2017
        Ich bin ddr-sozialisiert, und mit der friedlichen Revolution auf die alternativen Medizin-Möglichkeiten gestoßen. Durch unsere damalige Kinderärztin haben wir zur Homöopathie gelernt. Seitdem betreiben wir sie. Da ich mit starker Migräne zu tun habe, habe ich jetzt einen Weg gefunden, mit homöopatischen Mitteln damit zurecht zu kommen. Da ich seit Kindheit erkältungsanfällig bin, mit Homöopathie bin ich weg von Antibiotika. Das sind meine Erfahrungen. Hinzu kommt: Homöopathie kaufe ich selber - auf Rezept - und komme finanziell günstiger.
        Diejenigen, die sagen, das sei wegen der fehlenden Nachweise nur ein Placebo-Effekt, müssen mal überlegen, ob sie für alles, was sie sich nicht erklären können, "Placebo" einsetzen. Ich halte den grundsätzlichen Denkfehler, der in den Kritiken liegt, in einer fehlenden erkenntnistheoretischen Selbstkritik: Denn man muss fragen, ob die Versuchsanordnungen, die bisher in Feld der Kritik geführt wurden, der Sache angemessen waren.
        Ich war im Hahnemann-Zentrum in Torgau, und habe mir das mal angeschaut. Dort fand ich den Hinweis, dass homoöpathie-Mittel in das Informationssystem des Körpers gehen. Wenn ich dann in den Wissenschaftssendungen im Deutschlandfunk höre, wie sehr die sog. Nano-Medizin in den Anfängen stecke, wie kann man Glauben machen, dass die herkömmlichen Versuchsanlagen zur Homöopathie der Sache angemessene (Glaserfeld) Ergebnisse brächte ?
        Zur Auseinandersetzung mit der klassischen Medizin (Kapitel Sicherheit) kann ich aus meinem Erleben hier in Görlitz nur sagen, dass dort, wo klassische Medizin für angemessen gesehen, dort wird sie angewandt, und dort, wo Homöopathie angemessen erfahren wird, wird Homöopathie eingesetzt.
      • Gustav Sucher
        Gustav Sucher
        am 11.10.2018
        Hallo, meine Mutter macht alles mit Homöopathie. Sie schwört auf diese Theorie. Mein Bruder dagegen sagt immer, dass das nur Zucker sei. Aber ich finde, dass Homöopathie wirklich interessant ist, wenn die Inhaltsstoffe von Pflanzen kommen, die uns auch schon früher sehr geholfen haben. Danke für die Infos! https://www.millratherapotheke.de/homoeopathie/
      • Rudolf Kaiser
        Rudolf Kaiser
        am 22.06.2022
        Ich verweise auf die wissenschaftliche Arbeit des schwedisches Arztes und Metaanalysen-Experten DR. Robert Hahn. Hahn geniest große Anerkennung und der Medizinwelt für seine professionellen Analysen von Statistiken. Aus Interesse, ohne Fachkewnntnis bezüglich Homöopathie interessierte ihn die große Diskrepanz von Gegenern und Befürwortern. Sein Ergebnis: Nur wenn man 90% des vorhandenen Statistikmaterials nicht oder falsch verwendet, hat die Homöopathie nur Placebowirkung.
        Dafür wurde Hahn von der Ärzten heftig kritisiert, weil er damit der Schulmedizin in den Rücken fällt. Tatsachen gefallen halt nicht jedem.
        Auch wie klug sind wir Europäer und gerade wir Deutschen. Was technisch nicht direkt (indirekt durch Laborwerte ja durchaus) messbar ist, kann nicht sein. In anderen Ländern geht man wissenschaftlicher mit dieser Thematik um, dort sind Lehrstühle eingerichtet. Das ist Wissenschaft und nicht Stammtischpolemik wie oft bei uns. In vielen Ländern ist Homöopathie eine Standardtherapie, weil billig und effizient und weil es dort weniger Einfluss durch patentsuchende Unternehmen gibt.

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