Top-Themen im Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie – aus persönlicher Perspektive

Leitartikel von Michael Welker

In den letzten 30 Jahren wurde der Dialog zwischen Naturwissenschaften und Theologie insbesondere in der angelsächsischen Welt stark weiterentwickelt. In seinem Buch Science and Theology: The New Consonance (1998) hat Ted Peters 13 Vertreter dieses Dialogs versammelt und vier unterschiedliche Phasen benannt, nämlich erstens die methodologische Phase, zweitens die physikalische Phase, drittens die biologische Phase und viertens die theologische Phase.  Ich beteiligte mich an diesem Dialog von der zweiten, der physikalischen Phase an – oder besser gesagt, an ihrem Ende, im Übergang zur biologischen Phase.

Die sogenannte methodologische Phase hatte ich bereits beobachtet. Sie war sehr stark vom Werk Ian Barbours, eines amerikanischen Physikers und Theologen, geformt worden. Sein Einfluss lässt sich am besten anhand seiner Gifford Lectures von 1989-1991, Religion in an Age of Science, Band 1 (1990), ermessen. Hier beschreibt Barbour vier Wege, Naturwissenschaft und Religion in Beziehung zu setzen: die Methoden des Konflikts, der Unabhängigkeit, des Dialogs und der Integration. Er spricht von Modellen und Paradigmen, charakterisiert Entwicklungen des 20. Jahrhunderts in Physik, Astronomie und Biologie und bewertet Metatheorien, die für den Dialog entwickelt worden sind. Barbours Arbeiten sind eine Pionierleistung. Einer meiner Doktoranden, Christian Berg, ein Physiker und Theologe, schrieb seine Doktorarbeit Theologie im technologischen Zeitalter: Das Werk Ian Barbours als Beitrag zur Verhältnisbestimmung von Theologie, Naturwissenschaft und Technik (2002) über Barbours Schriften. Da ich aber nicht genügend theologische Ergebnisse dieses Metadiskurses erkennen konnte, reizte mich die methodologische Phase nicht, mich mit großer Energie und Konzentration darauf einzulassen. Anders gesagt, was war das spezifische Resultat dieses Metadialogs für Theologie oder Naturwissenschaft? Nach meiner Auffassung war die methodologische Phase eine Aufwärmphase, eine Vorbereitungsphase für einen neuen Ansatz nach Zeiten der wechselseitigen Ignoranz, der Furcht voreinander und dem Verlangen nach Unabhängigkeit voneinander.

In Deutschland hatte es bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein größeres Interesse an dem Dialog gegeben, aber dessen Ergebnisse schienen mir nicht weiterführend zu sein. Es gab keine Genies wie Alfred North Whitehead in England (und später in den USA), d.h. Personen, die in ihrem interdisziplinären Werk Naturwissenschaft und Religion kreativ in Beziehung setzten. Natürlich wurden verschiedene Kooperationen initiiert und auch Institutionen für den Dialog gegründet – z.B. die Heidelberger FEST, 1957/58 errichtet, die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft. Institut für interdisziplinäre Forschung e.V. Dort veröffentlichte der Biologe und Theologe Jürgen Hübner bereits 1987 eine Bibliographie von 520 Seiten, Der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Doch die Bemühungen der FEST schienen in den letzten Jahrzehnten kaum noch systematisch innovative Ergebnisse des Gesprächs hervorzubringen. Als ich während meiner Zeit als Direktor am Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg (IWH) Ende der neunziger Jahre eine Konferenz zu Modellen des Diskurses von Naturwissenschaft und Religion (Berkeley, Princeton, Cambridge (UK), Zürich, Marburg, Heidelberg) veranstaltete, war der Ertrag der Heidelberger FEST nach Hübners Aussage eher dürftig. Sie hatten sich hauptsächlich auf historische Modelle dieses Dialogs konzentriert.

Persönliche Begegnungen

Ein völlig anderes Klima, ein Klima des Aufbruchs, herrschte dagegen am Center of Theological Inquiry (CTI) in Princeton, wo sein Direktor Dan Hardy einen mehrjährigen internationalen und interdisziplinären Diskurs über Naturwissenschaften und Theologie in die Wege geleitet hatte. Ähnlich verhielt es sich am Center for Theology and the Natural Sciences (CTNS) in Berkeley, Kalifornien, wo Robert John Russell, zusammen mit den Mitgliedern der Forschungsgruppe des Vatikanischen Observatoriums in Italien und Arizona, ein faszinierendes mehrjähriges Kooperations- und Forschungsprojekt begonnen hatte. Physics, Philosophy and Theology: A Common Quest for Understanding” (1988) lautete der Titel des ersten von vielen beeindruckenden Bänden, zu denen Papst Johannes Paul II. eine aufschlussreiche Einführung schrieb.

Eine Schlüsselfigur in der fruchtbaren Erneuerung des Dialogs und in der Ausbildung der physikalischen Phase war aus meiner Sicht John Polkinghorne. Polkinghorne hatte am Trinity College der Universität Cambridge als mathematischer Physiker gelehrt. In seinen vierziger Lebensjahren entschloss er sich, Theologie zu studieren und Pastor zu werden. Bald jedoch machte ihn Cambridge zum Präsidenten des Queens‘ College. Polkinghorne veröffentlichte verschiedene kleinere Bücher zu Naturwissenschaft und Theologie, Bücher, die nicht nur die akademischen Kollegen anregten, sondern auch die weitere Öffentlichkeit. Eines seiner beeindruckenden Bücher ist The Faith of a Physicist: Reflections of a Bottom-Up Thinker (1994), das seine Gifford Lectures enthält. Es gibt seine Reflexionen zum Nizänischen Glaubensbekenntnis im Geiste und mit den Augen eines Physikers und Naturwissenschaftlers wieder – ein äußerst faszinierendes Buch.

Handelt Gott in der Welt der Physik?

In den frühen neunziger Jahren nahm ich an einer Konsultation des Center of Theological Inquiry (CTI) in Princeton teil. Das allgemeine Thema war der Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie über Gott und göttliches Handeln. Unter den Teilnehmern waren nur drei oder vier Theologen bzw. Religionsphilosophen, jedoch zehn theologisch oder religiös interessierte Naturwissenschaftler. Einen ganzen Tag lang sprachen die Naturwissenschaftler über die ungeheuren raumzeitlichen Dimensionen des Universums. Wurden wirklich 13,8 Milliarden Jahre benötigt, um den Kosmos und die Welt hervorzubringen? Ihre Antwort lautete: Ja, so viel Zeit war nötig, um die Sternensysteme hervorzubringen, die wieder zu Staub werden mussten, um den Sternstaub hervorzubringen, aus dem wir alle gemacht sind. Ein Kollege legte das Wunder, dass wir Menschen existieren, wie folgt dar: „Stell dir vor, du bist zum Tode verurteilt. Deine Augen sind verbunden. Zwölf Scharfschützen schießen auf dich – aber kein einziger Schuss trifft dich. Du könntest sagen: Das war einfach ein Wunder. Oder du würdest herausfinden wollen ...“ Die Naturwissenschaftler wandten sich dann an uns, die Theologen, und sagten: „Wir wollen, dass ihr eure Ressourcen und insbesondere den biblischen Kanon so ernst nehmt wie wir unser Material.“ Sie fügten hinzu, dass sie sich nicht mit allgemeinen metaphysischen Gottesgedanken zufriedengeben würden.

 

Wir sprachen dann über die Schöpfung, über die Unterscheidung von Himmel und Erde und über göttliche Kreativität. Die Atmosphäre  unter uns war sehr angeregt, doch es war auch deutlich, dass wir auf sehr unterschiedlichen Gebieten operierten. Wir erkannten, dass wir ein spezifischeres gemeinsames Thema benötigten, und so wählten wir für das nächste Treffen Gott und Zeit. Im Jahr darauf kamen wir wieder zusammen, jeder mit einem 3- bis 5seitigen Positionspapier. Die Diskussion war wieder sehr fruchtbar, doch wir sahen, dass das Thema immer noch zu breit war. So legten wir als neues Thema für das kommende Treffen Gott, Zeitlichkeit und Kontingenz fest. Der Direktor des Centers drängte uns nicht, zügig auf die Publikation unserer Ergebnisse hinzuarbeiten. Vielmehr war es ihm wichtig, einen guten Diskurs zu kultivieren. Das erwies sich leider als Fehler, als die Leitung des Centers wechselte und unser wertvolles Projekt nicht länger fördern wollte. Glücklicherweise gelang es John Polkinghorne und mir, den neuen Leiter, Wallace Alston, zu überzeugen, ein neues Projekt zum Dialog von Naturwissenschaft und Theologie in die Wege zu leiten. Dieses mehrjährige Projekt war äußerst erfolgreich. Wir publizierten seine Ergebnisse im Jahr 2000 als The End of the World and the Ends [die Absichten] of God: Science and Theology on Eschatology. Allein im ersten Jahr wurden 3800 Exemplare verkauft. Bereits 2002 lag die Übersetzung ins Koreanische vor, gefolgt 2010 von der chinesischen Übersetzung. Das Projekt regte weitere Forschung zu Themen der Eschatologie an, insbesondere zum Thema der Auferstehung. Ted Peters, Robert Russell und ich organisierten das Forschungsprojekt Resurrection: Theological and Scientific Assessments und veröffentlichten das Buch 2002.

Wahrhaftig interdisziplinärer Dialog

Bereits wesentlich früher, und zwar 1991, war ich eingeladen worden, die Warfield Lectures in Princeton zu halten. Ich beschloss, zu diesem Anlass Schöpfungsthemen zu behandeln (veröffentlicht als Schöpfung und Wirklichkeit bzw. Creation and Reality). Aus verschiedenen Perspektiven wollte ich zeigen, dass die biblischen Schöpfungstexte keine Märchen sind und dass sie naturwissenschaftliche Weltsichten nicht pauschal in Frage stellen. Damals hatte ich allerdings noch nicht den direkten Kontakt mit der naturwissenschaftlichen Forschung gesucht. Erst nachdem ich intensive Forschungen zum Heiligen Geist und auf dem Gebiet der Anthropologie durchgeführt hatte – welche mir beide halfen, eine bloß naturalistische und naturwissenschaftliche Weltanschauung zu erweitern –, war ich in der Lage, zu dem Dialog auf neue Weise beizutragen. 2012 führte der Dialog mit orthodoxen Theologen zur Veröffentlichung des Buches The Spirit in Creation and New Creation. Im selben Jahr publizierte ich ein kleines Buch mit meinen 2009 in Yale gehaltenen Taylor Lectures unter dem Titel The Theology and Science Dialogue: What Can Theology Contribute? Es schließt mit einem Kapitel zu Entdeckungsprozessen in Naturwissenschaft und Theologie und ist John Polkinghorne gewidmet.

Die Kooperation mit John Polkinghorne war ein sehr wichtiges Element meiner Arbeit auf dem Gebiet des Gesprächs zwischen Naturwissenschaften und Theologie. Wir haben in vielen Projekten kooperiert, haben gemeinsam Bücher herausgegeben und 2001 zusammen ein eher populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel Faith in the Living God: A Dialogue (An den lebendigen Gott glauben. Ein Gespräch), das auch auf Chinesisch erschien. 1991, nach Jahren an den Universitäten Tübingen und Münster, war ich einem Ruf an die Universität Heidelberg gefolgt. Fünf Jahre später bat mich der Rektor, zusätzlich zu meinen Verpflichtungen als Systematischer Theologe Direktor des IWH, des Internationalen Wissenschaftsforums zu werden, einer Forschungseinrichtung, die 1986 anlässlich des 600jährigen Bestehens der Universität Heidelberg gegründet worden war. Diese Institution führt 50 bis 70 internationale und interdisziplinäre Forschungsveranstaltungen pro Jahr durch. Nicht nur in Princeton am CTI, sondern auch hier wirkten John Polkinghorne und ich in mehreren Projekten  zusammen.

 

Unsere langjährige Kooperation ist als Teil einer Zusammenkunft von 60 Gelehrten in Heidelberg aus Anlass des 25jährigen Bestehens der John Templeton Foundation und des 100. Geburtstag ihres Gründers dokumentiert. Die Beiträge dieser großen Tagung wurden 2012 als The Science and Religion Dialogue: Past and Future veröffentlicht; Vorlesungen und einige der Diskussionen der Konferenz sind auch im Internet verfügbar. Insgesamt kann man festhalten, dass die John Templeton Foundation einer der internationalen Hauptsponsoren des Dialogs zwischen Naturwissenschaften und Theologie gewesen ist und wohl auch bleiben wird. Die Stiftung hat viele einmalige Veranstaltungen im Rahmen ihrer sogenannten Humble Approach Initiative unter Leitung von Dr. Mary Ann Meyers gefördert. Ich selbst habe zwei Projekte in diesem Rahmen organisiert, und zwar zum Wirken des Heiligen Geistes – eins mit der ersten Generation akademisch orientierter Pfingsttheologen und eins, wie erwähnt, mit orthodoxen Kollegen aus Russland und Griechenland. Beide Projekte leisteten keinen direkten Beitrag zum Dialog von Naturwissenschaft und Theologie, doch haben sie wesentliche Elemente davon in den Veröffentlichungen bei ihrer Arbeit aufgenommen.

Fruchtbare Ergebnisse

Eine Dokumentation der ungeheuren Breite und des Reichtums dieses Dialogs bietet das Oxford Handbook of Religion and Science (2006) mit seinen mehr als 1000 Seiten. In diesem Kontext sollte man erwähnen, dass die Überzeugungskraft des Dialogs zwischen Theologie und Naturwissenschaften weitere Dialoge angeregt hat, nicht nur mit den Pfingsttheologen und den orthodoxen Kollegen, sondern auch mit muslimischen Gelehrten. Ein mehrjähriger Dialog zwischen Christen und Muslimen auf Einladung des Erzbischofs von Canterbury und als Building Bridges-Seminary (Brückenbauseminar) bezeichnet beschäftigte sich 2012 mit der Beziehung von Naturwissenschaften und Religion.

Aus meiner Sicht bot das Gebiet der Anthropologie den bisher fruchtbarsten Boden für diesen Dialog. Am Center of Theological Inquiry in Princeton haben wir verschiedene Konsultationen dazu organisiert. Kollegen aus England, Schottland und auch am Center for Theology and the Natural Sciences in Berkeley konzentrieren sich auf dieses Gebiet anthropologischer Themen. – Vor etwa neun Jahren haben wir an der Universität Heidelberg das Forschungszentrum Internationale und Interdisziplinäre Theologie (FIIT) gegründet. Die Themen der dort bestehenden 13 Forschungseinheiten zeigen, dass der Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft für mehrere der Kooperationsgebiete relevant ist. Höhepunkt der Forschungen auf dem Gebiet der Anthropologie war ein mehrjähriges Projekt, das 2014 als Buch veröffentlicht wurde, The Depth of the Human Person: A Multidisciplinary Approach. Wir haben dualisierte und dualistische Anthropologien (z.B. Geist – Körper, Leib – Seele) in Frage gestellt, aber viel von der faszinierenden, differenzierten Anthropologie des Paulus gelernt (Fleisch – Leib – Herz – Seele – Gewissen – Vernunft – Geist), die eine fantastische Basis für den multidisziplinären Dialog eröffnet. – In Verbindung mit der sogenannten Exzellenzinitiative, die die Universität Heidelberg im Spitzenbereich der deutschen Universitäten eingestuft hat, haben wir mehrere Projekte zum Thema Embodied Cognition, d.h. den Netzwerken von Beziehungen zwischen Körper, Geist und Kultur, ins Leben gerufen.

Ein anderes sehr erfolgreiches Projekt war ein mehrjähriger Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie, der die Rechtswissenschaften hinzuzog. Wir haben uns mit den auf verschiedenen Gebieten verwendeten Gesetzeskonzepten beschäftigt und 2013 das Buch Concepts of Law in the Sciences, Legal Studies, and Theology veröffentlicht. – Die Ergebnisse des Projekts haben uns ermutigt, eine neue Initiative zu den Themen Ereignis, Evidenz und Beweis zu planen. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses „Abenteuer der Ideen“ entwickeln wird.

Michael Welker
Veröffentlicht im Oktober 2015

 

Lesen Sie auch die englische Fassung dieses Artikels.

 

Dr. theol. Dr. phil. Dres. h.c. Michael Welker ist Senior Professor für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg; Direktor des Forschungszentrums Internationale und Interdisziplinäre Theologie (FIIT Heidelberg); Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Finnish Academy of Arts and Sciences.
Zahlreiche Gastprofessuren, u.a. am Princeton Theological Seminary; Center of Theological Inquiry, Princeton; Harvard Divinity School; Cambridge Divinity School, UK; Center for the Study of Law and Religion, Emory University.
Mehr als 300 Aufsatzveröffentlichungen in Wissenschaftlichen Zeitschriften und Büchern; Autor oder Herausgeber von über 50 Büchern, in viele Sprachen übersetzt.

Sie lesen lieber aus einem Buch? Sie finden diesen Artikel auch in unserem zweiten Buch zu dieser Webseite, "Die Vermessung der Welt und die Frage nach Gott" (Bonn 2018). 18 Beiträge von renommierten Autoren, darunter auch ein Nobelpreisträger, führen in den Dialog mit der Wissenschaft angesichts der Gottesfrage ein.

Bildnachweis
Michael Welker © Universität Heidelberg
John Polkinghorne
Earth Eastern Hemisphere @ Wikimedia commons
Cover von Michael Welker, The Theology and Science Dialogue, Neukirchen 2012
Cultural anthropology Disciplines Concept @ fotolia.com #48380790 | Urheber: aihumnoi

Was sind die Top Themen des Dialogs?

Theologie und Naturwissenschaften stehen seit über 30 Jahren im intensiven Dialog

Michael Welker hat hier seine Perspektive auf die letzten 30 Jahre des Dialogs von Theologie und Naturwissenschaften dargestellt. Stimmen Sie zu, was die Top Themen sind? Welche Themen sprechen Sie an?

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