Das Universum – ein Grund zum Staunen

Leitartikel von Arnold Benz

Das Universum ist immens, unvorstellbar gross. Als Tycho Brahe vor vierhundert Jahren das Universum modellierte, setzte er seinen Rand kurz jenseits des Planeten Saturn. Wir wissen heute, dass das beobachtbare Universum eine Billiarde (1015) mal grösser ist. Unfassbar!

Aristoteles, der grosse griechische Philosoph und Naturgelehrte, wusste um 330 v. Chr., dass die Erde rund ist, und kannte ihren ungefähren Durchmesser. Er musste ihm als riesig erscheinen für damalige Vorstellungen. Doch bewegte ihn ein anderes Staunen als über die simple Grösse. Er stellte fest, dass dieses andere Staunen nicht ein stillstehendes "Ah!" ist, sondern Antrieb für Forschende war: «Sie verwunderten sich zuerst über das Nächstliegende, dann aber machten sie Fortschritte und stellten sich grössere Fragen über die Mondphasen oder den Lauf der Sonne und Gestirne, und auch über die Entstehung des Weltalls». Das aristotelische Staunen (griechisch θαυμάζειν) ist mit Neugier verbunden.

Aristoteles kannte den Grund der Mondphasen, was sein Staunen nicht minderte. Er staunte weiter über die Dinge im Kosmos, ihre Eigenschaften, ihre Beziehungen und ihre Ordnung. Immer noch staunen heute die Forschenden, auch wenn sie dies in den Fachpublikationen nicht rapportieren. Heute geht es weniger darum, was ist, also die Lehre des Seienden, um die Himmelskörper und ihre Ordnung. Vielmehr beschäftigt die naturwissenschaftliche Forschung, wie alles geworden ist. Die Fragen, aber auch das Staunen, haben sich von der Seinslehre zur Kausalität verschoben, von der räumlichen Vorstellung zur zeitlichen Entwicklung.

So staune ich nicht nur über die Menge der Sterne im beobachtbaren Universum (Es sind mehr als hundert Trilliarden, 1023). Noch erstaunlicher scheint mir, dass im Universum praktisch vor unseren Augen Sterne entstehen, nicht nur die Sonne vor rund fünf Milliarden Jahren, auch heute noch etwa fünf neue Sterne pro Jahr allein in unserer Galaxie, also in unserer näheren astronomischen Umgebung. Im breiten Band der Milchstrasse, das sich quer über den Himmel zieht, kann man von Auge die dunklen Wolken sehen, in denen sich, von aussen unsichtbar, Gas zwischen den Sternen zu neuen Sternen zusammenbraut. Über Millionen von Jahren spielen dabei Dutzende von physikalischen und chemischen Vorgängen ineinander. Sie sind im Prinzip, allerdings nicht im Detail bekannt. Sterne sind keine ewigen Dinge, sondern komplexe Vorgänge. Sie entstehen und vergehen. Energie und Materie, Kräfte und Bewegungen sind in unvorstellbarem Ausmass am Werk.

Fein abgestimmtes Universum

Sterne entstehen in Molekülwolken. Sie bilden sich aus einem Gas aus Wasserstoffmolekülen, wovon es im Universum grosse Mengen gibt. In Molekülwolken spielen physikalische und chemische Gesetze und Konstanten, die wir zum Teil gut kennen. Die Grundkonstanten, wie zum Beispiel die Gravitationskonstante, kann man nicht aus Gesetzmässigkeiten herleiten. Sie sind Messgrössen. Man kennt also den Grund nicht, warum sie genau so und nicht anders sind. Wäre zum Beispiel die Schwerkraft stärker, wäre die Dichte im Zentrum der Sterne grösser und die Energie würde schneller freigesetzt. Die Sterne würden sich schneller entwickeln, und die Sonne wäre bereits vor unserer Zeit ausgebrannt. Die Menschheit gäbe es nicht. Die Zeitkonstanten der physikalisch-chemischen Sternentstehung und der biologischen Evolution passen erstaunlich gut zusammen, obwohl sie viele Zehnerpotenzen verschieden sein könnten.

Wäre andererseits die schwache Kernkraft 20 Prozent geringer, würde die nukleare Energiequelle im Innersten der Sonne nicht funktionieren und die Sonne wäre längst zu einem kompakten, kalten Gasball geschrumpft. Oder wäre die Kopplungskonstante der starken Kernkraft nur 2 Prozent grösser, wäre eine schnellere Art der Wasserstoffverschmelzung möglich, und der nukleare Ofen im Sonneninnern würde eine Trillion Mal mehr heizen. Die Sonne wäre schon längst verglüht. Es gibt über ein Dutzend physikalische Konstanten, deren Verhältnis zueinander die Entwicklung des Universums entscheiden. Wären die Verhältnisse anders, würde sich das Universum völlig verschieden entwickeln, und das Leben, wie wir es auf der Erde kennen, wäre nicht möglich. Einfach erstaunlich!

Seit einem halben Jahrhundert fragen Physiker nach dem Grund dieser günstigen Verhältnisse, welche für die uns bekannte kosmische Ordnung fundamental sind. Man nennt sie «Feinabstimmungen». Einige konnten erklärt werden, die meisten sind rätselhaft geblieben. Einige Forschende hoffen, dass sich die Wissenschaft weiter entwickeln wird, und wir eines Tages alles verstehen werden. Andere sind weniger optimistisch und sprechen von Billionen von Universen, wobei wir logischerweise in einem lebensfreundlichen Universum zu Hause sind. Andernfalls wären wir nicht hier und könnten uns nicht wundern (Barrow und Tipler 1988). Wieder andere finden es jedoch unbefriedigend, dass in der Physik Dinge eingeführt werden, die nicht beobachtbar sind. Die Behauptung der Existenz anderer Universen, erinnert sie an den unseligen Weltäther, der als Medium der elektromagnetischen Wellen postuliert wurde, aber nicht nachweisbar blieb. Sie gehen lieber davon aus, dass es eine sonderbare Eigenschaft des Universums ist, Leben zu ermöglichen. Wie es eben die Schwerkraft gibt, so sei dem Universum die Eigenschaft gegeben, Leben entstehen zu lassen. Vom Standpunkt der Naturwissenschaft gesehen, ist keine der drei Erklärungen befriedigend. Bleibt das Universum für uns ein Rätsel?

Die menschenfreundlichen Bedingungen des Planeten Erde

Erstaunlich sind auch die hospitablen Bedingungen des Planeten Erde. Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass es hier flüssiges Wasser, Sauerstoff zum Atmen, ein Magnetfeld zum Schutz gegen kosmische Strahlung und mindestens zwanzig weitere lebensnotwendige Eigenschaften gibt. Zwar gibt es etwa ebenso viele Planeten im Universum wie Sterne, doch wurde bisher unter den vielen Tausend bekannten Planeten noch keiner gefunden, der der Erde nur annähernd gleicht.

Nun hat die Erde aber nicht nur besondere Eigenschaften, sondern auch eine spezielle Geschichte. Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche, geochemische Prozesse und Vereisungen hatten entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Atmosphäre und damit die Evolution des Lebens. Bis dann, nach 4,6 Milliarden Jahren, der Mensch erschien. Ohne den Meteoriten, der vor 66 Millionen Jahren die Saurier zum Aussterben brachte und den Säugetieren Platz schuf, wären wir nicht hier. Alles Zufall? Selbstverständlich ist es auf jeden Fall nicht, und erstaunlich bleibt es alleweil. Ein Wunder?

Wunderbar

Man spricht von ästhetischen Wundern, etwa der wunderbar funkelnde Sternenhimmel oder ein überwältigender Sonnenaufgang. Wunder kann auch etwas meinen, das ungewöhnlich, ausserordentlich und naturwissenschaftlich nicht erklärbar, daher ein Mirakel ist. Das Wunderbare des Universums ist eine dritte Art von Wunder. Es hat mit dem Gefühl der Verwunderung über eine unerwartete Erkenntnis, unbekanntem Schönen, oder überwältigendem Grossen zu tun. Soweit wir wissen, werden in der kosmischen Entwicklung die üblichen Gesetzmässigkeiten keinen Augenblick ausser Kraft gesetzt. Im Gegenteil erkennt sie die Wissenschaft als aufeinander fein abgestimmt, so dass die Geschichte des Universums einen geordneten Verlauf nimmt. Die einzelnen Prozesse passen aufeinander wie die Teile eines Puzzles. Am Schluss staunt man, wie die einzelnen Stücke zusammen ein Bild ergeben. So kann ich zum Beispiel anhand der riesigen Zahl von Vorfahren und möglicher Genkombinationen nur staunen, dass es mich gibt.

Obwohl wir heute sehr viel mehr über das Universum wissen als Aristoteles, bleibt für mich die Entwicklung des Weltalls und die Entstehung der Sonne erstaunlich. Daran haben alle neuen Erkenntnisse nichts geändert. Die offenen Fragen sind nicht weniger geworden. Die wissenschaftliche Erforschung des Universums ist heute ganz im Gegenteil vielfältiger und spannender denn je.

Spuren von Gott im Universum?

Beweisen die erstaunlichen Eigenschaften, dass Gott im Universum nachweisbar eingegriffen hat? Die Naturwissenschaft ist vorsichtig. Staunen ist ein subjektives Gefühl. Objektiv beweisen kann man nur mathematische Sätze. Dass zum Beispiel die Winkelsumme im Dreieck 180 Grad ist, kann man schon jungen Schülern herleiten und beweisen, und wer es nicht glaubt, hat nicht begriffen und bekommt eine schlechte Note. Mit Gott ist es anders. Wer kennt schon Gott? Setzt man ihn dort ein, wo die Wissenschaft heute keine gute Erklärung hat, füllt man die Lücke mit einer Unbekannten und mit einem Ersatz, der vielleicht schon morgen hinfällig wird. Die Naturwissenschaft bietet keinen festen Grund, auf dem sich ein Gottesglaube begründen liesse, der im Leben und Sterben sicheren Bestand hätte (Barth 1945). Im Staunen über das fein austarierte Universum klingen bei mir jedoch Erfahrungen an, die mich daran erinnern, dass mir auch das Leben manchmal als fein abgestimmt erscheint. Da bestand ich zum Beispiel wegen Kurzsichtigkeit die Prüfung zur Pilotenausbildung nicht und musste einen anderen Weg suchen. Die Enttäuschung war gross, aber auf dem neuen Weg entdeckte ich Fähigkeiten, die für die Gemeinschaft wertvoller sind als der ursprüngliche Plan. Im Nachhinein zeigte sich sogar, dass die Augenschwäche ein Glücksfall war. Es ist die Erfahrung, dass etwas eigentlich Negatives im grösseren Zusammenhang Sinn machen kann. Ich deute meinen Lebenspfad als eine Reihe erstaunlicher Fügungen oder Wunder.

Religiöse Erfahrungen

Sei es wie oben biografisch, im Gebet oder in der Begegnung mit anderen Menschen: Wer im eigenen Leben einen Bezug zu einer äusseren Kraft spürt und auf diese Weise Gott erfährt, wird die erstaunlichen Eigenschaften des Universums und der Erde als Hinweise auf Gott deuten. Beim Deuten übernehmen Metaphern die Hauptrolle beim Interpretieren. Damit unterscheidet sich Deuten fundamental vom in der modernen Physik üblichen Erklären mit mathematischen Mitteln. Keine Deutung ist eindeutig, andere Metaphern sind möglich, aber sie scheint in diesem Zusammenhang angebracht. Es ist ein staunendes Wiedererkennen: Der gleiche Gott, der mein Leben wunderbar fügte, hat auch das Universum fein abgestimmt.

Ist nun das Universum ein Wunder? In der Naturwissenschaft kommt der Begriff «Wunder» nicht vor. Es gibt keine physikalische Formel, in der nach einigen Umformungen plötzlich der Ausdruck W für ein Wunder erscheint. Von einem Wunder kann man nur sprechen, wenn andere Wahrnehmungen hinzukommen: Gefühle, Ahnungen, ganzheitliches Erkennen und Visionen. Es sind subjektive Erfahrungen, mit Fehlern und Illusionen behaftet. Aber es sind grösstenteils Erfahrungen dieser Art, mit der uns die Wirklichkeit im Leben begegnet und wo wissenschaftliche Objektivität nicht weiterhilft. Ich nenne solche Erfahrungen «teilnehmende Wahrnehmungen», weil man sie nicht vom Individuum trennen kann. Es braucht dazu einen Menschen, der teilnimmt, mitspielt, staunt und sich ansprechen lässt.

Es ist durchaus angebracht, das Universum als Wunder zu deuten, weil das Bild passt: Das Universum ist nicht selbstverständlich, ist im Grunde erstaunlich wohlwollend und enthält anscheinend Geheimnisse, die uns nicht zugänglich sind. «Wunder» ist eine religiöse Deutung. Die Deutung als Wunder soll keine Erklärung sein und mit Gott als Lückenfüller das Geheimnis entzaubern. Das Staunen muss bleiben, sonst ist es kein Wunder mehr, sondern eine billige und unwissenschaftliche Erklärung.

Wundergeschichten in der Bibel

Historisch ist belegt, dass Jesus selbst bei seinen Gegnern als Wundertäter bekannt war. Der Zürcher Theologe Hans Weder hält fest, dass die Wunder von Jesus «Einführungen ins Staunen» über Gottes Macht und Nähe waren (Weder 1992). Im Gegensatz zu den Magiern seiner Zeit wollte Jesus nicht die Aufmerksamkeit auf seine Person lenken, sondern auf eine Realität jenseits der vordergründigen Wirklichkeit, auf das «Reich Gottes», wie er es nannte. Hier sehe ich eine Parallele zwischen den verwunderlichen Eigenschaften des Universums und den jesuanischen Wundern: Beide können zum Staunen anregen. Auch die Wunder des Universums können einführen ins Staunen über die Macht und Weisheit des Schöpfers. In Genesis 1 kommt dieses Staunen zum Ausdruck, wo es heisst, dass die Schöpfung «gut» oder «sehr gut» sei. Die Schöpfung wird damit nicht moralisch bewertet, wie es gelegentlich missverstanden wird. Es war die geschichtliche Erfahrung der Israeliten im babylonischen Exil, wo dieser Schöpfungsbericht entstand. Von dem, was wir über diese Zeit wissen, war der Lauf der Welt für die Israeliten alles andere als gut. Doch die Hoffnung blieb. Die Katastrophe der Deportation führte nicht in ein abgründiges Chaos, sondern endete im Grunde positiv trotz allem Leid. Die Überlebenden staunten.

Die Schöpfung – ein Geschenk

Wissenschaftlich gesehen bleiben das sich «gut» entwickelnde Universum und die unglaublich lebensfreundliche Erde rätselhaft. Wir Menschen haben dazu nichts beigetragen und können sie nur staunend zur Kenntnis nehmen. Wer sie als Wunder deutet, geht von einem Geheimnis aus, das seinen Ursprung jenseits des materiellen Universums hat. Das Universum wird in dieser Sicht wie zu einem Geschenk, das wir nicht verdient haben. Das Bild des Geschenks wird in Genesis 2 angesprochen, wo Gott dem Menschen das Leben, den Garten, die Pflanzen und Tiere und schliesslich eine Partnerin schenkt. Schöpfung ist die erstaunliche Erfahrung, dass uns die wesentlichen Dinge des Lebens geschenkt werden.

Die Erde ist ein Geschenk von kosmischem Ausmass. Unser Planet hat im Grunde alles im Überfluss, was Menschen brauchen (Benz 2018). Die Erde ist eine Oase des Lebens in einem Universum, das grösstenteils zu heiss oder zu kalt ist, um Leben hervorzubringen oder zu bewahren.

Das Bild des Geschenks schliesst einen Schenkenden ein. Auch dies ist bildlich zu verstehen und kein objektiver Beweis für einen personalen Gott. Das Bild weist auf die Stellung des Menschen hin. Der Mensch ist ein Winzling im unvorstellbar grossen Universum und ist der langfristigen Entwicklung von Planeten, Sternen und Galaxien völlig ausgeliefert. Aus der Perspektive der physikalischen und chemischen Gesetze ist seine Erscheinung in der Geschichte des Universums eine Überraschung. Die Einsicht ist für mich überwältigend und erschütternd. Die fügliche Reaktion des Menschen ist Dankbarkeit. Davon sprechen Psalmen, die Gott loben. Das Wort stammt aus der Wortfamilie «lieben» und bedeutet «als lieb bezeichnen». Loben ist die angemessene Antwort auf das Beschenktwerden durch das immer wieder erstaunliche Universum.

Arnold Benz
Publiziert im Oktober 2022

 

Arnold Benz ist emeritierter Professor am Institut für Astronomie der ETH Zürich. Er erhielt 2011 den Ehrendoktor der Universität Zürich für interdisziplinäres Schaffen und 2017 der University of the South (Sewanee, USA) für Wissenschaft. Sein neustes Werk mit Ruth Wiesenberg Benz, „Das Universum – Wissen und Staunen“ erschien 2019 im Berchtold Haller Verlag, Bern. www.arnoldbenz.ch

Barrow, John, und Tipler, Frank: The Anthropic Cosmological Principle, Oxford University Press, 1988
Barth, Karl: Die kirchliche Dogmatik 3.1. Die Lehre von der Schöpfung. Erster Teil. (Zürich 1945)
Weder, Hans: Glauben und Denken, in: J. Audretsch (Hg): Die andere Hälfte der Wahrheit, Beck’sche Reihe, München 1992, S. 147
Benz, Arnold: Das geschenkte Universum, Simowa, Bern, dritte Aufl. 2018

Bildnachweis

  • James Webb Space Telescope, Webb's First Deep Field (c) NASA, ESA, CSA, STScI
  • Photo der Erde eines Crewmitglieds von Apollo 10 AS10-34-5026 (c) NASA
  • James Webb Space Telescope, “Cosmic Cliffs” in the Carina Nebula  (c) NASA, ESA, CSA, STScI

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