Evolution und Gottesfrage. Darwin als Theologe von Michael Blume

Rezension von Frank Vogelsang

Michael Blume geht in der Monographie „Evolution und Gottesfrage“ einem prekären Thema nach, dem Verhältnis von Religion und Evolutionstheorie. Nun ist das Thema, das erweist auch die Lektüre, außerordentlich vielschichtig: man kann beide, Religion und Evolutionstheorie als unterschiedliche kulturelle Größen deuten, die keine Gemeinsamkeit haben, man kann aber auch die Evolutionstheorie als Anfrage an die Religion verstehen, die Religion wiederum als Kritik an die Evolutionstheorie und schließlich kann man die Religion als Gegenstandbereich der Evolutionstheorie werten.

Wenn man hinzu nimmt, dass gleich nach dem Erscheinen des maßgeblichen Werks von Charles Darwin, „On the Origin of Species“, vor über 150 Jahre ein intensiver Deutungsstreit begann, der bis heute andauert, dann ist offenkundig, dass Blume das Thema des Buches eingrenzen musste, damit das Buch nicht enzyklopädische Ausmaße annahm. Der Autor beschränkt sich auf kluge Weise dadurch, dass er sich vor allem auf die Diskussion am Anfang konzentriert, also jene Diskussion, in die Darwin selbst einbezogen war. So lautet auch der Untertitel des Buches: „Charles Darwin als Theologe“. Nur in einem kleineren Mittelteil stellt Blume die Diskussion im 20. Jahrhundert dar. Diese zeitliche Beschränkung und Konzentration führt einerseits dazu, dass ein handliches und übersichtliches Buch herausgekommen ist. Andererseits hat der Autor so Raum, auf einen wenig bekannten Briefwechsel zwischen Darwin und dem Gelehrten William Grahams ausführlicher eingehen, der eine interessante Auswertung erlaubt.

 

Gründe für Darwins Zweifel an der Theologieseiner Zeit

Erstaunlich ist, dass viel von dem, was die Diskussion der darauf folgenden eineinhalb Jahrhunderte gefüllt hat, in Ansätzen schon ganz zu Beginn vorhanden ist: „Mit wiederholter Verblüffung ist festzustellen, dass Graham Argumenten und Begriffsschöpfungen weit vorausgriff, die sich erst Jahrzehnte nach seinem Tod etablieren sollten, etwa Konzepte der Emergenz, des religiösen Wahns, der gebotenen gesellschaftlichen Chancengleichheit und des, evolutionäre Kooperationen untergrabenden Egoismus.“ (130) Doch zunächst geht Blume ausführlich auf Charles Darwin selbst ein und beschreibt, wie der gelernte Theologe seine religiösen Vorstellungen angesichts der ersten Erkenntnisse der späteren Evolutionstheorie reflektierte. Offenkundig ist, dass Darwins Zweifel am christlichen Glauben im Laufe seines Lebens sehr umfassend wurden. Gibt es noch Hinweise von Mitreisenden auf der berühmten Expedition der HMS Beagle, die den jungen Forscher Darwin als bibelfesten Theologen beschreiben, so sind es insbesondere drei Themenkreise, die Darwins späteren Zweifel genährt haben. Zum ersten zeigten Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung Wirkung. Sie machten noch einmal in besonderer Weise deutlich, dass sich „kein sicheres Wissen über Gott erzielen lasse“ (36). Je mehr Darwin die Aussagekraft empirischer Forschung auch in biologischen Fragen erahnt, desto fragwürdiger wird für ihn die natürliche Theologie, die er etwa durch die Schriften von William Paley kennen gelernt hatte. Die anderen Beweggründe für einen wachsenden Zweifel stehen allerdings nicht unbedingt mit der Wissenschaft im Zusammenhang. Zum zweiten beschäftigte Darwin sein Leben lang die Theodizee-Frage, also die Frage, wieso Gott das Leiden auf der Welt zulasse. Blume weist hier zu Recht auf das Schicksal der Familie Darwin - einige Kinder sterben früh, besonders hart trifft Darwin der Tod seiner geliebten 10jährigen Tochter Annie. Von ihrem Tod an nahm Darwin nicht mehr an Gottesdiensten teil. Allerdings ist hier auch ein Bezug zur Evolutionstheorie gegeben, da ja diese Theorie den Kampf um die Existenz zum Grundgesetz der Welt erhob und damit dem Leid eine konstitutive Rolle im Weltgeschehen gab. Zum dritten schließlich fühlte sich der liberale und weltläufige Bürger Darwin von den kirchlichen Vorstellungen eines Heilsexklusivismus abgestoßen. Blume präsentiert ein Zitat, das zeigt, dass Darwin letztlich zu einer gewissen Eindeutigkeit in seiner persönlichen Haltung fand: „So kam der Unglaube sehr langsam über mich, war aber schließlich vollständig.“ (46) In einem Brief an Graham kann Darwin von „furchtbaren Zweifeln“ sprechen.

 

Ist empirische Wissenschaft mit einem Gottesglauben vereinbar?

Gerade durch die Evolutionstheorie stellt sich also zugespitzt eine Frage, ob empirische Wissenschaft überhaupt mit einem Gottesglauben vereinbar ist. Der erste der genannten Gründe Darwins, an der herkömmlichen Theologie zu zweifeln, setzt hier an. Schließt die Evolutionstheorie nicht die Religion gar aus, falsifiziert sie nicht alle Transzendenzvorstellungen? Das Problem verschärft sich dann, wenn die Religion zu einem Gegenstandsbereich der Evolutionsforschung selbst wird. Gerade diese Möglichkeit der Reflexion hat die weltanschauliche Diskussion deutlich angeheizt. Nicht nur werden bestimmte Gottesbilder fragwürdig, auch der Glaube selbst wird als eine Form menschlicher Artikulation innerhalb eines evolutionären Gesamtgeschehens relativiert. Damit ist der Grundstein für viele weltanschauliche Debatten gelegt, die noch folgen sollten. Auf der einen Seite stehen die „Evolutionsanhänger“, die die Evolution zu dem wissenschaftlich bewiesenen Weltgesetz machen und die Religion als einen Ausdruck der Spezies Mensch relativieren, auf der anderen Seite evangelikale Gruppierungen, die die Evolutionstheorie als eine sündige Lehre rundum ablehnen. Doch anders als viele spätere radikale Adepten der Evolutionstheorie bleibt Darwin hier vorsichtig und anerkennt, dass die empirische Forschung nicht alle Fragen beantworten können (44). Blume selbst greift diese Einschränkungen positiv auf und beschreibt mit erkennbarer Sympathie die Position des späten Briefpartners Graham. Dieser ist ein evolutionärer Theist, also jemand, der die wissenschaftlichen Ergebnisse der Evolutionstheorie akzeptiert, aber für deren Vereinbarkeit mit einem Glauben an Gott plädiert. Entscheidend ist die Frage, ob man für die Erklärungskraft der Evolutionstheorie Grenzen sieht oder nicht. Graham wendet sich kritisch gegen die Ideologen der Evolutionstheorie. Wenn man sie wie Spencer oder Haeckel „nicht mehr nur als wahrscheinliche wissenschaftliche Hypothese betrachtet“, so Graham, dann habe man „das Recht, gegen die allumfassenden Anmaßungen der Hypothese zu protestieren“ (133) Es gibt nach Graham religiöse Erfahrungen wie Liebe und Sympathie, die sich nicht durch historische Herleitungen begründen lassen. Graham schreibt weiter: „Und es ist besser, die Qualität unseres Glaubens, seiner Wahrheit und Reinheit, nicht an der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz bestimmter metaphysischer Festlegungen göttlicher Attribute festzulegen.“ (142)

Blume selbst legt sich letztendlich nicht fest, mit dem Biologen Haldane und dem Philosophen McGinn unterstreicht er am Ende des Buches eine generelle Skepsis gegenüber der Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Doch auch das soll nicht das letzte Wort sein. Am Ende plädiert er für eine Öffnung der Evolutionstheorie hin zu einer Erforschung des menschlichen Denkens und der menschlichen Religiosität. „Ja, Wissenschaft (…) ist mühsam und vermag uns, wie Darwin zu Recht bemerkte, lehrte und lebte, nicht von allen Zweifeln und drängenden Fragen zu befreien. Aber sie verbietet und das Vertrauen, Hoffen und Glauben nicht (…).“ (158)

 

Kritik

Das Buch bietet eine gute und informative Darstellung des Verhältnisses von Charles Darwin zur Religion. Der späte Briefwechsel mit William Graham bietet dazu weitere wichtige Informationen und Blume kann aus diesem Dialog einige sehr interessante Aussagen entnehmen. Allerdings ist der dazwischen geschaltete kurze Ausblick auf die folgende 150 jährige Diskussion viel zu kurz, um nicht auch Missverständnisse auszulösen. Hier dominieren die weltanschaulichen Berufungen auf die Autorität der Evolutionstheorie, etwa im Sozialdarwinismus, das kann aber wohl kaum die verzweigte Geschichte der Diskussion um die Evolutionstheorie angemessen wiedergeben. Blume legt durch seine Darstellung nah, dass es nach einer Anfangszeit die Evolutionsforschung der Religion offenkundig kaum vorangekommen sei. Die Kürze der Darstellung führt darüber hinaus zu Undeutlichkeiten: Durckheim und Weber werden etwa in einem Atemzug als Vertreter evolutionärer Religionsforschung genannt. Was meint hier der Begriff Evolution - nur geschichtliche Entwicklung? In der Gesamtdarstellung des Buches wird dem Rezensenten schließlich  Blumes eigene Position nicht ganz deutlich: ist die Religion also ein emergentes Phänomen der Menschheitsgeschichte, das durch die Evolutionstheorie beschrieben werden kann oder ist letztendlich der Position Grahams Recht zu geben, der eine deutliche Begrenzung der Aussagekraft der Evolutionstheorie fordert oder gibt es einen dritten Weg?

 

Fazit

Nun lag ja aber auch hier nicht der Schwerpunkt des Buches, es bleiben noch viele spannende Fragen in dem Verhältnis von Evolutionstheorie und Religion zu diskutieren. Im Fazit aber kann man festhalten, dass das Buch gut lesbar ist und keine Fachkenntnisse voraussetzt. Insofern ist es allen zu empfehlen, die sich insbesondere über das Verhältnis Darwins zur Religion näher informieren möchten. Gerade der Briefwechsel mit Graham bietet hier neue und interessante Einsichten.

Frank Vogelsang

Freiburg, 2013, Herder Verlag, 175 Seiten, ISDN 978-3-451-06582-8, 9,99 €