Der grosse Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums von Stephen Hawking & Leonard Mlodinow

Rezension von Dr. Georg Linke

In seinem neuesten Buch widmet sich Stephen Hawking den großen wesentlichen Dingen des Universums zu, und stellt dabei auch die Frage nach Gott aus naturwissenschaftlicher Sicht. Steht, bei Berücksichtigung der letzten Entwicklungen in der Kosmologie, hinter allem möglicherweise doch der große Schöpfer?  Auch Hawking bleibt letztlich die Antwort schuldig, obwohl er zu zeigen versucht, dass es keine Notwendigkeit gibt, an eine übergeordnete Instanz zu glauben.
Der „Heilige Gral“ der Physik wäre die Formulierung einer „Theorie von Allem“ aus der sowohl die Naturkonstanten als auch die Massen der Elementarteilchen schlüssig hervorgehen.  Die Autoren meinen, die Physik sei diesbezüglich mit der Superstring-M-Theorie „kurz“ vor dem Ziel. Was dabei „kurz“ zu sein scheint, ist mit Sicherheit noch eine  sehr steinige Strecke, so sie denn überhaupt gangbar sein wird.

Gleich zu Beginn werden drei essentielle Warum-Fragen gestellt:

  • Warum gibt es etwas und nicht einfach nichts?
  • Warum existieren wir?
  • Warum dieses besondere System von Gesetzen und nicht irgendein anderes?

Antwort-Versuche werden dem Leser in Aussicht gestellt, und am Schluss auch präsentiert.  

Nach einer historischen Einführung über Schöpfungsmythen, babylonisch-griechische Erkenntnisse und mittelalterliche Vorstellungen, wird der Leser in das neue Denken der Renaissance über Kopernikus, Keppler, Galilei bis zum Durchbruch mit Newton geführt. Maxwell und Einstein schließen das klassische Weltbild ab. Das Buch stützt sich ganz und gar auf  das Konzept des wissenschaftlichen Determinismus: Es gibt keine Wunder oder Ausnahmen von den Naturgesetzen.   

Was ist Wirklichkeit? Mit dieser Frage wird der Leser in die Gedankenwelt der Quantenphysik eingeführt und Feynmanns Weg der Quantenberechnungen mit Hilfe seiner Graphen kurz gezeigt. Es wird deutlich, wie „völlig anders“ die Quantenphysik gegenüber klassischen Vorstellungen ist. Zeit & Raum verlieren ihre „gewohnten“ Bedeutungen. Eine „Theorie von Allem“ muss alle Wechselwirkungen erfassen und kann nur eine Quantentheorie sein. Da eine brauchbare Quantisierung der Gravitation noch aussteht, ist diese Hürde noch zu bewältigen. Trotzdem glauben Hawking und die meisten Physiker mit der o.g. M-Theorie, auf dem richtigen Weg zu sein. Statt 4, wie  unsere Realität, hat die M-Theorie 11 Raumzeitdimensionen, und lässt eine unvorstellbare Zahl von Universen zu, die eigene Naturkonstanten und Gesetze haben können. Wir existieren  in einem Universum, das (zufällig?) gerade solche Gesetze hat, die Leben und sogar Menschen zulassen. Eines Schöpfers bedarf es deshalb nicht, so Hawking.

Die Autoren unterlassen es leider, alternative Wege zu erwähnen. Klassische Theorien werden durch kanonische Transformationen quantisiert. Tut man dies für die Gravitation in Form der Allgemeinen Relativitätstheorie, so erhält man die Wheeler-de-Witt-Gleichung, die, wenn sie lösbar wäre, die Quantengravitation beschreiben würde. Aber mit Vereinfachungen (z.B. Ashtekar-Variablen) kommt man weiter. Daraus hat sich in den letzten Jahren die Schleifenquanten-Kosmologie entwickelt, und ist zum größten Herausforderer für die M-Theorie geworden. Vorteil: Es bleibt bei den uns gewohnten 4 Raumzeitdimensionen und bei einem Universum, d.h. es brauchen keine Multiversen in Betracht gezogen zu werden!  Ich hätte zumindest erwartet, dass Hawking sich mit solchen Alternativen auseinandersetzt. Dass er das nicht tut, ist zweifellos ein gravierender Nachteil des Buches.  

Die Sprache im Buch ist (zumindest in der deutschen Übersetzung) sehr verständlich, ohne dass die wissenschaftliche Präzision gelitten hat. Aufmachung & Bebilderung des Buches sind hervorragend, der Preis mit 24,95 € akzeptabel.

191 Seiten, Rowohlt 2010 ISBN 978-3-498-02991-3  

Dr. Georg Linke, Aachen im September 2010