Alles Materie - oder was? Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion von Hans-Dieter Mutschler

Rezension von Dr. Andreas Losch

Der Physiker und Philosoph Hans-Dieter Mutschler hat mit dem Taschenbuch "Alles Materie - oder was?" eine leicht lesbare Populärversion seiner umfassenden These von der "halbierten Wirklichkeit" vorgelegt. Es ist durchweg gut zu lesen, oft zutreffend, manchmal durchaus pointiert und stellenweise sogar witzig.Gegner der Darstellung ist der Materialismus, wobei Mutschler hier von Anfang an zwischen einem klugen und einem primitiven Materialismus differenziert.

Denn "wer sich gegen den Glauben entscheidet, mag seine guten Gründe haben" (24). Das Werk ist somit das erste Buch, indem Mutschler offen als gläubiger Christ (und nicht nur christlich geprägter Philosoph) Position bezieht. Die Naturwissenschaft, die dem primitiven Atheismus à la Dawkins und Kanitscheider als Begründungszusammenhang ihrer Behauptungen dient, sollte nicht gegen den Glauben verwandt werden. Darum geht es denn auch gemäss dem Untertitel in diesem Buch um "das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion", um eine begründete Verteidigung des (Be-)Reichs des Geistes und der Religion gegen naturalistische Alldeutungsansprüche.

Eine weitere sinnvolle Differenzierung Mutschlers ist die zwischen diesem theoretischen Materialismus, der die Welt für rein naturwissenschaftlich erklärbar hält, und einem allein an der Sinnesbefriedigung orientierten praktischen Materialismus. Diese Differenzierung wird bereits in der Einleitung gemacht, jedoch in einem späteren Kapitel tiefgehender behandelt. Das Buch möchte sich mit beiden Formen des Materialismus in ihrer Wirkung auf unsere Welt und Gesellschaft auseinandersetzen, und so sollte es nicht verwundern, wenn Mutschler auch Vordenker kritisiert, bei der beide Formen des Materialismus verschmelzen. Auf die intensive, sechs Kapitel umfassende Auseinandersetzung folgt in einem Übergangskapitel die Thematisierung von Glauben und Wissenschaft, die u.a. mit Anbiederungsversuchen der Theologie an den Materialismus abrechnet. Dem verstorbenen angelsächsischen Biochemiker und Priester Arthur Peacocke wird der Autor nach Meinung des Rezensenten dabei allerdings nur teilweise gerecht, während die grundsätzliche Ablehnung einer Technikverherrlichung bei dem Theologen Christian Schwarke durchweg mit Zitaten belegt wird. Schließlich versucht ein Schlusskapitel die Skizze einer "Theologie der Natur". Eine solche geht anders als die natürliche Theologie vom Glauben aus, um die Welt zu verstehen, und nicht umgekehrt. Mutschlers These: Gott kann nicht wissenschaftlich erwiesen werden, und das Gute ist daher selten, wie Goldkörner in einem Fluss, und flüchtig wie Quecksilber. Entsprechend interpretiert er das Ergebnis des «siehe, es war (sehr) gut» der Schöpfungserzählung als durch die Sünde verunstaltet, was dem Rezensenten etwas zu klassisch-christlich anmutet. Stark sind auf jeden Fall die Ausführungen des Autors zu Zufall und Zweckmässigkeit.

Nun, man muss mit Mutschler nicht immer einer Meinung sein, um sich an dem Buch erfreuen zu können.  Etwas bedauerlich scheint der Umstand, dass das Fehlen von Fussnoten wohl das Lesen erleichtert, das etwas dünne Literaturverzeichnis am Ende dafür aber keinen Ausgleich bietet. Der Rezensenten hätte Literaturangaben zu jedem Kapitel begrüsst. Wer mehr Lese- und Diskussionsstoff sucht, sollte also vielleicht gleich zur umfassenderen «Halbierten Wirklichkeit» greifen. Allerdings setzt sich Mutschler dort nur mit dem theoretischen Materialismus auseinander (dafür aber umso intensiver). Das vorliegende Taschenbuch nun ist eine geistreiche Verteidigung des Geistes in der Zeit eines aufdringlichen Materialismus und seinen sehr günstigen Preis  in jedem Falle wert.

 

208 Seiten für 14,90€, Echter Verlag 2016, ISBN 978-3429-039233

Dr. Andreas Losch, Bern im Juli 2016