Göttliches Spiel. Evolutionstheologie von Wolfgang Schreiner

Rezension von Dr. Andreas Losch

Wie die planvolle Schöpfung eines gütigen Gottes mit den Zufällen der Evolution zu vereinbaren sei, ist die zentrale Fragestellung des vorliegenden Buches von Wolfgang Schreiner. Der Autor ist Professor für Medizinische Computerwissenschaften, also Naturwissenschaftler und zudem „praktizierender Christ“. Diese Wortwahl macht deutlich, aus welchem christlichen Milieu der Autor kommt und er kann daher recht treffend darstellen, welche Probleme sich für ein bestimmtes christliches Selbstverständnis aus der Konfrontation mit den Evolutionsprozessen ergeben, wenn man diese nicht kreationistisch weginterpretieren will. Insofern ist das vorliegende Buch ein sehr ehrliches Buch.

Wenn die evolutionären Genomveränderungen, mit denen sich der erste Teil des Buches befasst, tatsächlich zufällig verlaufen, wäre der Mensch ein Zufallsprodukt, seine Besonderheit in der Natur in Frage gestellt. Wie könnte man dann noch von seiner absichtsvollen Erschaffung durch Gott reden? Und wie lassen sich die vielen negativen Genomveränderungen, die Leiden und Krankheit verursachen, mit der Vorstellung eines gütigen und planenden Gottes zusammendenken? Wäre ein solch „würfelnder“ Gott noch gerecht?

Der Autor möchte den naturwissenschaftlichen Fakten ebenso gerecht werden ebenso wie dem Wortlaut der Bibeltexte, wobei er sich dessen bewusst ist, dass deren spätere Rezeption und Interpretation durchaus zu hinterfragen ist (S. 53). Den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen sind die ersten fünf Kapitel des Buches gewidmet, in denen anschaulich auf den Erkenntnisweg der Naturwissenschaften eingegangen und dann recht detailliert der Prozess der evolutionären Genomveränderungen geschildert wird. Dem Autor sind diese Details wichtig, denn vermitteln „eine Sicht der Wirklichkeit, aus der anschließend Folgerungen für die Evolutionstheologie gezogen werden“ (S. 18). Ein spezielles, hellblau unterlegtes Absatzformat für Kommentare, die Erläuterungen zum laufenden Text enthalten, hilft dabei, diesen auf die zentrale Fragestellung des Buches zu beziehen. So heißt es dort z.B., dass die Eigenschaften der molekularbiologischen Mechanismen „der Vorstellung eines planenden Design im Rahmen der Schöpfung ziemlich diametral entgegen“ stehen. „Diese Einschätzung entsteht jedoch erst dann, wenn man die Vorgänge im Detail studiert.“ (S. 98). Ein solches Detailstudium eben vermisst Schreiner auch im Dialog der Theologie mit den Naturwissenschaften (S. 258).

 

Entwurf einer Evolutionstheologie

Den ausführlicheren zweiten Teil zur Evolutionstheologie kann man eigentlich am besten mit einem Zitat aus dem ersten Teil überschreiben: „Für die Physik war das Bekanntwerden neuer Fakten eine Quelle des Fortschritts, auch in der Theorie. Warum kann das nicht in der Theologie ebenso sein?“ (S. 26) Auslegungen der Heiligen Schrift wären dann „in ihrer Abhängigkeit vom jeweiligen Wissen der Zeit zu sehen. Ändert sich dieses, können sich ‚grundsätzlich‘ auch die Auslegungen ändern, ohne zur Irrlehre zu werden.“ (S. 143)

Die skizzierte „Evolutionstheologie“ (abgekürzt mit E.T.) selbst beinhaltet dann im Wesentlichen folgende Argumentation: Das Prädikat „gut“, dass die erste Schöpfungsgeschichte der Schöpfung verleiht, muss wohl besser als „erfolgreich“ verstanden werden, in dem Sinne, dass sich „immer mehr und komplexere Arten entwickelten“ (S. 155). Ein Paradies wird nicht mehr benötigt. „Jener ideale Ausgangszustand, der hier suggeriert wird, hat nie bestanden. Vielmehr ist durch den Intellekt des Menschen eine Option hinzugekommen, nämlich anders zu handeln als bisher.“ (S. 161) Die Vaterunserbitte „vergib uns unsere Schuld“ wäre besser zu übersetzten mit: „Vergib uns das Verharren im Geerbten (Verhalten), und auch wir wollen es unseren Nächsten vergeben. Laß uns nicht überwältigt werden von unseren ererbten Verhalten sondern erlöse uns von seinen bösen Auswirkungen.“ (S. 166) ‚Treibstoff‘, sich diesem „evolutionär ererbten Inventar“ zu widersetzen, erhalte der Gläubige durch den Glauben an die Liebe Gottes, derer er durch das Mitleiden Jesu versichert wird. „Erlösung durch Trost“ also (S. 304).

Wenn Sünde aber gewissermassen der evolutionäre Normalfall ist, wird nur der schuldig, der sich den evolutionären Verhaltensweisen nicht zu widersetzen versucht. Die Haltung der Kirche gegenüber „Sündern“ sollte sich dementsprechend von Beschuldigung zu Beratung ändern. Überhaupt kann sich der Autor auch eine Evolution von (Liturgie und) Kirche vorstellen und zeigt sich hier teilweise von Dawkins Memtheorie motiviert, fordert allerdings eine „Unterscheidung der Geister“, um positive Änderungen zu befördern (S. 287). Seine E.T. löst logische Widersprüche auf, indem sie traditionelle Glaubensvorstellungen wie z.B. die Allmacht Gottes in Frage stellt. Interessant für die Auseinandersetzung mit der Theodizeefrage ist sein Verständnis von Leid als Nebenprodukt der Entwicklung des Intellekts.

Dem missverständlichen Begriff des „Intelligent Design“ erteilt Schreiner eine Absage. Seine Suche nach „rationalem Design“ in Form von modellhaften Prozessen in der Evolution kommt zu keinem Ergebnis, wobei er aber die Möglichkeit sieht, die Evolution an sich als intelligent gestaltet anzuerkennen und somit die Schöpfung als „zufällig und dennoch gewollt“ zu verstehen. (S. 276)

 

Fazit

Der Leser findet ein ehrliches und spannendes Buch vor sich. Auch wenn die Herkunft und damit verbundene Diktion des Autors eine fachtheologische Rezeption sicher nicht immer erleichtert, und dem Autor vielleicht auch die Einsicht in naheliegende Konsequenzen manchmal verstellt, könnten gerade diese Reste von biblizistischen Denkstrukturen helfen, mit dem Buch eine Brücke ins das Milieu „praktizierender Christen“ zu schlagen. Schreiner wird sich seiner Verbündeten innerhalb der theologischen Tradition nur recht sporadisch bewusst, aber das sollte man von einem theologischen Laien vielleicht auch nicht erwarten. Auch im Gespräch von Theologie und Naturwissenschaften gäbe es neben den von Schreiner zitierten Autoren noch zahlreiche weitere anschlussfähige Schriften. Eine interessante Frage wäre, ob die Evolutionstheorie selbst, wie Schreiner sie zugrunde liegt, nicht kooperativer ausgelegt sein könnte als gemeinhin angenommen (vgl. die Arbeiten Martin Nowaks).

Holzhausen, 1. Auflage 2013, ISBN 978-3902868527, 373 Seiten, 29,50 €

 

Dr. Andreas Losch, Bern im Februar 2016