Astrotheologie

Leitartikel von Ted Peters

Im Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften bietet die Astrobiologie eine Reihe faszinierender Herausforderungen. Die Erforschung des Weltraums erfordert nämlich mehr als nur den Blick in die Sterne durch ein Teleskop. Sie umfasst notwendigerweise auch die Urknall-Kosmologie, die Evolutionsbiologie und die Relativitätstheorie. Laut NASA ist Astrobiologie die Untersuchung des Ursprungs, der Entwicklung und der Verbreitung von Leben im Universum. (Chon-Torres, et al. 2022) 

Die Suche nach Leben mit einer eigenen zweiten Genesis außerhalb der Erde hat zweierlei Gestalt. Zum einen hoffen Astrobiologen auf dem Mars oder vielleicht den Monden von Saturn und Jupiter, mikrobielles Leben zu finden. Zum anderen hoffen Astrobiologen auf Exoplaneten, die andere Sterne in der Milchstraße umkreisen, intelligentes Leben zu entdecken. Bislang wurde nichts gefunden. Doch die Hoffnungen sind groß (Losch 2017).

Was könnte es für uns “Erdlinge” bedeuten, wenn wir entdecken, dass wir unser Universum mit anderen intelligenten Zivilisationen teilen? (Chela-Flores 2019). Es ist die Pflicht des Astrotheologen und der Astrotheologin, sowohl in der Lehre als auch öffentlich über solche Fragen nachzudenken.

Was ist Astrotheologie?

Die christliche Astrotheologie ist derjenige Zweig der Theologie, der eine kritische Analyse der zeitgenössischen Weltraumwissenschaften mit einer Auslegung klassischer Lehren wie Schöpfung und Christologie kombiniert, um ein umfassendes und sinnvolles Verständnis unserer menschlichen Situation in einem erstaunlich großen Kosmos zu schaffen (Peters, Introducing Astrotheology 2018).

Theolog(inn)en in anderen religiösen Traditionen als der christlichen könnten ebenfalls eine Astrotheologie konstruieren, wobei sie vielleicht andere Lehrfragen stellen.

Der Astrotheologe, die Astrotheologin sollte sich auch mit Astroethik befassen, d. h. ethisch über die Erforschung des Weltraums nachdenken, um zur öffentlichen Policy beizutragen. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel (Cleland 2013).

Würde die Bestätigung außerirdischen Lebens eine Krise für die irdische Religion auslösen?

Würde die Bestätigung außerirdischen Lebens die Religionen auf der Erde in eine Krise stürzen? Religionskritiker sind dieser Meinung. Seit Jahrzehnten warnt Physiker Paul Davies unermüdlich vor der Krise, in die die traditionellen Religionen geraten würden, wenn sie mit außerirdischer Intelligenz (ETI) konfrontiert würden. "Die Existenz außerirdischer Intelligenzen hätte tiefgreifende Auswirkungen auf die Religion und würde die traditionelle Sichtweise der Beziehung zwischen Gott und Mensch völlig erschüttern" (Davies 1983, 71). Der Astrotheologe muss sich fragen: Ist das wahr?

Nein, ist es nicht. Woher ich das weiss? Weil ich eine Umfrage unter sich religiös verstehenden Menschen durchgeführt und sie nach der Möglichkeit einer solchen Krise gefragt habe. Sie nennt sich Peters ETI Religious Crisis Survey. Die Umfrage ist in den Philosophical Transactions der Royal Society zusammengefasst. Hier ist nur ein Vorgeschmack darauf.

Ein Datensatz soll diesen Vorgeschmack liefern. Mit Hilfe einer ehemaligen studentischen Hilfskraft, Julie Froehlig, haben wir Personen aus einer Vielzahl von religiösen Traditionen, die sich selbst als religiös bezeichnen, diese Frage gestellt: "Die offizielle Bestätigung der Entdeckung einer Zivilisation intelligenter Wesen, die auf einem anderen Planeten leben, würde meinen Glauben so sehr untergraben, dass er in eine Krise geraten würde." Fast niemand kreuzte "stimme zu" oder "stimme voll und ganz zu" an. Mehr als 90 % kreuzten "stimme nicht zu" oder "stimme überhaupt nicht zu" an. Dies gilt für genauso für evangelikale, fundamentalistische oder römisch-katholische Christen wie für Mainstream-Protestanten und auch für Buddhisten, Mormonen und selbsterklärte Nichtreligiöse. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gläubige aller getesteten religiösen Traditionen eine Integration neuer Erkenntnisse in Bezug auf ETI bejahen.

Astrotheologie als öffentliche Theologie

Methodisch lässt die Astrotheologie Daten aus der Astrobiologie und verwandten Weltraumwissenschaften in ihre Theorie einfließen. Die Wissenschaft trägt also zur theologischen Lehrbildung bei. Im Gegenzug nimmt sich die Astrotheologie das Recht heraus, die Wissenschaften auch zu kritisieren, insbesondere wenn sie ihre selbst gesetzten Grenzen überschreiten und eine materialistische Metaphysik vertreten (Peters, Astrotheology's contribution to public theology: From the extraterrestrial intelligence myth to Astroethics 2021).

Das bedeutet, dass Astrotheologie öffentliche Theologie ist. Öffentliche Theologie wird in der Kirche konzipiert, an der Universität kritisch überarbeitet und um des Gemeinwohls willen der breiteren Kultur angeboten. In dieser öffentlichen Sphäre kritisiert die öffentliche Theologie wie die Prophetie des alten Israel die etablierten Mächte.

Das bedeutet auch, dass jeder Aspekt der breiteren Kultur Material für die theologische Reflexion bietet. Gehört dazu vielleicht auch das Phänomen der UFOs (Unbekannter Flugobjekte)? Schließlich überschneidet sich ja die Hypothese von außerirdischen Besuchern mit der astrobiologischen Suche nach Leben im Universum.

Sollte Astrotheologie auch UFOs studieren?

Die umfassende Aufgabe einer öffentlichen Theologie könnte man als Kulturtheologie bezeichnen. Eine Kulturtheologie erkennt nach Paul Tillich an, dass das Religiöse “aktuell in allen Provinzen des Geistigen” ist (Tillich 1919). Die Religion, sagt Tillich, findet sich in der Tiefe der Kultur. Die öffentliche Theologie sollte daher allen kulturellen Phänomenen eine religiöse Dimension abgewinnen.

Weist das UFO-Phänomen nun eine religiöse Dimension auf? Ja, in der Tat. Unidentifizierbare Objekte, die visuell gesichtet oder auf dem Radar verfolgt werden und durch die Erdatmosphäre fliegen, sind mehr als bloss “unbekannt”. Es hat sich eine ganze UFO-Subkultur entwickelt, die von der Anwesenheit außerirdischer Intelligenz im irdischen Leben ausgeht (Peters, UFO 2005). Als Phänomen beinhaltet die UFO-Subkultur eine durchaus beachtenswerte Menge Wissenschaft, zusammen allerdings mit einer ebenso starken Dosis des Paranormalen. Wie ein Apfel, der an einem niedrigen Zweig seines Baums hängt, ist das UFO-Phänomen m.E. eine reife Frucht, die die Astrotheologie pflücken kann.

Allerdings würde keine Astrobiologin, die etwas auf sich hält, einen Ufologen zum Abendessen einladen. Ufologie gilt als marginal, verrückt und sogar pseudowissenschaftlich. Das sollte die Astrotheologie nicht stören. Sowohl die etablierte Astrobiologie als auch die nicht so etablierte Ufologie versorgen Astrotheolog(inn)en mit kulturellen Daten, die sie studieren und auf die sie reagieren können.

Seltsamerweise werden UFOs nun plötzlich zu einem Thema auch für wissenschaftliche Studien. Die Scientific Coalition for UAP (Unidentified Aerial Phenomena) oder auch SCU baut derzeit Gerätschaften auf, um anomale Erscheinungen in der Luft und auf See zu verfolgen und zu messen. Der Astronom Avi Loeb von der Harvard University hat sein Galileo-Projekt ins Leben gerufen. Wie SCU wollen auch die Galileo-Wissenschaftler mögliche außerirdische Besuche in der Erdatmosphäre untersuchen. Da die Wissenschaft selbst ein kulturelles Phänomen ist, das öffentliche Theologie studiert und interpretiert, sollten die Überschneidungen zwischen Astrobiologie und Ufologie die Augen der Astrotheolog(inn)en zum Leuchten bringen.

Schlussfolgerung

Die Astrotheologie wird am Besten von einer systematischen Theologin bzw. einem Dogmatiker behandelt. Astrotheologie ist ein Zweig innerhalb der öffentlichen Theologie, der sich einer Kulturtheologie als Methode bedient.  Wie eine Brücke zwischen Theologie und Wissenschaft geht der Verkehr in zwei Richtungen. Von der Wissenschaft zur Theologie bringt der Austausch die neuen Erkenntnisse, die wir über unser majestätisches Universum lernen, in die Lehren von Schöpfung und Erlösung ein. In umgekehrter Richtung, von der Theologie zur Wissenschaft, liefert der Austausch eine Analyse der religiösen Tiefe sowohl der Astrobiologie als auch der Ufologie, die sonst in unserem kulturellen Selbstverständnis übersehen werden könnte.

Ted Peters
Publiziert im August 2022
(Übersetzung: Andreas Losch)

Ted Peters bemüht sich um Austausch an der Schnittstelle von Wissenschaft, Religion und Ethik. Peters ist emeritierter Professor an der Graduate Theological Union, wo er im Namen des Center for Theology and the Natural Sciences in Berkeley, Kalifornien, USA, Mitherausgeber der Zeitschrift Theology and Science ist. Er ist Autor von Playing God?Genetic Determinism and Human Freedom? (Routledge, 2. Aufl., 2002) sowie Science, Theology, and Ethics (Ashgate 2003). Zusammen mit Martinez Hewlett, Joshua Moritz und Robert John Russell ist er Mitherausgeber von Astrotheology: Science and Theology Meet Extraterrestrial Intelligence (2018). Zusammen mit Octavio Chon Torres, Joseph Seckbach und Russell Gordon ist er Mitherausgeber von Astrobiology: Science, Ethics, and Public Policy (Scrivener 2021). Er ist auch Autor von UFOs: God's Chariots? Spirituality, Ancient Aliens, and Religious Yearnings in the Age of Extraterrestrials (Career Press New Page Books, 2014). Siehe auch seine Website: TedsTimelyTake.com.

Literatur

Chela-Flores, Julian. Astrobiology and Humanism: Conversations on Science, Philosophy, and Theology. Cambridge UK: Cambridge Scholars Publishing, 2019.

Chon-Torres, Octavio, Ted Peters, Joseph Seckback, and and Richard Gordon. Astrobiology: Science, Ethics, and Public Policy. New York: Wiley Scrivener, 2022.

Cleland, Carol, and Elspeth Wilson. "Lessons from Earth: Toward an Ethics of Astrobiology." In Encountering Life in the Universe, edited by Anna Spitz, and William Stoeger Chris Impey, 17-55. Tucson AZ: University of Arizona Press, 2013.

Davies, Paul. God and the New Physics. New York: Simon and Schuster, 1983.

Losch, Andreas, ed. What is Life? On Earth and Beyond. Cambridge UK: Cambridge University Press, 2017.

Peters, Ted. "Astrotheology’s contribution to public theology: From the extraterrestrial intelligence myth to Astroethics." HTS Teologeise Studies 77:3, 2021: 1-8.

Peters, Ted. "Introducing Astrotheology." In Astrotheology: Science and Theology Meet Extraterrestrial Life, 3-26. Eugene OR: Cascade Books, 2018.

Peters, Ted. "UFO." In Religion in Geschichte und Gegenwart, by Don Browning, Bernd Janowski, and Eberhard Jüngel. Tübingen Hans Dieter Betz. Tübingen: Mohr Siebeck, 2005.

Tillich, Paul. "Über die Idee einer Theologie der Kultur." In Main Works / Hauptwerke 6 Volumes, by Paul Tillich, 2:69-86. Berlin: DeGruyter, 1919.

Bildnachweis

  • Book of the universe - opened magic book with planets and galaxies. Elements of this image furnished by NASA (c) Adob Stocks #420016490 von hiddencatch
  • Question 3 of the The Peters ETI Religious Crisis Survey (c) Ted Peters
  • 2 UAPS / Ufos in the night sky at a beach. UFO UAP Sighting at night (c) Adobe Stocks #472188641 von flint0010
  • Ted Peters (c) Ted Peters

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Diskussion zum Leitartikel von Ted Peters

Wenn es außerirdisches Leben da draußen geben sollte, würde das den christlichen Glauben erschüttern? Was meinen Sie?

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