Leitartikel von Günter Ewald (Pro) und Christian Hoppe (Contra)
Gibt es wissenschaftliche Indizien für ein Leben nach dem Tod?
Seit Anfang 2011 stellt Clint Eastwoods Film "Hereafter - Das Leben danach" die Frage nach dem Jenseits. In dem Film geht es um Nahtoderfahrung und den Kontakt mit Verstorbenen. Was immer man von ihm halten mag, die Frage, ob es wissenschaftliche Indizien für ein Leben nach dem Tod gibt, ist auf jeden Fall eine aktuelle Frage, die im Folgenden von zwei Experten gegensätzlich beantwortet wird.
Günter Ewald PRO "Ja, es gibt sie, zwar nicht als Beweise, aber als Hinweise"
Christian Hoppe CONTRA "Ewiges Leben – nicht Weiterleben nach dem Tod"
Günter Ewald: "Ja, es gibt sie, zwar nicht als Beweise, aber als Hinweise"
Um meine Überzeugung vorwegzunehmen: Es gibt sie, nicht als Beweise, aber als Hinweise, die wissenschaftlich fundiert sind, empirisch und theoretisch im Weltbild, das zugrunde gelegt wird. Konkret geht es um die Deutung dessen, was in so genannten Nahtoderfahrungen oft berichtet wird: Die erlebte Trennung des Bewusstseins vom Körper und damit verbundene außersinnliche Wahrnehmungen sowohl des eigenen physischen Körpers wie eines mystischen Lichtes, was manchmal eine Begegnung mit verstorbenen Freunden oder Verwandten einschließt.
Eine Kernfrage lautet: Sind das nur traumartige, subjektive Erlebnisse oder kann mehr geschehen. Hierzu trägt empirisch gesehen eine Studie des niederländischen Kardiologen Pim van Lommel entscheidend bei, die 2001 in der renommierten Medizinzeitschrift The Lancet publiziert wurde: Van Lommel oder Kollegen bzw. Mitarbeiter befragten wiederbelebte Patienten sehr bald nach der Reanimation nach entsprechenden Erlebnissen. Es wurden ihnen dabei nachprüfbare Details außerkörperlicher Wahrnehmung mitgeteilt, die stimmten und die sich nach sorgfältiger medizinischer Analyse nicht während des Herzstillstandes und damit verbundener EEG-Nulllinien im Gehirn gewinnen ließen. (Beispielsweise beschrieb ein Patient präzise, wo sein künstliches Gebiss im Gerätewagen verstaut wurde). Demnach gibt es ein Teilbewusstsein des Menschen, das unabhängig vom Gehirn ist. – Die van Lommel-Studie wirft auch ein neues Licht der Glaubwürdigkeit auf die Tausende von nur nachträglich berichteten Erlebnissen, die in ganz entsprechender Weise abliefen.
Eine Frage des Weltbildes
Der Weltbildhintergrund ist für diese Kernfrage insofern entscheidend, als das noch weit verbreitete „klassische“, naturalistische Weltverständnis jede Bewusstseinstätigkeit an Hirnvorgänge bindet, eine Trennbarkeit von Teilen des Bewusstseins und Gehirn also ablehnt. In dem durch die Quantenphysik veränderten Weltbild besteht dagegen grundsätzlich kein Einwand gegen die genannte Trennbarkeit. Man braucht nicht zu erwarten, dass das außerkörperliche Bewusstsein einmal quantenphysikalisch verstanden wird. Wesentlich für das neue Weltbild ist, dass es offen ist und nicht nur eine erweiterte Abgeschlossenheit schafft. Eine neurobiologische Untersuchung auch außerkörperlicher Bewusstseinsprozesse steht einstweilen nicht an, da die gegenwärtige Hirnforschung zu fast 100% auf klassische Physik gründet. Ehe sich das geändert hat, ist sie somit nicht legitimiert, auf dem Boden quantenphysikalisch erweiterter Wissenschaft über die Trennbarkeit von Körper und Bewusstsein eine wesentliche Aussage zu treffen.
Vom außerkörperlichen Bewusstsein zu einem Leben nach dem Tod ist es gewiss noch ein großer Schritt. Entscheidend ist aber, dass es den Ausgangspunkt gibt. Weitere Gedanken schließen sich dann hypothetisch an, teilweise flankiert durch die vielfältigen Aussagen von Nahtodberichten. Dabei sollte man das tiefe Überzeugtsein von einem Leben nach dem Tod nicht gering achten, das viele Menschen durch ihr Nahtoderlebnis gewonnen haben. Es mag mit verschiedenartigen inhaltlichen Vorstellungen, auch Bildern, ausgefüllt sein, strahlt aber Echtheit und Überzeugungskraft aus.
Antwort auf Einwände
Zu dem gelegentlich geäußerten Einwand, man könne Nahtoderlebnisse künstlich verursachen, etwa durch Sauerstoffentzug, Hirnreizung, Drogeneinnahme, autogenes Training oder Tiefenmeditation, was beweise, dass sie eine hirnbiologische Angelegenheit seien, möchte ich noch Folgendes bemerken: Hier wird „verursachen“ und „auslösen“ verwechselt. Wenn ich eine Musikanlage einschalte, verursache ich keine Musik, sondern bringe sie nur in Gang, So ist es bei den genannten Aktivitäten. Auch ein Verkehrsunfall oder Herzinfarkt kann Auslöser eines Nahtoderlebens sein, erklärt aber nicht, was dann geschieht. Im Übrigen sind spontane Nahtoderfahrungen meist „tiefer“ als absichtlich herbeigeführte Teile davon.
So, wie im irdischen Leben „Bewusstsein“ nicht die volle Identität des Ich wiedergibt, sind entsprechende Ergänzungen für das außerkörperliche Bewusstsein notwendig. Vielleicht sollte man von der „Seele“ und deren Unsterblichkeit reden, in christlicher Auffassung ohne den Platonismus, der manchmal fälschlicherweise in biblische Aussagen über Seele hineingedeutet wird.
Auferstehung im Tod
Das führt dann zu verschiedenen religiösen Konzepten, insbesondere theologischen hinsichtlich Auferstehung. Die hier vertretene Auffassung fügt sich gut mit dem Gedanken einer „Auferstehung im Tod“ zusammen und gibt diesem eine Konkretion. Mir ist sie sympathischer als die Ganztodtheologie von Althaus und Barth. Diese kommt der klassischen Neurobiologie entgegen, indem sie im Tod auch Bewusstsein oder Seele sterben sieht. Dann aber folgt eine Art Super-Kreationismus: Während sich Gott den Schöpfungsberichten gemäß sechs Tage Zeit ließ, bis er ein Menschenpaar erschuf, rekonstruiert er am jüngsten Tag alle Menschen, die je gelebt haben, auf einen Schlag und registriert ihre Lebensgeschichten. Wie man sich davon eine Vorstellung machen soll, geistig oder materiell oder sonst wie, bleibt im Dunkeln. Ich denke, es bringt mehr, bei aller Unvollkommenheit der Sprache – die gilt ja überall – den Spuren der Nahtoderfahrungen zu folgen und in ihnen Indizien für ein Leben nach dem Tod noch intensiver als bisher aufzuspüren.
Meine These: Fortschreitende Aufklärung über das durch Quantenphysik veränderte Weltbild und die weitere Erforschung von Nahtoderlebnissen wird künftig dem Glauben an ein Leben nach dem Tod weiter Auftrieb geben.
Dr. Günter Ewald ist Mathematiker und beschäftigt sich seit seiner Emeritierung mit den genannten Fragestellungen (...mehr).
Christian Hoppe: Ewiges Leben – nicht Weiterleben nach dem Tod
Im Traum trennt sich unser Erleben vom Körper (der schlafend im Bett liegt), und in der Traumwelt begegnen uns andere Personen ohne Körper, lebende und verstorbene. Die Möglichkeit eines vom Körper unabhängigen, befreiten Erlebens ist Ausgangspunkt der Vorstellung von immateriellen, rein geistigen Wesen: unsterbliche Seelen (wie im Film Hereafter), Geister und Gespenster, Engel und Dämonen, Götter und Gott. Doch Vorstellbarkeit bedeutet noch nicht Existenz (vgl. Harry Potter).
Introspektiv hat niemand Zugriff auf seine Hirnprozesse, auch durch Innenschau oder Meditation kann man nichts über seinen Hirnzustand erfahren. Erst seit etwa achtzig Jahren besteht die Möglichkeit, an lebenden Personen Hirnprozesse zu messen (Elektroenzephalographie); in den vergangenen Jahrzehnten wurden weitere Verfahren entwickelt. Der wissenschaftliche Befund ist eindeutig: Geistig-seelische Phänomene in einer uns irgendwie verständlichen Form treten ausschließlich in Verbindung mit Hirnprozessen auf, auch nachts. Sie kommen in der Narkose und im Tiefschlaf soweit zum Erliegen, dass nichts mehr erlebt wird (auch kein Nichts).
Nahtoderlebnisse sind keine Träume. Sie treten vielmehr unter seltenen Bedingungen im Übergangsbereich zwischen Bewusstsein und Bewusstlosigkeit auf – und könnten daher prinzipiell auch beim Sterben auftreten. Die Nahtoderfahrung findet jedoch vollständig im Leben statt, diesseits der Todesgrenze. Grundsätzlich gilt: Wer immer etwas berichten kann, war niemals tot (auch nicht „klinisch tot“); denn das medizinische Minimalkriterium des Todes ist der unwiderrufliche Verlust aller Hirnfunktionen. Auch Nahtoderlebnisse sind von Hirnfunktionen abhängig; sie können in Einzelaspekten durch eine experimentelle chemische oder elektrische Manipulation der Hirnfunktion gezielt ausgelöst werden.
Bisher ist kein Nachweis geistig-seelischer Vermögen ohne zugrunde liegende Hirnfunktion gelungen. Alles spricht dafür, dass mit dem Tod (des Gehirns) das geistige Leben einer Person an ihr Ende gelangt. Die Idee einer körperlosen (hirnlosen) Seele, die den Tod des Körpers überlebt und danach weiter-lebt – ist denn da noch Zeit? –, ist unverständlich geworden.
In Wirklichkeit
Naturwissenschaftler sagen gerne: „In Wirklichkeit verhält es sich so und so.“ Ernsthaftes Denken steht unhintergehbar unter dem Wahrheitsanspruch der Wirklichkeit. Was je wirklich war, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Wirklichkeit ist da, indem sie sich einem Wirklichen zeigt, das sich erkennend (beobachtend und denkend) auf Wirklichkeit beziehen kann. Warum aber ist überhaupt irgendetwas und nicht vielmehr nichts? Und warum gibt es in dieser Wirklichkeit uns Menschen, die als klitzekleiner Teil des Ganzen die Frage nach dem Ganzen stellen können?
Die materialistische Ontologie des Naturalismus (Physikalismus) erlaubt auf diese Fragen keine Antwort. Wie unvollständig der Materialismus ist, zeigt sich schon daran, dass Sätze und Handlungen keine physischen Objekte sind; denn kein beobachtbares Objekt hat die Eigenschaft wahr oder falsch, gut oder böse zu sein. Die Physik ist jedoch ein Satzgebilde und Resultat von Handlungen; sie könnte aus sich heraus nicht einmal begründen, dass es gut ist, die Wahrheit zu suchen. Der Naturalismus ist Popularisierung von Naturwissenschaft („Weltbild“), keine Philosophie; seine Technikgläubigkeit ist dafür ein untrügliches Anzeichen.
Der Begriff Wirklichkeit – „in Wirklichkeit“ – stammt aus der mittelalterlichen Theologie (actualitas, übersetzt mit wercelicheit bei Meister Eckart). Thomas von Aquin bestimmt mit diesem Begriff das Sein selbst: Nichts, was ist, ist notwendigerweise oder hat sich selbst ins Sein gesetzt; doch alles was wirklich ist, war immer schon, vor aller Zeit, möglich. Daher denken wir in der Erkenntnis jedes kontingenten Seienden notwendig das Sein als Sein ermöglichenden Seinsgrund von allem, was ist. Denn da ja etwas ist (mindestens dieses Denken), ist die Alternative zum Sein – das absolute Nichts als die Unmöglichkeit, dass irgendetwas ist – undenkbar. In dem Gedanken und mehr noch in der schmerzlichen Erfahrung, dass nichts und niemand seine Existenz sich selbst verdankt, denkt und erfährt jeder Mensch hintergründig den absoluten Seinsgrund der Welt.
Während Wissen sich auf Wirklichkeit bezieht, ist Glauben die allgemeinmenschliche (also nichtreligiöse) Denkform des individuellen Lebenswagnisses, in dem jeder einzelne unter den gegebenen Bedingungen sein Handeln angesichts einer unbekannten Zukunft von erkannten Möglichkeiten bestimmen lässt, auf die er sein Vertrauen setzt. Glaube verhält sich zu Wissen, wie Möglichkeit zu Wirklichkeit.
Der Gott der Offenbarung
Das absolut Unwahrscheinliche und philosophisch schlechthin Unableitbare der biblischen Offenbarung besteht darin, dass der Seinsgrund als Gott aller Menschen in der Welt vorkommen und wirksam sein will – jedoch erstaunlicherweise ausschließlich unter der Bedingung, dass die konkreten Personen, denen sich diese unüberbietbare Möglichkeit erschließt, diesem Angebot aus freien Stücken trauen und ihr Handeln in der gegebenen Situation von dieser Möglichkeit bestimmen lassen. Ohne Glauben kann (und will) der Seinsgrund nicht Gott der Menschen in der Welt sein, ohne Glauben „gibt es“ Gott nicht.
Diese Konstellation – dem Werben eines Liebenden um die Geliebte nicht unähnlich – ist Kern der Glaubensbotschaft Jesu: Das Gottesreich ist bereits unmittelbar da, aber nur wo sich Menschen dieser Möglichkeit glaubend öffnen und ihr Handeln davon bestimmen lassen, kann Gott bei den Menschen ankommen – unabhängig von ihrer Religion (vgl. heidnischer römischer Hauptmann, barmherziger Samariter usw.). Jesus verkörpert diese Botschaft, weil er für sie in den Tod geht. Dass das Angebot der Nähe Gottes nicht dadurch wieder aus der Welt zu schaffen ist, dass man den Boten tötet, ist der Kern des Auferstehungsglaubens. Die Kirche „hat“ diese Glaubensbotschaft und Christus den Boten – aber der Glaube selbst lebt in den Reihen der Kirche so wie außerhalb davon. Kirche ist nicht der Glaube, sondern Dienst am Glauben.
Ewiges Leben
Das Christentum hat ein zwiespältiges Verhältnis zum Dualismus (Platonismus); denn es bestand immer die Gefahr einer Entwertung der irdischen, leibgebundenen Existenz und eines „Glaubens“ an jenseitige Traumbilder, der die konkret-geschichtliche Wirklichkeit aus dem Blick verliert. Nichts könnte dem biblisch-christlichen Glauben jedoch mehr widersprechen; denn Gott will ja gerade durch Glauben in dieser Welt ankommen!
Was bedeutet aber dann das „ewige Leben“, das im Glaubensbekenntnis bekannt wird? Der Tod beendet das Leben, doch er kann es nicht vernichten; denn was jemals „in Wirklichkeit“ war, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden. „In Wirklichkeit“ – aus Sicht des biblischen Offenbarungsglaubens also: in Gott – bleibt ein wirklich gelebtes Leben für alle Zeit und Ewigkeit wirklich, selbst wenn sich einmal kein Mensch mehr an uns erinnern kann. Die bleibende Wirklichkeit des Vergangenen wird nicht durch Erinnerungen der noch Lebenden konstituiert, man kann sich Wirklichkeit nicht ausdenken; vielmehr haben sich unsere Erinnerungen umgekehrt an der vergangenen Wirklichkeit zu bemessen. Da unsere Erinnerungen an die Toten unvollständig und in vielen Aspekten verzerrt sind, steht uns kein abschließendes Urteil über sie zu; doch irgendwie war jeder Mensch „in Wirklichkeit“.
Gott ist der denknotwendige Grund der Welt, die zeitenthoben-ewige Gegenwart meines zeitlich-endlichen Daseins, meine letzte Wirklichkeit und meine höchste Möglichkeit. Gott sieht mich, wie ich „in Wirklichkeit“ bin, er schaut mir ins Herz: Das ist mein Gericht, meine Seligkeit und meine Vollendung.
Dr. Christian Hoppe ist Neuropsychologe und katholischer Theologe am Universitätsklinikum Bonn.
Veröffentlicht im April 2011
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Bildnachweis: Hieronymus Bosch, Der Flug zum Himmel (Ausschnitt); Bildrechte: Public Domain