Geist und Materie – ein altes philosophisches Problem, ganz aktuell

Editorial 2024 von Frank Vogelsang

Eines der ältesten philosophischen Rätsel ist das des Verhältnisses zwischen Geist und Materie, bzw. Bewusstsein und Materie. Materie an und für sich lässt sich leicht vorstellen. Der große Stein, der vor den eigenen Füssen liegt, ist Materie, ohne Zweifel. Seine Existenz ist unbezweifelbar und wer zweifelt, mag gegen den Stein treten, der Stein wird dann seine ihm eigene Existenzform sehr deutlich machen. Doch wie steht es mit dem Geist? Wir sind denkende Wesen, das ist wahr. Aber was heißt das für die Bestimmung des Geistes? Sind Menschen denkende Wesen und andere Exemplare der Tierwelt sind es nicht? Haben nur Menschen Geist? Was genau ist der Geist, auf den wir uns immer wieder beziehen?

Eine entscheidende Frage ist die Bestimmung des Verhältnisses von Geist und Materie. Schon die erste Konkretion ist nicht trivial: Entstammt der Geist der Materie oder nicht vielmehr die Materie dem Geist? Hatte im 19. Jahrhundert die Schule des Materialismus recht oder nicht eher die Schule des Idealismus? Oder machen beide schwerwiegende Fehler, indem sie das eine auf das andere reduzieren und müssten nicht vielmehr Geist und Materie einfach irreduzibel nebeneinander stehen bleiben?

Die Fragen sind alt, sie tauchen aber wieder brandaktuell in neueren technologischen Entwicklungen auf. Ab wann ist ein Computer intelligent? Und kann man sagen, dass ein intelligenter Computer Geist hat? Die Diskussionen um die Künstliche Intelligenz zeigen, dass neue Fähigkeiten alte Gewissheiten aufbrechen. Ein Computer ist zunächst einmal eine Rechenmaschine, da ist nichts Geistvolles. Doch was ist, wenn dieser Computer mit einem Mal zu sprechen beginnt, wenn er „vernünftige“ Antworten gibt, fast so wie ein menschliches Gegenüber?

Wie auch immer das Ringen zwischen Geist und Materie ausgeht, am Ende wird mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht einfach die eine Seite gegenüber der anderen die Oberhand behalten. Vielmehr sind beide Seiten Aspekte, Dimensionen der Wirklichkeit, die sich gegenseitig durchdringen. Die Phänomenologie ist eine Richtung der Philosophie, die sich diesem alten Streit zu entziehen versucht hat. Wirklich ist das, was sich zeigt. Das, was sich zeigt, sind die Phänomene. Sie haben eine Zwischenexistenz, sie sind keine Erscheinung des Geistes, aber auch nicht einfach ein Abbild von etwas Materiellem.

Es bleiben Fragen. Es bleibt die Suche nach plausiblen Antworten. In diesem Jahr werden sich die Leitartikel auf unserer Seite www.theologie-naturwissenschaften.de mit dem Verhältnis von Geist und Materie befassen. Dies geschieht aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Gewichtungen: Was ist die Seele? Gibt es Willensfreiheit und worauf beruht sie? Wie lassen sich die neuen Systeme Künstlicher Intelligenz dazu einordnen? Welche Hinweise kann die Betrachtung des Leibes beitragen? Ist der Geist ein soziales Geschehen, das gar nicht in einem Einzelnen verankert ist, sondern vielmehr sich zwischen zweien, zwischen einem Ich und einem Du bewegt? Am Ende bleiben Fragen. Aber auch Teilantworten und Teileinsichten können sehr hilfreich sein? Wir laden ein, die folgenden Leitartikel in diesem Jahr zu verfolgen und zu diskutieren!

Frank Vogelsang
Publiziert im Februar 2024

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