KONSEQUENZEN DER QUANTENTHEORIE

Für meinen persönlichen Glauben

Der verlorene Kinderglaube

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“; diesen Satz aus Genesis 1 hat wohl in unserem Kulturkreis jeder gehört. Als Kind war das für mich absolut selbstverständlich. Mit fortschreitendem Alter begannen Zweifel; das ist ganz normal. Man beginnt über religiöse Dinge tiefer nachzudenken. Durch meine naturwissenschaftliche Ausbildung fiel es mir immer schwerer „übernatürliche“ Schilderungen, wie man sie in der Hl. Schrift häufig vorfindet, anzunehmen. Eine gewisse Brücke aus diesem Dilemma schuf vor 800 Jahren der jüdische Philosoph MAIMONIDES mit dem Satz: „Widersprechen Bibelstellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, so sind sie [die Bibelstellen] allegorisch zu deuten.“ Das würde aber bedeuten, auch die Auferstehung unseres HERRN nur allegorisch zu verstehen, und das fiel mir schwer zu glauben, denn ich befürchtete und verspürte einen ungeheueren Verlust zu erleben. 

 

Falsche Schlussfolgerungen

Ganz konsequent ging da der  ev. historisch-kritische  Theologe ERNST TROELTSCH (1865-1923) vor. Er schließt die Existenz „übernatürlicher“ Ereignisse kategorisch aus, da sie den Naturgesetzen widersprechen.  Gott hat die Welt zusammen mit den Naturgesetzen geschaffen, und die sind und bleiben gültig; das verlangt schon der Glaube an Gottes Treue zu seiner Schöpfung. Ein Gott, der laufend seine eigenen Gesetze brechen müsste, um seinen Willen durchzusetzen, wäre sicher nicht der Anbetung wert! TROELTSCH ist in der Annahme gestorben, dass es real nie eine Auferstehung Christi gegeben hat. Das ist das gleiche Gedankengut, das man bei BULTMANN vorfindet, wenn dieser zu einer „Entmythologisierung“ der Bibel auffordert. „Alles muss denkbar sein“ wird gefordert, wobei „denkbar“ nur ist, was der Faktenrealität entsprechen kann. Generationen evangelischer Theologiestudenten wurden in solchem Geist geschult, den sie als Pfarrer in die Gemeinden trugen. In meiner Jahrzehnte langen Presbyterzeit kann ich ein Lied davon singen.

In diesem Zusammenhang ist aber von entscheidender Bedeutung, dass unsere Naturgesetze vor der Quantenmechanik (QM) nur den ontologischen Teil unserer Wirklichkeit beschrieben haben, d.h. ausschließlich für unsere uns umgebende Faktenrealität anwendbar waren, und das Geistige nicht mit abdecken konnten. TROELTSCH hat also im Rahmen seiner Kenntnisse ganz folgerichtig gedacht und argumentiert.  Man könnte sagen, er hat zu früh gelebt, um zu erkennen, dass Gottes Naturgesetze viel umfassender sind und auch den epistemologischen Teil unserer Wirklichkeit, d.h. das Geistige, oder die Potentialität, in der alles denkbar ist,  erfassen können. Es hat nach der Formulierung der Quantenmechanik (ab1925 durch HEISENBERG, BOHR, SCHRÖDINGER  u.A.) aber noch Jahrzehnte, bis in die Gegenwart, gedauert, ehe sich die für uns hier wichtigen Konsequenzen bestätigt haben. Dies versuche ich im nächsten Abschnitt zu erläutern.

 

Die Quantenrevolution

ALBERT EINSTEIN (1879-1955) gehörte zu den ersten, die das Revolutionär-Umwälzende der neuen QM erkannten. Für ihn und praktisch alle seine Fach-Kollegen war unsere Faktenrealität das Maß der Dinge schlechthin in das sich alles, so auch die QM, einpassen muss. Er spürte sofort, dass die QM das nicht kann und wies das in seinem berühmten EPR (EINSTEIN-PODOLSKI-ROSEN)-Paradoxon1935 nach. Sowjetische Wissenschaftler strichen das Wort QM aus ihrer Enzyklopädie, um das Volk nicht zu „verunsichern“. EINSTEIN forderte, die QM um noch zu findende „verborgene“ Parameter zu erweitern, um sie in die Faktenrealität „einpassen“ zu können. Das Problem blieb trotz BOHRscher  Deutungsversuche, wie man heute weiß, ungelöst. Neun Jahre nach dem Tode EINSTEINS  wies der irische Physiker JOHN BELL 1964 nach, dass die QM sich nicht durch verborgene Parameter einpassen lässt, und schlug alles entscheidende, klärende, Experimente vor. Kein Mensch, sondern nur die Natur selbst konnte bestimmen, ob die nicht-einpassungsfähige QM korrekt ist, oder durch etwas komplett Neues ersetzt werden muss. Erst 1981 gelang dem Franzosen ALAIN ASPECT  die Klärung. Da das Experiment für die Physik und somit für unser ganzes Weltbild von epochaler Bedeutung war, wurde es in den Folgejahren von mehreren führenden Quanten-Laboratorien bis heute in immer größerer Genauigkeit mit variierenden Randbedingungen wiederholt.

Eindeutiges Ergebnis: Die Natur verhält sich so, wie es die QM beschreibt. Unser objektiv-lokaler Realismus (Faktenrealität) ist NICHT das Maß aller Dinge!

Das hat gewaltige Konsequenzen. Die QM ist die präziseste Naturbeschreibung, die wir haben; sie erfasst den epistemologischen Teil unserer Wirklichkeit (die sog. Potentialität der Dinge). Dieser lässt sich nicht in die Faktenrealität einordnen, sondern es ist genau umgekehrt: Die Faktenrealität  ist ein „Kind“ der allumfassenden Potentialität der Dinge. Der HEISENBERG-Nachfolger in München H.P. DÜRR sagt wunderbar: „Materie ist nichts anderes als geronnener  Geist.“  Die von EINSTEIN  und praktisch allen damaligen Kollegen angenommene Dominanz der Faktenrealität (das sog. materialistische Weltbild) ist im POPPERschen Sinn falsifiziert worden, d. h. es ist ungültig. Alles was wir hier faktisch sehen und erleben (unsere Sinneseindrücke) hat im Geistigen seine Ursachen. Das gilt für das ganze Universum einschließlich der Begriffe von Raum & Zeit. Den Prozess, wie aus der ursächlichen Potentialität faktische Realität wird, nennt man Dekohärenz, denn die kohärenten quantenmechanischen Zustände der Potentialität zerfallen um real zu werden. Das lässt sich alles mathematisch mit Hilfe komplexer Operatoren im Hilbertraum beschreiben, während unsere Sprache, die nur an der Realität orientiert ist, versagt. Darum hat HEISENBERG formuliert: „Über den letzten Grund unserer Wirklichkeit kann nur in Gleichnissen gesprochen werden.“

 

Religiöse Konsequenzen

Jetzt erscheint der o.g. erste Satz aus dem Buch Genesis „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ in einem klaren Licht. Geist schafft Materie, so ist es offenbar gewesen, und unser Raum und unsere Zeit sind ebenfalls entstanden. Dabei ist es zweitrangig, ob es vor „unserem“ Ur-Knall Vorläufer- Universen gab. Der Johannesprolog beginnt mit „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht was geworden ist – in ihm war das Leben“. Dies könnte glatt als Zitat eines gläubigen Quantenwissenschaftlers gelten. Und auch das JESU-Wort: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ [Mt 24,35] drückt klar aus, dass das Geistige als allumfassender Urgrund auch überdauern wird, wenn das Faktische aufhört zu sein. Das Geistige hat offenbar die Potentialität Leben und Kultur zu bewahren und auch neu hervorzubringen. Hier berühren sich Theologie und Naturwissenschaft und können sich fruchtbar ergänzen. Ich habe diesen Standpunkt schon mehrfach in Berichten dieses Weblogs geäußert. Mein Glaube an GOTT bleibt aber immer meine persönliche Angelegenheit. Durch die Beschäftigung mit der QM fällt es mir aber viel leichter an Gottes Wirken in unserer Welt zu glauben. Sicher trifft für viele Wundererzählungen die eingangs erwähnte Meinung von MAIMONIDES  zu, aber das Wesentliche, die Auferstehung JESU und die Heilserwartung werden auf einmal mühelos denkbar. Welch ein Fortschritt!

Herr Dr. FISCHBECK, von dem ich durch den Besuch seiner Seminare an der früheren Ev. Akademie in Mülheim a.d.R. „Mit dem heutigen Wissen den Glauben denken können“, die neuen Glaubens-Möglichkeiten durch die QM aufgezeigt bekam, hat zum vorliegenden Thema die Arbeit „Gott und die Naturgesetze“ verfasst. Diese Arbeit ist wesentlich stärker philosophisch untermauert als mein Text und kann auch auf der Weblog-Seite der Akademie  www.theologie-naturwissenschaften.de in der Sparte „Konsequenzen der Quantentheorie“ eingesehen werden. Der Schlusssatz: „Die Allgültigkeit der Naturgesetze beschränkt nicht die Allmacht Gottes, sondern bringt sie vielmehr zum Ausdruck“ ist auch ganz meine Überzeugung. Wie auch schon in früheren Aufsätzen, schließe ich gern mit einem wunderbaren Satz des britischen Quantenphysikers und Anglikanischen Priesters  JOHN C. POLKINGHORNE: „An Gott im Zeitalter der Naturwissenschaften zu glauben, bedeutet, die Gewissheit zu haben, dass hinter der Geschichte des Universums ein Gedanke und eine Absicht stehen und dass der EINE, dessen verborgene Anwesenheit sich darin ausdrückt, unserer Anbetung wert und der Grund unserer Hoffnung ist.“

  Das Wichtigste ist, dass ich eine Hoffnung im Leben habe, von dem ich annehme, dass wenn ich nicht glauben könnte, ich darauf verzichten müsste – und das wäre sehr, sehr schade.

 Dr. Georg Linke, Aachen im Dez. 2011   

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