Was ist Bewusstsein?

Leitartikel von Hans-Dieter Mutschler

‚Bewusstsein’ scheint eines der schwierigsten Themen überhaupt. Der Grund liegt darin, dass wir zwar Gegenstände durch das Bewusstsein sehen, es selbst aber nicht. Es ist, wie man oft gesagt hat, ‚durchsichtig’. Hinzu kommt, dass Bewusstseins-zustände nur dem gegeben sind, der sie hat. Sie sind also ‚privat’, ausserdem unkorrigierbar: Habe ich Zahnschmerzen, dann habe ich Zahnschmerzen, punktum. Während ich mich über alle zeiträumlichen Gegenstände täuschen kann, ist dies bei meinen eigenen Erlebnisqualitäten unmöglich. Hier gibt es keine Differenz zwischen Sein und Schein. Was mir erscheint ist, was es ist.

Etwas irritierend ist weiter, dass es keinerlei Konsens über die Arten des Bewusstseins gibt. Manche unterscheiden (in ‚aufsteigender’ Reihenfolge): Qualitatives Bewusstsein (‚Qualia’), intentionales Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein. Aber schon diese Einteilung ist strittig. Das qualitative Bewusstsein ist oft intentional, wie z.B. das Bewusstsein der Angst vor einem Löwen, manchmal auch nicht, wie das Gefühl der Depression. Manche glauben, dass das Ichbewusstsein all unsere Bewusstseinszustände begleitet, also fundamental ist. Andere hingegen glauben, dass es überhaupt nur qualitatives Bewusstsein gibt. Wieder andere identifizieren Selbstbewusstsein und Ichbewusstsein, während dagegen eingewandt wird, dass wir ein Bewusstsein unserer Bewusstseinszustände haben können, ohne dass damit schon ein Ichbewusstsein verbunden sein muss. Es gibt in diesen Fragen keinerlei Konsens. Manche Autoren unterscheiden bis zu acht Formen des Bewusstseins!

Mit diesem strittigen Problem des Bewusstseins beschäftigen sich ganz verschiedene Schulen oder Richtungen, die man vielleicht vierfach unterteilen könnte: 1) Naturalismus, 2) Phänomenologie, 3) Sprachphilosophie, 4) Bewusstseinsphilosophie.

Der Naturalismus existiert in zwei Versionen: a) als empirische Neurowissenschaft, b) als spekulativer Materialismus.

Etwas irritierend ist weiter, dass es keinerlei Konsens über die Arten des Bewusstseins gibt. Manche unterscheiden (in ‚aufsteigender’ Reihenfolge): Qualitatives Bewusstsein (‚Qualia’), intentionales Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Ichbewusstsein. Aber schon diese Einteilung ist strittig. Das qualitative Bewusstsein ist oft intentional, wie z.B. das Bewusstsein der Angst vor einem Löwen, manchmal auch nicht, wie das Gefühl der Depression. Manche glauben, dass das Ichbewusstsein all unsere Bewusstseinszustände begleitet, also fundamental ist. Andere hingegen glauben, dass es überhaupt nur qualitatives Bewusstsein gibt. Wieder andere identifizieren Selbstbewusstsein und Ichbewusstsein, während dagegen eingewandt wird, dass wir ein Bewusstsein unserer Bewusstseinszustände haben können, ohne dass damit schon ein Ichbewusstsein verbunden sein muss. Es gibt in diesen Fragen keinerlei Konsens. Manche Autoren unterscheiden bis zu acht Formen des Bewusstseins!

Mit diesem strittigen Problem des Bewusstseins beschäftigen sich ganz verschiedene Schulen oder Richtungen, die man vielleicht vierfach unterteilen könnte: 1) Naturalismus, 2) Phänomenologie, 3) Sprachphilosophie, 4) Bewusstseinsphilosophie.

Der Naturalismus existiert in zwei Versionen: a) als empirische Neurowissenschaft, b) als spekulativer Materialismus.

1) Der Naturalismus

Neurowissenschaftler wie z.B. a) Francis Crick oder Christoph Koch behandeln ganz konkrete Sinneswahrnehmungen, insbesondere das Sehen und sie lassen das Ich- und Selbstbewusstsein oder auch die Qualia auf sich beruhen, wobei sie skeptisch sind, ob sich insbesondere die Qualia und diese höheren Formen des Bewusstseins überhaupt naturalisieren lassen.

Das Problem, das sich innerhalb eines solchen Zugriffs ergibt besteht darin, dass sehr viele Lebensprozesse unbewusst ablaufen. Die Evolution hat vier Milliarden Jahre sehr effizient und ohne Bewusstsein gearbeitet. Auch beim Menschen läuft das Meiste unbewusst ab. Die Frage ist nun: gibt es bestimmte Neuronengruppen im Gehirn, die das Licht des Bewusstseins an- und abschalten? Das Irritierende ist doch, dass wir oft bestimmte routinierte Handlungen unbewusst ausführen, die wir auch bewusst ausführen könnten. Also müsste es da einen Unterschied im Gehirn geben. Man hat ihn bis heute noch nicht gefunden. Wenn sogar solche elementaren Fragen empirisch noch nicht geklärt sind, ist es kein Wunder, dass sich der Empiriker an die höheren Funktionen nicht heranwagt. Wir wissen z.B. noch nicht einmal, wie es das Gehirn macht, aus den Sinnesdaten der Augen ein kohärentes Bild mit Vorder- und Hintergrund zu konstruieren.

Man kann aber apriori erwarten, dass solche empirischen Untersuchungen fundamentale Gesetzmässigkeiten zutage fördern werden, denn Wesen, die über bewusste Sinneswahrnehmungen verfügten, mussten imstande sein, rasch zu reagieren, wenn sie effizient fliehen oder jagen wollten. D.h. man kann davon ausgehen, dass es im Gehirn fest verdrahtete Kausalverhältnisse gibt, die bestimmte Wahrnehmungen mit bestimmten Bewusstseinszuständen verknüpfen. Aber selbst wenn man sie herausgefunden hätte, wäre immer noch nicht erklärt, dass sich diese Bewusstseinszustände für uns irgendwie anfühlen. Der empirisch arbeitende Wissenschaftler wird hier sehr bescheidene Geltungsansprüche erheben.

Anders ist das b) mit den spekulativen Materialisten, also z.B. bei Daniel Dennett oder Thomas Metzinger. Sie wagen sich an alle höheren Formen des Bewusstseins, bleiben dabei aber ziemlich spekulativ. Letztlich läuft es bei beiden Autoren darauf hinaus, dass das Bewusstsein eine Art Illusion ist, wie ein gebrochenes Ruder im Wasser. Blicke ich in einem schrägen Winkel auf ein Ruder im Wasser, so scheint es geknickt, weil der Brechungsindex für Licht in der Luft und im Wasser verschieden sind. Auf diese Art erklärt der Physiker die Illusion des Gebrochenseins.

Der Unterschied freilich zum Bewusstsein ist, dass wir zum Bewusstsein keinen Abstand haben. Wir sehen es nie von aussen, gewissermassen als einen Gegenstand, was doch der Fall sein müsste, wenn wir es nach Art des gebrochenen Ruders erklären wollten. Dennett sprich hier von ‚Heterophänomenologie’. Unter ‚Phänomenologie’ verstehen wir die Sichtweise Husserls, die noch zu behandeln sein wird, wonach das Ausgerichtetsein des Bewusstseins auf seine Gegenstände ein Urdatum ist, das wir nicht hintergehen können. Aber diese Unhintergehbarkeit muss der spekulative Naturalist als Irrtum nachweisen. Das Phänomenologische muss zum Objekt werden.

Wie schwierig, wenn nicht aussichtslos, das ist, lässt sich vielleicht am besten in Bezug auf das Konzept Metzingers aufzeigen, der ganz ähnlich vorgeht wie Dennett.

Die Naturalisierung des Bewusstseins macht wesentlich Gebrauch vom Begriff der ‚Repräsentation’. Damit ist ein materieller Zustand im Gehirn gemeint, der für etwas steht. Man vergleicht es gerne mit einem Tacho im Auto. Die Nadel im Tacho steht für die Geschwindigkeit des Wagens, repräsentiert sie also. Dabei ist der Stand der Nadel etwas rein Materielles und durch rein materielle Prozesse mit der Winkelgeschwindigkeit der Reifen des Wagens verbunden.

Aber man könnte sich fragen, ob hier nicht versteckt eine Subjektivität am Werk ist, die doch mit Hilfe des Gedankens abgeschafft werden sollte. Gesetzt, es gäbe keine Menschen mehr, aber immer noch Autos und ein solches Auto würde sich an einer abschüssigen Strasse von selbst in Bewegung setzen, würden wir dann immer noch sagen, dass die Tachonadel die Geschwindigkeit repräsentiert, wo sie doch von niemanden abgelesen wird? Setzen wir hier nicht immer noch Subjektivität voraus?

Selbstbewusstsein erklärt Metzinger als „Metarepräsentation“. In diesem Fall repräsentiert unser Bewusstsein nicht nur einen Weltzustand, sondern das System repräsentiert noch einmal von einer Metaebene seine eigene Repräsentation. So etwas kommt heute in jedem ordentlichen Lastwagen vor: Der Lastwagen hat Sensoren, die die Strasse repräsentieren und er verfügt über ein System, das zugleich die eigenen Zustände repräsentiert. Würden wir aber deshalb sagen, dass der Lastwagen Selbstbewusstsein hat?

Für Metzinger gibt es ein materielles Zentrum des Willens im Gehirn und er stellt in Aussicht, dass wir, wenn wir dieses Zentrum gefunden hätten, den Willen beliebig manipulieren könnten, da er ohnehin nicht frei ist. Aber wer manipuliert hier wen? Würde diese Idee nicht nur dann Sinn machen, wenn es jenseits des Willensmoduls im Gehirn noch eine Subjektivität gäbe, die es manipuliert?

Sogar eine regelrechte Ethik leitet Metzinger aus seinem Konzept ab. Wenn wir, so Metzinger, die Einsicht an uns heranliessen, dass wir keine substantielle, personale Grösse sind, sondern nur eine Illusion des Gehirns, so würde uns diese Einsicht Würde verleihen. Aber kann jemand, der niemand ist, über Würde verfügen und kann Würde jemals als Resultat theoretischer Einsicht abgeleitet werden?

Während die empirisch vorgehende Neurowissenschaft aller Ehren wert ist, sind diese Spekulationen haltlos. Sie drehen sich ständig im Kreis und bestätigen, was die Phänomenologen immer behauptet haben, dass wir uns nämlich selbst nicht entgehen.

2) Die Phänomenologie

Edmund Husserl ist der Begründer der Phänomenologie. Sein Prinzip, das durch den spekulativen Materialismus wider Willen bestätigt wird, lautet: Der Grundakt des Bewusstseins ist Intentionalität. Das menschliche Bewusstsein ist immer auf etwas ausgerichtet, sei es auf Gegenstände in Raum und Zeit, sei es auf Phantasmata. Der Phänomenologe macht zwischen beiden erst einmal keinen Unterschied. Es kommt nur darauf an, dass uns etwas erscheint, wobei die subjektive Verwobenheit des Bewusstseins der eigentliche starting point ist und wobei dieses Bewusstsein apriorisch gedacht wird.

Von hier aus entfaltet Husserl die fundamentalen Akte der Subjektivität, wie Zeitbewusstsein, Vorgriff, Erinnerung, soziales Bewusstsein, Empathie usw. All dies im Rahmen eines Bewusstseinsapriori, das auf diese Weise letztbegründet werden soll. Es hat sich ja gezeigt, dass das Bewusstsein unkorrigierbar, d.h. in diesem Sinn absolut, ist. Das Phänomenale lässt sich also nicht wegdiskutieren. Diese Sicherheit hat natürlich auch ihren Preis: wenn wir die reale Welt im Sinn einer „Epoché“ ausklammern, wie kommt sie dann jemals wieder ins Spiel und haben wir uns dann nicht auf eine metaphysische Anthropologie beschränkt, die die Natur aussen vor lässt?

Die Nachfolger Husserls, allen voran Maurice Merleau-Ponty, aber auch Bernhard Waldenfels, radikalisieren diesen Ansatz, insofern sie das Bewusstsein ausschliesslich als Leibbewusstsein fassen, so dass die Wahrnehmung zum zentralen Topos wird. Da die Wahrnehmung im Sinn der Phänomenologie eine Überblendung von Sinn und Sinnlichkeit bedeutet, rücken hier Ausdrucksphänomene, vor allem die Kunst ins Zentrum. Von daher erhalten alle Gegenstände eine expressive Qualität, die Vergessenes und Verdrängtes zutage fördert, aber um den Preis, dass der Bezug zu Natur und Naturwissenschaft verloren geht.

3) Die Sprachphilosophie

Unter ‚Sprachphilosophie’ sollen im folgenden nur Autoren gemeint sein, die sich explizit auf das Bewusstsein beziehen, also vor allem Wittgenstein und seine Nachfolger. Ihr Ansatz ist antiphänomenologisch. Der direkte Bezug aufs Bewusstsein seit Descartes liefert keine klaren Ergebnisse. Blicken wir in uns hinein, so sieht jeder etwas Anderes oder gar nichts.

Von daher gibt es schon bei Wittgenstein die Idee, Bewusstseinserlebnisse von ihren Äusserungen her zu decodieren, d.h. von den Ausdrucksphänomenen der Mimik, Gestik und vor allem der Körperbewegungen her. Dabei wird vorausgesetzt, dass wir diese Phänomene adäquat in der natürlichen Sprache ausdrücken können.

In seinem berühmten „Privatsprachenargument“ versucht Wittgenstein zu zeigen, dass der privilegierte Zugang des Subjekts zu seinen eigenen Befindlichkeiten gar nicht ausgesprochen werden kann. Hatte ich gestern die Erlebnisqualität A und glaube heute, wieder dieselbe Qualität A gehabt zu haben, so benötige ich ein Identitätskriterium. Das aber gibt es nach Wittgenstein nur in einer öffentlich zugänglichen Sprache, die auf zeiträumliche Gegenstände referiert. Der private Zugang ist also eine Illusion.

Wittgensteins Anregungen wurden von Peter Strawson, vor allem aber von Ernst Tugendhat weiterentwickelt. Für Tugendhat bestehen Erlebnisqualitäten geradezu nur als sprachlich ausgedrückte intentionale Zustände. Der Unterschied zu Husserl ist also der, dass es nach Tugendhat keine apriorisch zu verstehende Intentionalität gibt, sondern nur eine sprachlich vermittelte im Sinn propositionaler Einstellungen: „Ich glaube, dass heute Mittwoch ist“, „Ich vermute, dass er mich hasst“ usw.

Da laut Voraussetzung alle Bewusstseinszustände sich äusserlich artikulieren, geht Tugendhat von einer, wie er es nennt, „veritativen Symmetrie“ bei „epistemischer Asymmetrie“ solcher Zustände aus. Darunter soll man verstehen, die sachliche Identität der aussen beobachteten Ausdruckshandlungen und der subjektiven Erfahrung. Das würde z.B. heissen, dass jemand, der sich in Schmerzen windet, substanziell keine anderen Erfahrungen macht als die, die wir von aussen beobachten können, also die Negation eines privilegierten Zugangs. Unter „epistemischer Asymmetrie“ will Tugendhat die Tatsache verstehen, dass wir zu unseren eigenen Befindlichkeiten einen direkteren Zugang haben als der äussere Beobachter. Nur eben beziehen sich beide auf dasselbe Faktum.

Diese Position wurde weiter ausgeführt in einem monumentalen Werk des Neurowissenschaftlers Maxwel Bennett und des Philosophen Peter Hacker. Sie machen eine Voraussetzung dieses Gedankengangs namhaft, die hier ganz entscheidend ist: Tugendhats „veritative Symmetrie“ ist nur glaubhaft, wenn es den vollständigen Ausdruck gibt. Drückt sich mein Schmerz in meinem Verhalten adäquat aus, dann nimmt der äusserliche Beobachter dasselbe wahr wie ich, der ich den Schmerz empfinde.

Aber was spricht denn dafür? Es gibt Schauspieler, die einen nicht empfundenen Schmerz so glaubhaft darstellen, dass wir nicht daran zweifeln und es gibt Stoiker oder Indianer, denen man in derselben Situation nichts anmerkt. Zudem weist die Erfahrung aller Menschen darauf hin, dass es eine Differenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung gibt. Darauf beruht der unaufhebbare Gegensatz zwischen der Perspektive der ersten und der dritten Person, also der Gegensatz zwischen Betroffenen- und Beobachterperspektive.

Auch das grundlegende Privatsprachenargument Wittgensteins wurde mit Gründen kritisiert: Es setzt voraus, dass für Innenzustände dieselben Identitätskriterien gelten wie für zeiträumlich Gegenstände oder Prozesse. Aber warum sollte das der Fall sein. Wenn es nicht der Fall ist, dann kann es sehr wohl eine Privatsprache geben, wenn man die Identitätskriterien entsprechend formuliert. Kritisiert wurde auch Tugendhats These, dass Bewusstseinszustände adäquat mit Hilfe von Propositionen ausgedrückt werden können. In diesem Fall könnte man nicht mehr sagen „Ich weiss, dass ich meine Frau liebe“, denn das Wissen könnte sich dann nur noch auf Sätze beziehen in der Art „Ich weiss, dass meine Frau schön/ reich/ attraktiv ist“. Aber wäre das noch dasselbe?

Das entscheidende Motiv für die sprachanalytische Rekonstruktion des Bewusstseins ist leicht nachzuvollziehen und auch durchaus legitim: Alle Versuche, das Bewusstsein in intentione recta zu fassen erzeugen ebenso viele verschiedenen Konzepte, die dann nicht mehr vergleichbar sind. Was hier problematisch ist, ist die Behauptung einer vollständigen „veritativen Symmetrie“. Sie hängt an der These vom „vollkommenen Ausdruck“ und man braucht ja nur die Künstler zu fragen, die eigentlichen Virtuosen des Ausdrucks. Sie alle nehmen eine Differenz zwischen dem Gewollten und dem Erreichten an.

4) Bewusstseinsphilosophie

Die Bewusstseinsphilosophie nimmt ihren Ausgang von Descartes und hat bis heute eine äusserst wechselvolle Geschichte. Viele zeitgenössischen Philosophen nehmen an, dass sie abgegolten sei und keine Rolle mehr spiele. Das ist aber so nicht rich­tig. Es ist wohl wahr, dass heute kaum jemand noch die Be­wusstseinsphilosophie von Fichte oder Hegel als solche akzep­tieren wird, aber dazu gibt es Alternativen.

Der Frankfurter Philosoph Wolfgang Cramer setzt zwar wie Desc­artes bei der Unhintergehbarkeit des ‚Cogito’ an, entwickelt dann aber eine Bewusstseinsphilosophie, die vom weiteren Vor­gehen des Descartes’ unabhängig ist. Er leitet nämlich seine Schlussfolgerungen nicht mit Hilfe weiterer Evidenzen rein de­duktiv ab, sondern er untersucht die Möglichkeitsbedingungen des Ichbewusstseins im Sinne Kants, versteht diese Bedingungen aber real, d.h. ontologisch.

Auf diese Weise entwickelt er eine apriorische Ontologie, ei­nen Gottesbeweis und eine an Kant angelehnte Ethik und er dehnt seine Ableitungen bis in die konkrekt-biolo­gi­sche Natur des Menschen aus. Das heisst, die Endlichkeit des Menschen wird ganz ernst genommen. Dies ist natürlich ein äusserst ehrgeiziges Unternehmen.

Es wurde weiterentwickelt von Dieter Henrich. Seine zahl­reichen Schriften sind kryptisch und mäandernd. Es scheint einfach, dass man beim Blick ins eigene Innere keine allge­meingültigen Resultate gewinnen kann, was nicht hindert, dass sich in diesen Schriften wichtige Einsichten verbergen. Zu recht berühmt wurde Henrichs Artikel über „Fichtes ursprüng­liche Einsicht“. Hier zeigt Henrich, dass die herkömmliche Art, Selbstbewusstsein als reflexiven Akt abzuleiten, falsch ist. Wir können das Selbstbewusstsein nicht so verstehen, dass ein nach aussen gerichtetes Bewusstsein sich auf sich selbst zurückbiegt und sich wie in einem Spiegel dann selbst erkennt. Selbst im Spiegelbild müssen wir schon eine präreflexive Er­fahrung voraussetzen, um zu erkennen, dass wir es selbst sind, der uns da anblickt. Aus diesem Grunde erkennen wir uns im Halbschlaf oft nicht im Spiegel. Man muss schon wissen, wer man ist, um sich als diesen zu erkennen. Diesen Gedanken über­nimmt Manfred Frank, der ihn aber metaphy­sisch tiefer hängt. Immerhin gibt es auch bei Henrich eine um­fassende, traditio­nelle Ontologie und so etwas wie einen Got­tesbeweis.

Frank besteht auf der Unhintergehbarkeit des ‚Cogito’, das im Sinne Fichtes als präreflexiv gedacht wird und er orchestriert diesen Gedanken mit Bezug auf neuere Sprachphilosophen, die ihn von ganz anderer Seite her wiedergewonnen haben. Er greift also auf Autoren wie Hektor-Nero Castañeda, Sidney Shoemaker oder Ro­de­rick Chisholm zurück. Diese Autoren haben ganz unab­hän­gig von der kontinentaleuropäischen Bewusstseinsphilosophie entdeckt, dass das Personalpronomen ‚ich’ schon rein grammati­kalisch eine ganz besondere Rolle spielt, die aus der er-Per­spek­tive gar nicht rekonstruiert werden kann. Das ist also ei­ne Widerlegung von Tugendhats „veritativer Symmetrie“, aber eben aufgrund linguistischer Analysen. Die Sprachphilosophie wird hier mit ihren eigenen Mitteln geschlagen.

Fazit

Die Überlegungen der verschiedenen Schulen addieren sich nicht zu einem eindeutigen Resultat. Sie bilden eher eine Collage mit deutlichen Brüchen, statt mit zufriedenstellenden Übergän­gen. Aber warum haben wir eigentlich etwas anderes erwartet, schwer zugänglich wie der Begriff des ‚Bewusstseins’ auch ist? Niemand verzichtet auf den Begriff der ‚Kausalität’, obwohl er mindestens so vielfältig ist und der Begriff des ‚Lebens’ wur­de noch von niemand eindeutig definiert, was uns nicht hin­dert, ihn zu gebrauchen.

Hans-Dieter Mutschler
Veröffentlicht im Juli 2016

Sie lesen lieber aus einem Buch? Sie finden diesen Artikel auch in unserem zweiten Buch zu dieser Webseite, "Die Vermessung der Welt und die Frage nach Gott" (Bonn 2018). 18 Beiträge von renommierten Autoren, darunter auch ein Nobelpreisträger, führen in den Dialog mit der Wissenschaft angesichts der Gottesfrage ein.

Bennett, Maxwell R./ Hacker, Peter M.S.: Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 2010

Cramer, Wolfgang: Grundlegung einer Theorie des Geistes, Frankfurt 1957

Cramer, Wolfgang: Die Gottesbeweise und ihre Kritik, Frankfurt 1967

Crick, Francis: Was die Seele wirklich ist. Die naturwissenschaftliche Erforschung des Bewusstseins, München 1994

Dennett, Daniel C.: Consciousness explained, New York 1993

Frank, Manfred: Die Unhintergehbarkeit von Individualität, Frankfurt 1986

Frank, Manfred: Ansichten der Subjektivität, Frankfurt 2012

Henrich, Dieter: Fichtes ursprüngliche Einsicht. In: Henrich, Dieter u.a. (Hg.): Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer, Frankfurt 1966, S.188-232

Henrich, Dieter: Bewusstes Leben. Untersuchungen zum Verhältnis von Subjektivität und Metaphysik, Stuttgart 1999

Henrich, Dieter: Denken und Selbstsein. Vorlesungen über Subjektivität, Frankfurt 2007

Koch, Christof: Bewusstsein, ein neurobiologisches Rätsel, München 2005

Merleau-Ponty, Maurice: Die Prosa der Welt, München 1984

Merleau-Ponty, Maurice: Sinn und Nicht-Sinn, Paderborn 2000

Merleau-Ponty, Maurice: Das Primat der Wahrnehmung, Frankfurt 4. Aufl. 2012

Metzinger, Thomas: Subjekt und Selbstmodell, Paderborn 1993

Metzinger, Thomas: Being no One, Cambridge Mass. 2003

Metzinger, Thomas: Der Ego Tunnel, Berlin 5. Aufl. 2009

Waldenfels, Bernhard: In den Netzen der Lebenswelt, Frankfurt 2005

Waldenfels, Bernhard: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden, Frankfurt 2006

Waldenfels, Bernhard: Sinne und Künste im Wechselspiel, Frankfurt 2010

Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, Frankfurt 2. Aufl. 1980 

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      Kommentare (4)

      • Gerhard Höberth
        Gerhard Höberth
        am 18.07.2016
        Sehr guter Artikel mit einem kurzen aber prägnanten Überblick. Allerdings wurde der Eigenschaftsdualismus von David Chalmers gar nicht erwähnt. Dabei finde ich den sehr wichtig in so einer Diskussion.
        Ich selbst habe dazu das Buch "Evolutionärer Idealismus - Gottes Schatten im Zentrum des Regenbogens" geschrieben.
      • Martin Weidner
        Martin Weidner
        am 19.07.2016
        @ Gerhard Höberth
        In der Tat: Für ein so großes Thema ein kurzer Artikel.
        Schön, dass Mutschler kein Konzept entfaltet, sondern nur ein Fragezeichen stehen lässt.
      • Jörg Lenau
        Jörg Lenau
        am 01.05.2019
        Das elementare Mißverhältnis gegenüber dem Bewußtsein basiert einerseits darauf, daß es nie in sich selbst ergründet wurde, worüber es nämlich einzig überhaupt erfahrbar ist und andererseits auf der Unkenntnis gegenüber der Funktionalität der Wahrnehmung. Darüber lösen sich die Rätsel auf, in der alle miteinander fest stecken. Das Bewußtsein kann man nicht 'den Augen ersichtlichlich' machen, da die Wahrnehmung darauf beruht, einzig Wirkungen wahrzunehmen und somit generell das Sein darüber einzig erfahrbar ist. Gemäß dem konnte man in der Wissenschaft auch nicht die raumerfüllende (materielle) Substanz ausfindig machen, wohingegen man in der Philosophie jedoch die elementare Infragestellung aufbrachte, ob die Kraft gegenüber dem Stoff eine Substanz sei oder das Bewegende. Ich habe in den letzten 30 Jahren die Erforschung des Bewußtseins im Selbst durchgeführt und beschäftige mich heute mit der Aufklärung. Mehr dazu auf meiner Internetseite: http://www.sya.de/
      • Holger
        Holger
        am 23.07.2023
        Vorab: Ich weiß nicht, was Bewusstsein konkret ist. Vielleicht handelt es sich um elektrische Impulse, die vom Herzen generiert werden und ins Gehirn transferiert?

        Was ist jedoch weiß, ist, dass es richtig krasse Theorien gibt. Da gibt es beispielsweise die Simulationshypothese gemäß Nick Bostrom: https://de.wikipedia.org/wiki/Simulationshypothese

        Sein oder Nichtsein? Ich denke, also bin ich? Es kann nicht sein, was nicht sein darf? Was ist mit Platons Höhlengleichnis gemeint? 1964 erschien der Roman Simulacron-3 von Daniel F. Galouye, dabei geht es um eine mittels KI generierte Welt. Dieser Roman wurde mehrfach verfilmt, beispielsweise mit dem Zweiteiler Welt am Draht aus dem Jahr 1973 -> https://mumu1.bplaced.net/welt-am-draht.html

        Fazit: Nichts ist unmöglich?

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