Die schwierige Beziehung von Ratio und Religio: Der Inquisitionsprozess gegen Galileo Galilei

Leitartikel von Pierre Leich

Das Bild des modernen Menschen vom Inquisitionsprozess der römischen Kurie gegen den italienischen Naturforscher Galileo Galilei ist schnell erzählt: Obwohl Galilei Beweise für die heliozentrische Lehre mit der Sonne in der Mitte und den sie umkreisenden Planeten vorbringen konnte, wurde er von einer bornierten Kirche wegen Copernicanismus angeklagt und verurteilt.

Selbst sonst vernünftige Menschen geraten bei dieser Legende ins irrationale Schwärmen, wenn es um die Heilige Jungfrau der Naturwissenschaften geht. Natürlich war Galilei einer der genialsten Naturwissenschaftler aller Zeiten. Er erkannte, dass das „Buch der Natur“ in mathematischer Sprache geschrieben ist, er führte das Experiment als Prüfstein für die Theorie ein und wir verdanken ihm das erste Naturgesetz moderner Form: das Fallgesetz. Doch wie steht es um Recht und Unrecht im Inquisitionsprozess von 1633?
Zunächst ist zuzugeben, dass die säkulare Demokratie zur legitimen Grundlage unserer Gesellschaftsordnung geworden ist und wohl niemand das Rad zurückdrehen will. Keiner religiösen Einrichtung würde man ein juristisches Urteil über eine wissenschaftliche Frage zugestehen. Gleichwohl ist damit nicht entschieden, ob wir den Galilei-Prozess als Beleg für die Unvereinbarkeit von naturwissenschaftlicher Erkenntnis und göttlicher Offenbarung betrachten dürfen.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist Dreh- und Angelpunkt, ob Galilei tatsächlich Beweise für seine Behauptung hatte. Es darf dabei nicht interessieren, ob sich der Heliozentrismus irgendwann als richtig herausgestellt hat. Dies ist eben der große Vorzug naturwissenschaftlicher Aussagen, dass die Gründe für die Legitimität immer gleich mit der Behauptung verfügbar sein müssen.

 

Ein Blick in die Geschichte

Zunächst fällt auf, dass bis 1600 keine nennenswerten Konflikte zwischen Kirche und Wissenschaft bestanden. Die seit der Antike bekannte Kugelgestalt der Erde war so unumstritten, dass in der Karolingerzeit der Reichsapfel zum Herrschaftszeichen auch der christlichen Könige und Kaiser wurde. Kosmologische Modelle waren für die Kirche jedoch nur im Rahmen der christlichen Schöpfungsvorstellung von Interesse, Weltkarten gaben neben der nur grob bekannten Geografie insbesondere eine Heilsmythologie wieder.
Für Wissenschaft interessierte sich die Kirche nur sporadisch: etwa, als das Weltmodell des Copernicus einen besseren Wert der Jahreslänge versprach. Das Interesse kam aus Not, denn die Ungenauigkeit im Julianischen Kalender hatte über die Jahrhunderte die Berechnung des Osterdatums – „Computus“ genannt – erschwert. Copernicus wurde daher bereits 1514 zum Laterankonzil für die Kalenderreform eingeladen und Papst Clemens VII. bezeugte später seinen Beifall. 1536 beauftragte der Papst den Kardinal und Erzbischof von Capua, Copernicus um eine Abschrift seines angekündigten Werkes zu bitten, das als Von den Umdrehungen der himmlischen Kreise Papst Paul III. gewidmet werden durfte. Der Bischof von Ermland setzte 1581 „dem hervorragenden Astronomen und Erneuerer der astronomischen Wissenschaft“ – so die Grabinschrift – ein Denkmal aus Marmor und bei der Kalenderreform unter Papst Gregor XIII. wird schließlich dessen Wert des tropischen Jahrs zugrunde gelegt.
Diese Offenheit darf nicht als Zustimmung zum heliozentrischen Weltbild missverstanden werden, aber diese Frage wurde als eine rein astronomische, nicht als eine theologische betrachtet, und das System des Copernicus fand unbefangene Aufnahme. Wie konnte es angesichts dieses entspannten Klimas zur Eskalation kommen?


Das Teleskop wird erfunden

Nachdem das Werk des Copernicus ein halbes Jahrhundert unbehelligt blieb, waren es die Person Galileo Galileis und das Teleskops, die die Wende brachten.
Nachdem Copernicus zeigen konnte, dass vom mathematischen Standpunkt aus ein heliozentrischen Weltsystem durchaus möglich ist, brachte die Erfindung des Fernrohrs in Holland neue Argumente für die Copernicaner: Zeigten nicht die Berge und Täler auf dem Mond, wie ähnlich dieser der Erde ist, und im Umkehrschluss, dass die Erde wie ein Himmelskörper ist? Die Sonnenflecken widersprachen der Vorstellung einer unveränderlichen Kristallkugel. Die Jupitermonde ließen keinen Zweifel, dass es Gestirnsbewegungen gibt, die zunächst um einen anderen Körper als die Erde erfolgen, und schließlich bewiesen die Venusphasen, dass sich dieser Himmelskörper wie auch Merkur um die Sonne drehte.
Galilei veröffentliche seine Beobachtungen bereits 1610 im Sidereus Nuncius (Sternenbotschaft) und erregte großes Aufsehen und Bewunderung. Die Astronomen der Jesuiten bestätigten und präzisieren bald seine Beobachtungen. In der Interpretation war man sich allerdings weniger einig mit Galilei. Zwar ließen sich mit dem Heliozentrismus viele Bewegungsphänomene stimmiger darstellen, doch auf der anderen Seite blieben auch viele offene Probleme: Wenn sich nun die Erde bewegt, warum werden die Wolken nicht weggeblasen? Warum bleiben fallende Gegenstände nicht hinter der Erddrehung zurück? Und warum zerreißt die Erde bei einer täglichen Rotation nicht? Diese Einwände entstammen durchaus nicht einer bornierten Verweigerung, als vielmehr dem gesunden Menschenverstand, der von einer Erdbewegung nichts merkt. Hier wäre eine neue Physik erforderlich, wie sie von Isaac Newton 1687 vorgelegt wurde.
Es gab es auch einen astronomischen Einwand: Wenn sich die Erde im Lauf eines Jahres um die Sonne dreht, müssten nahe Fixsterne im halbjährlichen Abstand unter einem verschiedenen Beobachtungswinkel gesehen werden. Diese so genannte Fixsternparallaxe war aber bis 1838 nicht messbar und ihr Fehlen sprach eher gegen Copernicus.


Die Konfrontation

Die kirchlichen Behörden sahen sich daher im Recht, das heliozentrische Weltmodell als Hypothese zu betrachten und forderten dies auch von den Naturforschern.
In dieser Situation wagte sich Galilei weit in theologisches Terrain vor. Inzwischen wurden nämlich von verschiedenen Seiten zunehmend Passagen aus der Bibel zitiert, die eine geozentrische Weltsicht vorauszusetzen scheinen. Dabei standen sich die Konfessionen in Nichts nach. Nicht nur Luther führt in seinen Tischreden mit Josua X,10,12 eine prominente Stelle an: „Josua befahl der Sonne, still zu stehen.“
In Form eines Sendschreibens an die toskanische Großherzogin-Witwe Christine von Lothringen startete Galilei einen Gegenangriff und forderte für die Beziehung von Theologie und Naturwissenschaften wechselseitige Unabhängigkeit. Die Theologen warnte er, sich voreilig festzulegen und kehrt die Beweislast um: „Sehet vorerst zu, die Beweisgründe des Copernicus und seiner Anhänger zu widerlegen und überlasst die Sorge, sie als ketzerisch oder irrig zu verdammen, denjenigen, welchen dies zukommt.“
Eine Denunziation war Anlass für die Prüfung seiner Schrift über Sonnenflecken. Es kam zu einem Gutachten, einer Ermahnung und letztlich dem Dekret der Indexkongregation vom 5. März 1616, nach dem das Werk des Copernicus zu „suspendieren“ sei, bis es verbessert werde. Verdammt wurden diejenigen Bücher, die es sich zur Aufgabe machten, die Wahrheit der heliozentrischen Lehre und ihre Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift zu erweisen. Copernicus wurde also genau genommen nicht verboten, sondern „ausgesetzt“.
In der katholischen Kirche hatten sich offenbar die Kräfte durchgesetzt, welche die Frage nicht zum Glaubensinhalt machen wollten. Im Gegensatz zum Gutachten wird nicht mehr von „Häresie“ gesprochen und die Lehre von der Bewegung der Erde wird nicht für „irrig im Glauben“ gehalten, sondern nur noch als „schriftwidrig“ bezeichnet. Galilei wird auf Befehl des Papstes schon am 26. Februar 1616 von einem der höchsten Kirchenvertreter, Kardinal Roberto Bellarmin, mit dem Inhalt des Dekrets persönlich bekannt gemacht. Dieser Bellarmin hatte ein Jahr zuvor geäußert, das Copernicanische System sei als Arbeitshypothese dem ptolemäischen System möglicherweise überlegen – nur könne seine Bezeichnung als erwiesene Tatsache nicht toleriert werden.
Der Streitpunkt im späteren Prozess wird sein, ob ihm von Bellarmin verboten wurde, die Copernicanische Lehre zu behaupten oder ob ihm nur das Dekret mitgeteilt wurde. Da sich die Dokumente widersprechen, konnte dieser Punkt bereits damals nicht wirklich geklärt werden.


Galilei wittert Morgenluft

Als Kardinal Maffeo Barberini 1623, zum Papst gewählt wurde, sah Galilei die Chance, sein aufgeschobenes Buch über die Weltsysteme herauszubringen. Schon als Kardinal hatte Barberini Galilei wärmstes Wohlwollen, ja sogar ehrliche Bewunderung entgegengebracht. Als Papst Urban VIII. überschüttete er ihn mit Gunstbezeugungen.
Nachdem der Papst Galilei bei einer Audienz erneut versicherte, es bestehe kein Einwand gegen eine Diskussion der Vorzüge des Copernicanischen Systems, vorausgesetzt, dass es als Hypothese gewertet werde, verschaffte sich Galilei auf nicht ganz korrekte Weise die Druckerlaubnis für den Dialogo i due Massimi Sistemi del Mondo, Tolemaico, e Copernicano, der 1632 erschien. In diesem brillant geschrieben Gespräch zwischen drei Gelehrten lässt Galilei keinen Zweifel, dass er die Bewegung der Erde um die Sonne für wahr hält, und stellt klar, dass nur „stumpfsinnige Mondkälber“ daran zweifeln könnten. Für seine Gegner hat er nur Hohn und Spott übrig. So gibt er Simplicio, den Vertreter der aristotelisch-ptolemäischen Lehre, süffisant der Lächerlichkeit Preis. Dass er am Ende dem Esel Simplicio das Lieblingsargument von Papst Urban in den Mund legt und ergänzt, es käme von einer „überaus erhabenen und gelehrten Persönlichkeit, vor der man verstummen müsse“, war taktisch sicherlich keine Glanzleistung.
Was dann geschah ist bekannt: Verkaufsverbot, Vorbereitungskommission, Denkschrift, Vorladung, Verhör und Urteil.


Das Urteil wird gesprochen

Am 22. Juni 1633 unterzeichneten sieben von zehn Kardinälen das Urteil. In der Urteilsformel machte sich Galilei der Ketzerei zwar nur „schwer verdächtig“, er „verbrannte“ sich aber durchaus die Finger: Damit sein „schwerer und verderblicher Irrtum und Ungehorsam nicht ganz ungestraft bleibe“, wird Galilei zu förmlichem Kerker verurteilt und muss demütig die Abschwörungsformel leisten. Die Gefängnisstrafe wandelte der Papst am Tag darauf in Hausarrest um.
Dass Galilei das Urteil mit dem Satz: „Und sie bewegt sich doch“ quittiert haben soll, gehört ebenso zur Galilei-Legende wie die Fallversuche vom Schiefen Turm von Pisa, die schon mangels geeigneter Uhren im Reich der Fantasie anzusiedeln sind. Er selbst hat beides niemals behauptet.
Der Aufbau des Prozesses lässt erkennen, dass Galilei nicht der Häresie schuldig gesprochen werden sollte. Vielmehr warf man ihm einen Verstoß gegen den mündlich erteilten Befehl Kardinal Bellarmins vor. Dass er die Copernicanische Lehre verbreitet hatte, war lediglich ein Irrtum. Der Vatikan wollte Galilei maßregeln, ohne sich in der Sache festzulegen. Die Frage des Weltsystems war nie Gegenstand des katholischen Glaubens. Dekret wie Urteil ergingen nur von einer kurialen Behörde und die Lehre der doppelten Erdbewegung wurde weder durch ein ökumenisches Konzil noch durch den Papst, ex cathedra sprechend, verdammt.
Das für Galilei letztlich glimpfliche Urteil hatte dennoch weitreichende Folgen. Schon 1619 beklagte Johannes Kepler, dass „es durch die Schroffheit einiger Leute, die Fragen der Sternkunde an unrechter Stelle und in unpassender Weise behandeln, dahin gekommen ist, dass das Lesen des Buches des Copernicus, das fast 80 Jahre lang ganz unbehelligt blieb, schließlich untersagt wurde, bis das Werk verbessert sei“.
Durch das in ganz Europa verbreitete Urteil hatte sich die Kirche jedoch in eine Position manövriert, in der ohne Gesichtsverlust kein Rückzug blieb.
Die Etablierung der neuzeitlichen Naturwissenschaft war auf der Grundlage des Fallgesetzes von Galilei und der Planetengesetze von Kepler nicht mehr aufzuhalten. Obwohl mit Newtons Gravitationstheorie kein anderes Zentrum als das gemeinsame Gravitationszentrum aller Körper des Sonnensystems in Frage kommt, wurden die Beweise für den Heliozentrismus erst im 18. Jahrhundert gefunden. In dieser Zeit legte die Kirche auch durch eine unvorteilhafte Mischung von ungeschickten Korrekturen und uneinsichtiger Borniertheit die Grundlage für spätere Angriffe der Aufklärung.
So beschloss die Indexkongregation erst 1757, das Dekret von 1616 aufzuheben und erlaubte damit die Bezeichnung des Heliozentrismus als Tatsache. Für das Zeitalter der Aufklärung war es ein leichtes Spiel, Religion und Wissenschaft gegeneinander auszuspielen und Galileis Namen im Kampf der Wissenschaft und Vernunft gegen Glauben und Kirche zu glorifizieren.
Bis Galileis Dialogo vom Index Librorum Prohibitorum gestrichen wurde, dauerte es bis zum Jahr 1835. Die Galilei-Akten wurden 1880 unter Leo XIII. geöffnet, doch entstanden zunächst nur tendenziöse Publikationen. Immerhin anerkannte dieser Papst Galileis Argumente über die Beziehung von Wissenschaft und Offenbarung der Bibel, doch ein bleibender Schaden im Verhältnis von Ratio und Religio war längst entstanden.


Überraschendes Resümee

Bei unaufgeregter Betrachtung drängt sich die Einsicht auf, dass die römische Kurie mit ihrer Einordnung des Heliozentrismus als Hypothese richtig lag, weil Galilei keine wissenschaftlichen Beweise vorlegen konnte.
Neben diese zweifellos unpopuläre Richtigstellung tritt auf der anderen Seite die Einsicht, dass Galilei schon kurz nach 1600 eine Haltung vertrat, zu der sich die Kirche erst im 19. Jahrhundert durchrang. Die Rede ist von seiner Auffassung, dass die Heiligen Schriften nicht den Anspruch naturwissenschaftlicher Aussagen erheben und bei scheinbaren Widersprüchen einer metaphorischen Deutung bedürfen. Galilei mit der besseren Interpretation der Bibel und die Kirche als besserer Hüter wissenschaftlicher Wahrheit – ein kurioses Ergebnis!
Dabei waren die Vorhaltungen der Aufklärung durchaus nachvollziehbar. Mit der neuzeitlichen Naturwissenschaft war der Kirche eine ernste Konkurrenz in der Deutungshoheit über die Welt erwachsen. Konnte Erkenntnis zuvor nur direkt von Gott stammen oder über die Autoritäten der Kirche vermittelt werden, so war es fortan dem forschenden Geist möglich, autonom Einsichten über die Welt zu gewinnen. So richtig diese Anschauung sein mag, für den historischen Galilei-Prozess war sie unmaßgeblich und wir müssen uns klar machen, dass das landläufige Galilei-Bild Ergebnis der Wissenschaftspropaganda des 18. Jahrhundert ist.

Pierre Leich

Veröffentlicht im November 2010

 

 

Pierre Leich studierte 1981-1989 Philosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg mit den Schwerpunkten Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte. Er war zehn Jahre Vorsitzender der Kunstmesse ART Nürnberg, gab sechs Jahre eine kleine Kunstzeitschrift heraus, war viele Jahre verantwortlich für den Kunstpreis Ökologie von AEG Hausgeräte und das Erlanger Stadtjubiläum sowie vier Jahre Geschäftsführer der Theatersport WM im Kunst- und Kulturprogramm zur FIFA WM 2006™. Seit 2003 ist er Projektleiter der Langen Nacht der Wissenschaften in Nürnberg/Fürth/Erlangen und für den Wissenschaftstag der Metropolregion Nürnberg tätig. Im „Internationalen Jahr der Astronomie 2009“ leitete er die Geschäftsstelle in der Europäischen Metropolregion Nürnberg. Ehrenamtlich ist Leich zweiter Vorsitzender des Cauchy-Forums-Nürnberg, Geschäftsführer des Leibniz-Forums Altdorf-Nürnberg und Kurator der Nürnberger Astronomischen Gesellschaft. Seit 1995 hält er Vorträge, konzipiert Tagungen oder Reihen und publiziert gelegentlich zu astronomischen und wissenschaftsgeschichtlichen Themen. Projektvita:www.pl-visit.net/pl.

Sie lesen lieber aus einem Buch? Sie finden diesen Artikel auch in unserem Buch zu dieser Webseite, "Wissenschaft und die Frage nach Gott" (Bonn 3. Aufl. 2018). 18 Beiträge von renommierten Autorinnen und Autoren, darunter die Erzbischöfin von Schweden, führen in den Dialog mit der Wissenschaft angesichts der Gottesfrage ein.

Die ausführlichere Variante des Artikels im Skeptiker 3/2009

William R. Shea / Mariano Artigas, Galileo Galilei. Aufstieg und Fall eines Genies, Darmstadt 2006

    Bildnachweis
    Vorspann: Portrait Galileo Galileis, 15.2.1564, Pisa bis 8.1.1642, bei Florenz, aus: Galileo Galilei, Istoria e dimostrazioni intorno alle macchie solari e loro accidenti ...; Staats- und Stadtbibliothek Augsburg
    "Ein Blick in die Geschichte": Kosmologie aus der Schedel’schen Weltchronik: Hartmann Schedel, Nürnberger Chronik, Nürnberg 1493, fol. 5v, Wikimedia Commons
    "Das Teleskop wird erfunden": Mit dem Fernrohr erkennt Galilei die Venusphasen, aus: Galileo Galilei, Il saggiatore, Rom 1623; Istituto e Museo di Storia della Scienza, Firenze
    "Die Konfrontation": Beim Abwägen der Weltsysteme erscheint den Zeitgenossen das Copernicanische Modell als zu leicht; aus: Giovanni Battista Riccioli, Almagestum novum, Bologna 1651; Staats- und Stadtbibliothek Augsburg
    "Galilei wittert Morgenluft": Das heliozentrische Weltmodell; aus: Galileo Galilei, Dialogo sopra i due massimi sistemi del mondo, Tolemaico e Copernicano, Firenze 1632; Staats- und Stadtbibliothek Augsburg
    "Das Urteil wird gesprochen": Galileo_facing_the_Roman_Inquisition_Banti.jpg, Sein Prozess hat Galilei zum Mythos gemacht, Gemälde von Cristiano Banti, Wikimedia Commons
    "Überraschendes Resümee" Galilei-Dialogo_06-16_frontespizio.jpg, Mit seinen Schriften bereitete Galilei die neuzeitliche Naturwissenschaft vor; im Bild das Frontispiz seines Dialog über die zwei hauptsächlichsten Weltsysteme

    Zum Galilei-Artikel von Pierre Leich: Auf der Suche nach der Wahrheit?

    Sucht die Wissenschaft herauszufinden, wie die Welt wirklich beschaffen ist oder will sie nur Hypothesen aufstellen?

    In seinem Leitartikel zu Galilei hält Pierre Leich fest, dass die römische Kurie mit ihrer Einordnung des Heliozentrismus als Hypothese richtig lag, weil Galilei keine wissenschaftlichen Beweise vorlegen konnte. Bereits Kopernikus' System wurde in dem Vorwort Osianders zu dem revolutionären Werk als bloße Denkhypothese klassifiziert. Das wirft die Frage nach der richtigen Wissenschaftstheorie auf. Beschränkt sich die Wissenschaft auf das Aufstellen und Überprüfen von Hypothesen und war Galilei vermessen, zu behaupten, wie die Welt wirklich beschaffen ist? Oder macht - wie wissenschaftliche Realisten meinen - gerade der Fall Galilei deutlich, dass Wissenschaft mehr will als Phänomene zu erklären: nämlich die Welt verstehen, wie sie wirklich ist? Ich freue mich über Ihre Kommentare zu diesem oder einem anderen Thema des Leitartikels.

    Kommentare (6)

    • Andreas Beyer
      Andreas Beyer
      am 16.09.2010
      Zu dem wirklich hervorragenden Artikel möchte ich nur eine Anmerkung machen: „Bei unaufgeregter Betrachtung drängt sich die Einsicht auf, dass die römische Kurie mit ihrer Einordnung des Heliozentrismus als Hypothese richtig lag, weil Galilei keine wissenschaftlichen Beweise vorlegen konnte.“ – das kann man keinesfalls so stehen lassen, hier liegt ein grundlegender, wissenschaftstheoretischer Irrtum zugrunde: „Beweise“ gibt es in den empirischen Wissenschaften nicht, es gibt ausschließlich Fakten i.S.v. Befunden, Evidenzen, Beobachtungen. Keine empirische Theorie ist jemals „bewiesen“. Vor diesem Hintergrund muss die Bewertung anders lauten: Galileo hatte tatsächlich schlagkräftige Belege für den Heliozentrismus vorgelegt, was nichts daran ändert, dass die letzten offenen Fragen erst Jahrhunderte später beantwortet werden konnten.
    • Pierre Leich
      Pierre Leich
      am 20.09.2010
      Kommentar zum Beitrag von Andreas Beyer:
      Dass vom formalen Standpunkt gesehen Naturgesetze logische Allsätze über einen unendlichen Gegenstandbereich und insoweit nicht beweisbar sind, ist sicherlich ein richtiger Hinweis. Der Punkt ist hier aber, dass die „schlagkräftigen Belege für den Heliozentrismus“, die Herr Beyer anführt, allesamt auch als Beweise für das letztlich geozentrische Weltsystem von Tycho Brahe herhalten können und von Zeitgenossen auch als solche benannt wurden. Damit kann keine dieser beiden damals rivalisierenden Theorien für sich einen Vorzug geltend machen und muss zunächst wissenschaftstheoretisch als Hypothese gewertet werden bis Befunde identifiziert werden, die nur noch mit einer der beiden Weltsysteme verträglich ist. Dies gelang Galilei aber noch nicht.
    • Hermann Aichele
      Hermann Aichele
      am 10.10.2010
      Inhaltlich nur zu Galilei - OK, Ähnliches hatte ich mal bei C.F.v.Weizsäcker gelesen -, wohl in "Tragweite der Wissenschaft". Immer wieder interessant, dass von Seiten der Kreise, die Naturwissenschaft weltanschaulich vereinnahmen wollen, an entsprechenden gegenläufigen Legenden gebastelt wird. Und die haben öfters einen ziemlich langen Bestand. Solche Legenden entsprechend aufzudecken, dazu würde mich noch manches interessieren.
      Allerdings erinnerte mich (wenn Sie Vergleiche nicht mit Gleichsetzungen gleichsetzen!) manche Äußerung über die Winkelzüge der Kurie an diffizile Kreml-Astrologie: Hinter das Machtpoker hinter jenen Mauern des Vatikans zu schauen - das erfordert einiges. Schon verständlich, dass das nach außen nicht gut vermittelbar ist.

      Was ich auch mal las - in einer waldensischen Veröffentlichung: Solche Verurteilungen waren damals wohl nur in Italien zu erwarten. Es war nicht die (katholische) Kirche, sondern die katholische Kirche unter spezifisch italienischen Verhältnissen. Man schottete Italien ab gegen die dem sonstigen Europa unterstellte - durch den Protestantismus eingebrockte - Freigeisterei.
      Und ein ganz praktischer Grund - auch mal irgendwo gehört oder gelesen: Für die Seefahrer hat es sich anscheinend nicht gelohnt, die Berechnung der Sternpositionen entsprechend dem heliozentrischen Weltbild umzuschreiben. Die Tabellen waren wohl mühsam genug erarbeitet; und die ohne Computer umrechnen - wozu auch?
      Ich hätte als Theologe (evang), heftig Interesse, dass auch dieses Diskussionsforum in Gang kommt. Aber ein paar Anmerkungen versuche ich - über eine Ihrer Mailadressen.
    • Hermann Aichele
      Hermann Aichele
      am 10.10.2010
      Noch ein Nachtrag. Heute fand ich in der Frankfurter Rundschau-Online
      (http://www.fr-online.de/kultur/du-wirst-in-der-hoelle-brennen--leser-/-/1472786/4726104/-/index.html) Folgendes zu Galilei.
      “Zunächst wurde ja nicht Galilei verurteilt, sondern Paolo Antonio Foscarini. Der war Theologe. Er zog aus dem heliozentrischen Weltbild Galileis seine theologischen Schlüsse: Wenn schon die Kosmologie der Bibel nicht stimmt, dann könnte es auch an anderen Stellen Fehler geben.
      An der Irrtumslosigkeit der Bibel musste festgehalten werden. Wenn ein Astronom dagegen sagte: Die Erde steht im Zentrum, aber meine Berechnungen werden erheblich erleichtert, wenn ich die Sonne in die Mitte rücke – dann passierte ihm nichts. Das war die Brücke, die Kardinal Robert Bellarmin für Galileo gebaut hatte. Solange es sich um Hypothesen handelte, wurden keine Alternativen zum biblischen Weltbild in die Debatte geworfen.“

      Hier hat „Hypothese“ einen etwas anderen Klang als bei Ihnen. Ich verstehe ihn so wie im allgemeinen Sprachgebrauch das Wort „Theorie“: Nicht „fundierte Erklärung“ sondern: Ja, auch denkbar, aber „nur theoretisch“.
      In diesem Artikel kommt auch heraus, dass die römische Kirchenleitung eigentlich nicht gegen *die* Wissenschaft kämpfen wollte, sondern – auch aus Angst vor dem Protestantismus – gegen jeden Riss, der ihr geschlossenes Weltbild als nicht wasserdicht erwies.
      Möglicherweise waren die auch noch so stolz auf die Kalenderreform 1583, die ja wirklich eine wissenschaftliche Glanzleistung war. Dadurch stimmte der Jahresablauf wieder. Und jetzt wollten da ein paar Newcomer den Sternenhimmel auf neue Art berechnen – könnte das die für die Bestimmung des Kalenders angewandten Berechnungen wieder durcheinander wirbeln…?
    • Pierre Leich
      Pierre Leich
      am 02.11.2010
      Kommentar zum Beitrag von Hermann Aichele

      Das FR-Interview mit Hubert Wolf liegt völlig richtig: Im Dekret vom 5. März 1616 wurde Galilei nicht einmal genannt. Das Werk des Copernicus wurde zwar suspendiert, bis es verbessert würde, die Zielrichtung wandte sich aber gegen das Buch des Karmeliterpaters Paulus Antonius Foscarini, das ganz verboten und verdammt wurde.

      Der Punkt war wohl, dass Foscarini behauptete, die Lehre der Beweglichkeit der Erde wäre in Übereinstimmung mit der Wahrheit und widerspreche nicht der heiligen Schrift. Dies impliziert eine (Selbst)Auslegung der Bibel und genau dieses Interpretationsmonopol hatte die katholische Kirche für sich reserviert. Der Konflikt rührt ursächlich also nicht daher, dass der Heliozentrismus der christlichen Theologie widersprechen würde (inwiefern auch?), sondern dass sich nicht Befugte an eine Auslegung der heiligen Schriften machen und damit in den theologischen Herrschaftsbereich eindrangen.

      An dieser Stelle liegt auch die Bedeutung der Auseinandersetzung mit Lutheranern und Calvinisten und mit Kardinal Borgia gab es schließlich auch eine innervatikanische Opposition. Allen galt es zu demonstrieren, wer der beste Hüter des rechten Glaubens ist.

      Im Zusammenhang der Bewertung von Foscarinis 33-seitiger Schrift entstand auch die Erklärung von Kardinal Bellarmin vom 12. April 1615, die man als offizielle Stellungnahme des Vatikans werten kann und die auch Galilei namentlich erwähnt. Der sachliche Kern lautet: „Gäbe es wahre Beweise dafür, dass die Sonne im Mittelpunkt und die Erde im dritten Himmel steht und dass die Erde um die Sonne und nicht die Sonne um die Erde kreist, dann müsste man sich mit viel Bedachtsamkeit um die Auslegung der Schriftstellen kümmern, die dem zu widersprechen scheinen und es wäre dann besser zu sagen, dass wir das Bewiesene nicht verstehen, als zu sagen, es sei falsch. Aber ich glaube nicht an einen solchen Beweis, bevor man ihn mir gezeigt hat.“ Bis zum Vorliegen eines Beweises bestand der Vatikan folglich auf der hypothetischen Darstellung des Heliozentrismus.

      Man kann aus moderner Sicht vielleicht einwenden, dass dieses Thema die Kirche nichts anzugehen habe, aber man kommt schwerlich umhin, die Bewertung selbst als wissenschaftlich vernünftig zu bezeichnen.

      Kurz noch zur Navigation:
      Man muss sich klar machen, dass der Copernicanische wie auch der Galileische Heliozentrismus noch im Rahmen des astronomischen Forschungsprogramms der Antike standen (und in vielerlei Hinsicht auch in Übereinstimmung mit der Aristotelischen Naturphilosophie war). Das heiß es gab zwei Grundsätze stets zu wahren: die Kreisförmigkeit und die Gleichförmigkeit. Wo es klemmte, wurden Exzenter, Epizykel und Ausgleichspunkt eingeführt. Bevor Kepler mit diesen Grundsätzen brach, waren heliozentrische Tafeln mal besser, mal schlechter und es gab für Seefahrer keinen Grund die Prutenischen Tafeln von Erasmus Reinhold zu bevorzugen.
      Bei der Gregorianischen Kalenderreform wurde 1582 allerdings der Wert für das tropische Jahr Copernicus entnommen. Dies bedeutet natürlich keine kirchliche Zustimmung zu seinem Weltbild, belegt aber das unverkrampfte Verhältnis bis zu Galileis Auftreten.
    • Martin Wohlleber
      Martin Wohlleber
      am 17.01.2022
      Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb die Position der Nirche im Prozess gegen Galilei immer wieder als "biblisches Weltbild" bezeichnet wird. Es geht um die Aueinandersetzung zwischen zwei wissenschaftlichen Weltbildern. Das geozentrische Weltbild stammte von Ptolämäus von Alexandrien, der nun ganz gewiss kein Christ war und in den biblischen Schriften kommt ein geozentrisches Weltbild nicht vor. Im alten Testament ist überwiegend das sog. altorientalische Weltbild zu finden. Dieses wurde dort aber ich gelehrt, sondern verwendet und wissenschaftliche Forschung hatte sich davon schon lange verabschiedet und mit ihr die katholische Kirche, für die das auch insofern vollkommen unproblematisch ist, da die Frage nach der Kosmologie eben KEIN Glaubensinhalt war (und ist). Der Glaube ist und war eben nie eine vorwissenschaftliche Welterklärung.

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