Warum verurteilte die Katholische Kirche Giordano Bruno wirklich?

Leitartikel von Alberto A. Martinez

Als akademische Disziplin ermöglicht die Wissenschaftsgeschichte gewisse Einsichten, die nicht nur für die Geschichte von Bedeutung sind, sondern auch für Diskussionen über das Verhältnis von Wissenschaft und Religion. Eine dieser Behauptungen war die eindeutige, Jahrzehnte alte Überzeugung, dass die Katholische Kirche Giordano Bruno nicht wegen astronomischer Ansichten, sondern wegen religiöser Ketzereien verurteilt hatte. Er wurde im Februar 1600 in Rom bei lebendigem Leibe als Ketzer verbrannt. Als jemand, der Mythen in der Wissenschaftsgeschichte aufdeckt, hatte auch ich gelernt, dass Bruno nicht wegen seiner Ansichten über die Erde oder das Universum sterben musste. Meine Eindrücke begannen sich jedoch zu wandeln, als ich längere Zeit mit der Analyse von Primärquellen in lateinischer und italienischer Sprache verbrachte.    

Betrachten wir aber zuerst den akademischen Konsens. In 1908 schrieb The Catholic Encyclopedia, dass “Bruno nicht wegen seiner Verteidigung des Kopernikanischen Systems der Astronomie, auch nicht wegen seiner Doktrin der Pluralität bewohnter Welten verurteilt wurde, sondern für seine theologischen Irrtümer…“ (Herbermann 1908, 17) Ähnlich schrieb der Historiker Frances Yates 1964: “Die Legende, Bruno sei verfolgt worden, weil er ein philosophischer Denker gewesen war und dass er für seine verwegenen Ansichten über zahllose Welten oder die Bewegung der Erde verbrannt worden sei, ist nicht mehr haltbar.“ (Yates 1964, 355) Yates war sehr einflussreich und brachte viele Historiker dazu, Bruno als Hermetiker darzustellen, der sich auf esoterische Ansichten und auf Magie konzentrierte. Auf ähnliche Weise näherten sich die Astronomiehistoriker Steven J. Dick und Michael J. Crowe in den 1980er Jahren der Frage, ob Bruno für seine Ansichten, dass die Planeten und Sternensysteme entfernte Welten seien, und auch sie taten dies als Mythos ab. (Dick 1982, 10; Crowe 1986, 8) Ich kann viele weitere Beispiele nennen, beschränke mich aber auf ein letztes. Der Historiker Leen Spruit ist einer der größten Experten zu Bruno, und 2002 stellte er fest, dass die Anklage zahlreicher Welten “zu vage sei, um formell als ketzerisch definiert werden zu können“ (Spruit 2002, 225), also wurde sie stattdessen vermutlich als lediglich „irreführend“, „skandalös“ oder „verletzend“ etc. bezeichnet.

Kurz gesagt herrschte Übereinstimmung darüber, dass Bruno nicht für seine kosmologischen Ansichten verurteilt worden ist. Es gab allerdings keine Übereinstimmung über den wirklichen Grund der Verurteilung. TheCatholic Encyclopedia beispielsweise hielt fest, dass Bruno für Ansichten verurteilt worden sei wie derjenigen, “dass Christus kein Gott sei, sondern lediglich ein ungewöhnlich begabter Zauberer, dass der Heilige Geist die Seele der Welt sei, dass der Teufel errettet werden wird etc.” Professor Yates befand, dass Bruno verurteilt worden sei, weil die Römische Inquisition ihn als Hermetiker und Zauberer ansah. Erst vor Kurzem allerdings hat Professor Maurice Finocchiaro zu Recht argumentiert, dass das Problem bei Yates’ These sei, dass „es wenig Hinweise auf Hermetik und Magie in den Gerichtsprotokollen gebe.“ (Finocchiaro 2002, 78)

Fehlende Dokumente?

Wir hören manchmal, dass die Dokumente von Brunos Gerichtsverhandlung unglücklicherweise verlorengegangen seien, so dass wir schlicht nicht wissen können, was wirklich passiert sei. Dieser Eindruck hat einen wahren Kern: Während der Napoleonischen Besatzung Roms wurden viele Dokumente der Inquisition weggebracht und nach Frankreich abtransportiert; auf dem Weg dorthin sind viele Dokumente verloren gegangen, darunter die Unterlagen der Verhandlung gegen Bruno.

Es existieren aber immer noch sehr viele Dokumente, die sich auf Brunos Verhandlung beziehen und nach und nach entdeckt wurden. Wir besitzen die beinahe vollständigen Abschriften der ersten Verhandlungen in Venedig, aus dem Jahr 1592. Darüberhinaus besitzen wir das weitaus wichtigste und aufschlussreichste Dokument, 1940 entdeckt, das sogenannte „Sommario“, eine lange und systematische offizielle Zusammenfassung der ungefähr 300 Folios (= 600 Seiten), welche die Abschriften der vollständigen Verhandlungen in Rom bis etwa 1598 waren. Wir besitzen darüber hinaus zahlreiche weitere individuelle Dokumente, einschließlich der Exzerpte der zensurierten Lehrsätze aus Brunos Büchern, und eine teilweise Kopie der Sententia von 1600. Die meisten dieser Dokumente sind in Luigi Firpos wertvollem Buch Il Processo di Giordano Bruno (1993) abgedruckt.

Professor Finocchiaro hielt fest, dass unter den Dutzenden von bekannten Anschuldigungen gegen Bruno die Fragen zu Hermetik oder Zauberei nur in drei Anklagen auftauchen: dass er Zauberkünste praktiziert habe, und dass er angeblich fälschlicherweise glaubte, dass Jesus und Moses Zauberei praktiziert hatten. Solche Anklagen hielten jedoch nicht stand, weil Bruno ihnen umgehend und vehement widersprach.

Entgegen Frances Yates’ sehr einflussreicher Meinung waren Fragen zu Hermetik und Magie von zweitrangiger Bedeutung bei Brunos Verhandlung.

Weshalb brachten die Römer Bruno um?

Weshalb also brachten die Römer Bruno um? Im Jahr 2014 behauptete der Inquisitionshistoriker Thomas Mayer, man wisse es nicht. Er gab zu: “Es ist schlicht so, dass wir nicht wissen, weshalb er hingerichtet wurde.” (Mayer 2014, 124)

Ich habe die Primärquellen unterdessen systematisch analysiert. In Brunos siebenjährigem Prozess habe ich 54 unterschiedliche Anklagen identifiziert. 39 davon zähle ich zum Typ A, nach denen er angeblich vom Katholischen Dogma und kirchlichen Bräuchen abwich, auch Blasphemie gegen Gott, Christus, die Jungfrau Maria, die Propheten, die Kirchenväter usw. zähle ich dazu. Die 15 anderen Anschuldigungen, die ich Typ B nenne, drehten sich um Brunos philosophische Ansichten über Seelen, Ursubstanzen und Welten, einschliesslich der Erde.

Historiker haben angenommen, dass die schlimmsten Anschuldigungen unter den Typ A zugerechneten Anklagen zu finden seien: Übergriffe wie die von Bruno angeblich in Frage gestellte Transsubstantiation oder die Jungfräulichkeit Marias. Als ich jedoch die Beweise für jede der 54 Anschuldigungen gegen Bruno analysierte, fand ich etwas Erstaunliches heraus. Die Argumentation gegen Bruno, was Typ A betrifft, stellte sich als schwach heraus, während die Argumentation in Bezug auf Typ B sehr stark war.

Zu jener Zeit war die Römische Inquisition eine höchst verfahrensorientierte und bürokratische Institution. Um jemanden hinzurichten, stützte sie sich auf bestimmte Abläufe; Hörensagen reichte nicht aus. Beispielsweise war Bruno angeklagt, die Jungfräulichkeit Marias anzuzweifeln, aber nur ein Zeuge machte diese Anschuldigung: Giovanni Mocenigo, in Venedig. Niemand bestätigte sie. Als die venezianischen Inquisitoren Bruno damit konfrontierten, antwortete er, dass er sich nie gegen die Jungfräulichkeit Marias ausgesprochen habe, und dass Maria Jesus sicherlich durch das Wunder des Heiligen Geists empfangen habe. Bruno hat die Jungfräulichkeit Marias auch in seinen zahlreichen Büchern nicht in Frage gestellt. Während des siebenjährigen Prozesses klagten die Inquisitoren in Rom Bruno nicht der Leugnung der Jungfräulichkeit Marias an. Sie warfen ihm Anderes vor.

Ähnlich behaupteten einige Historiker, dass eines von Brunos grossen Verbrechen die Infragestellung der Transsubstantiation gewesen sei, also dass das Brot während der Zeremonie der Eucharistie zum Leib Christi werde. Drei Zeugen beschuldigten ihn dessen: Mocenigo, Francisco Gratianus (der Francisco Vaia zitierte) und Matteo de Silvestris. Das klingt ernst, aber ich möchte hier sieben Einsprüche erheben, sieben Gründe für das Gegenteil.

Erstens waren Gratianus, Vaia und Silvestris alles Gefangene in Venedig und deshalb kaum so glaubwürdig wie Mocenigo. Zweitens dementierte Bruno die Anklage der Leugnung der Transsubstantiation während der Befragung, indem er sagte: „Ich habe nicht an diesem Sakrament gezweifelt.” (Firpo 1993, 265) Drittens stritt er die Transsubstantiation in seinen Büchern nicht ab. Viertens sagte er, dass er Kommunion feiern wolle.

Fünftens war es in Rom zu jener Zeit nicht strafbar, die Transsubstantiation abzustreiten. Gaspar Schoppe war anwesend bei Brunos Verurteilung; er wohnte im Palast des obersten Inquisitors in Brunos Verhandlung, Kardinal Lodovico Madruzzo. Schoppe war ebenfalls anwesend, als Bruno bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. In einem Brief, in dem er diese Ereignisse beschrieb, bemerkte Schoppe, dass ein paar Laien fälschlicherweise glaubten, „ein Lutheraner“ sei verbrannt worden. Er erklärte jedoch, dass Lutheraner und Calvinisten in Rom nicht wirklich in Gefahr schweben würden, weil der Papst angeordnet hatte, dass sie mit ausserordentlicher Höflichkeit behandelt werden sollten. Lutheraner wie Calvinisten stritten die Transsubstantiation ab, beide auf ihre eigene Art. Weshalb sollte Bruno verbrannt werden, weil er die Transsubstantiation abstritt, wenn er sie doch gar nicht abstritt und es darüber hinaus doch gar nicht strafbar war?

Historiker und Schriftsteller hatten einen weiteren ersichtlichen Grund anzunehmen, dass einer von Brunos grössten Übergriffen derjenige der Leugnung der Transsubstantiation war. Die Frage der Transsubstantiation taucht nämlich in der Verurteilung der Inquisition (der Sententia) aus dem Jahr 1600 auf. Dieses Dokument ist jedoch unvollständig; es ist lediglich eine teilweise Kopie von Brunos Schlussurteil. Unglücklicherweise lässt es Material mit einem „etc.“ aus. Es war in solchen Kopien des Urteils der Inquisition, die dem Herrscher von Rom übergeben wurden, üblich, die Liste der Anschuldigungen der Inquisition wegzulassen. Das Dokument enthält einen kurzen historischen Bericht darüber, wie Bruno im Gefängnis endete, und es spezifiziert, dass Bruno durch Mocenigo (einem bloßen Laien) in Venedig denunziert wurde, einschliesslich Anschuldigungen wie „dass Ihr gesagt hattet, es sei eine grosse Blasphemie zu sagen, dass das Brot sich in Fleisch wandle, etc.“ (Firpo 1993) Dies war die erste von 21 Anschuldigungen von “vor acht Jahren” von Mocenigos noch vorhandener Liste aus dem Jahr 1592, wie in der Sententia beschrieben; diese unvollständige Kopie der Sententia erwähnt keine anderen anfänglichen oder späteren Anschuldigungen, weil das Dokument nach dem Wort „etc.“ abgetrennt worden ist.

Dann erwähnt die Kopie “diese acht Aussagen”, mit denen eindeutig die acht ketzerischen Aussagen gemeint sind, die Kardinal Bellarmin im Jahr 1599 formuliert hatte. Mein sechster Einwand lautet also, dass die Verschmelzung von Mocenigos anfänglichen Anschuldigungen von 1592 mit Bellarminos offizieller Liste der acht Ketzereien von 1599 Schriftsteller wie zum Beispiel Ingrid Rowland zu der falschen Schlussfolgerung brachten, Bruno sei unter anderem deshalb umgebracht worden, weil er die Transsubstantiation ablehnte. (Rowland 2008, 259) Warum sollte der herausragende Theologe und Inquisitor Bellarmin lediglich die Anschuldigungen des Laien Mocenigo nachplappern? Dies ist ebenfalls deswegen ein Fehler, weil (so mein siebter Einwand) wir eine Primärquelle aus dem Jahr 1599 besitzen, die die allererste Anschuldigung von Bellarminos Liste detailliert, und es ging dabei nicht um Mocenigos Behauptung der Abrede der Transsubstantiation. Die Quelle erörtert: „prima videlicet, ubi de haeresi Novatiana.” (Firpo 1993, 324) Die sogenannte novatianische Ketzerei drehte sich nicht um die Transsubstantiation; es ging entweder um die Behauptung, dass die Kirche gewisse Sünden nicht vergeben konnte, oder um Bischof Novatians Verwechslung des Heiligen Geistes mit etwas Geschaffenem, wie etwa der Luft, wie es die Historikerin Lucia Boschetti 2006 beschrieb.

Aber zurück zum Hauptargument: Die Beweise bringen mich zu dem Schluss, dass Fragen wie die Transsubstantiation oder die Jungfräulichkeit Marias keine grosse Rolle in Brunos Prozess spielten.

Das Problem mit den unzähligen Welten

Schoppe berichtete, dass Bruno etwas viel Schlimmeres als ein Lutheraner sei, ein “Monster”, der Meinungen der alten Philosophen vertrat und lehrte. Diejenige Lehre darunter, die Schoppe als erste aufführte, war die der „unzähligen Welten.“ (Schoppe 1600, 34)  

Bei meiner Analyse der 54 Anschuldigungen gegen Bruno stellte ich überraschenderweise fest, dass es sehr viel mehr Beweise für diese Anschuldigung gab als für irgend eine der anderen. Ich werde die Beweise gleich prüfen, muss aber zuerst den wichtigsten Punkt darlegen: Ich habe entdeckt, dass, entgegen den Eindrücken der Historiker, Brunos Glaube an zahlreiche Welten offiziell als ketzerisch galt.

Vor Jahrzehnten hatten nur wenige Historiker, so zum Beispiel Michael Crowe, festgestellt, dass der Glaube an zahlreiche Welten im Jahr 384 n. Chr. durch den Heiligen Filastrius als ketzerisch klassifiziert worden war. Ich war erstaunt, als ich dies herausfand. Darüberhinaus wurde diese Klassifikation im frühen 5. Jahrhundert durch den Heiligen Hieronimus und den Heiligen Augustinus wiederholt, dann nochmals durch den Heiligen Isidor um 620 n. Chr. Daraus folgte freilich noch nicht, dass es Jahrhunderte später immer noch als Ketzerei galt.

Ich entdeckte jedoch, dass zu Brunos Zeit Abhandlungen über Ketzerei auch den Glauben an viele oder unendlich viele Welten enthielten, selbst noch in den 1590er Jahren. Und ich entdeckte darüberhinaus den überaus wichtigen Punkt, dass der Corpus des kanonischen Rechts von Papst Gregor XIII. „der Ansicht unzähliger Welten zu sein“ als Ketzerei aufführt (Gregor 1591, 877) Der Corpus wurde erstmals 1582 veröffentlicht und 1591 erweitert, und er war der Katholische Kodex bzw. das Katholische Gesetz, das alle kirchlichen und inquisitorischen Gerichte bestimmte.

Historiker und Schriftsteller hatten angenommen, dass Brunos kosmologische Ansichten – dass Planeten Welten wie die Erde seien und dass Sterne solare Planetensysteme wie das unsere seien – nicht als Ketzereien gezählt werden. Er verteidigte keinen esoterischen Glauben an immaterielle Welten; stattdessen nahm er Bestandteile dessen an, was heute zu unserer Kosmologie zählt: unser azentrisches Universum hat unzählige Sonnen, die von Planeten umkreist werden, darunter sogar solche, die unserer bewohnten Erde ähnlich sehen könnten.

Es stellte sich nun heraus, dass sein Glaube an diese “unzähligen Welten”, wie er sie wiederholt nannte, eine Ketzerei im wörtlichen Sinne darstellte. Viele tote und lebende Autoritäten hatten sie denunziert, darunter auch Theologen, Juristen, Bischöfe, ein Kaiser, drei Päpste, fünf Kirchenväter und neun Heilige. (Martinez 2016, 358)

Warum aber gab es damit ein Problem?

Weshalb? Weil sie der wörtlichen Interpretation der Schöpfungsgeschichte widersprach, und anscheinend zu schrecklichen theologischen Absurditäten führte. Theologen erklärten: “wir können nicht annehmen, dass zwei oder viele Welten existieren, weil wir auch nicht annehmen, dass zwei oder viele Christusse existieren.“ (Ricchieri et al. 1556, 715)

Vollkommen anders als die falschen Anschuldigungen wie zum Beispiel zu Christus oder zur Jungfrau Maria vertrat Bruno tatsächlich den Glauben an viele Welten in seinen Büchern. Er vertrat diesen in mindestens neun seiner Bücher. Bruno leitete die Existenz dieser Welten von Gottes Allmacht ab: Durch seine unendliche Macht schuf Gott zahllose Welten. Mehr als das Kopernikanische heliozentrische Universum sieht Brunos viel größere Sicht des Kosmos der unseren ähnlich: Die Sterne sind Sonnen. Und dies rührte sowohl aus astronomischen als auch aus religiösen Annahmen her.

Von 1595 bis 1596 untersuchten die Konsultoren der Inquisition Brunos Bücher, bis sie zehn Aussagen auswählten, die sie zensierten. Eine dieser zehn Zensuren lautete: “Erneut postuliert er viele Welten, viele Sonnen, die notwendigerweise ähnliche Dinge von Arten und Spezies enthalten wie in dieser Welt, und sogar Menschen, wie in Folio 139 und dem nachfolgenden langen Exkurs.“

Danebst beschuldigten ihn während seiner Verhandlung sechs Zeugen, dass er an viele Welten glaube, dreizehn Mal, in zehn Aussagen. Keine andere Anschuldigung wurde auch nur halb so oft vorgebracht. Es war der am meisten wiederkehrende Anklagepunkt. Ein Zeuge der Anklage sagte beispielsweise aus, dass Bruno im Gefängnis einen Mithäftling eines Nachts “ans Fenster brachte und ihm einen Stern zeige und sagte, dass dies eine Welt sei und dass alle Sterne Welten seien.”

Damit eine Anschuldigung formell als Ketzerei galt, brauchten die Inquisitoren ein Geständnis: eine selbstbelastende Aussage, die zeigt, dass der Angeschuldigte absichtlich etwas behauptete, dass der kirchlichen Doktrin widersprach; ansonsten konnte der Angeklagte den Übergriff zu leicht widerrufen. In mindestens vier Aussagen jedoch weigerte sich Bruno, seine Aussagen zu widerrufen: in seiner dritten Aussage (1592 in Venedig), in der zwölften (1593 in Rom), der vierzehnten (ebenfalls 1593), und der siebzehnten (um 1598). Er bestand wiederholt darauf: Die Erde ist ein Stern (ein archaischer Ausdruck für jeden Himmelskörper), und die Sterne beinhalten unzählige Welten.

Im Jahr 1597 wurde Bruno mit Inquisitoren und ihren Konsultoren konfrontiert, einschliesslich des respektablen Theologen Roberto Bellarmin. Der Bericht der Inquisition beschreibt dieses Treffen wie folgt: Bruno „wurde ermahnt, seine Wahnvorstellungen verschiedener Welten abzulegen.“ (Firpo 1993, 244) Eine Ermahnung war eine ernste disziplinarische Massnahme. Neunzehn Jahre später ermahnte Inquisitor Bellarmin Galileo Galilei. In einem Buch aus dem Jahr 1594 mit dem Titel Über die Notwendigkeit der Vorsicht bei der Lektüre Heidnischer Philosophen hatte Bellarmin gewarnt, dass “gewisse Katholiken, die an einem wachsenden heidnischen Sinn zu viel Gefallen finden, zensiert werden sollten, indem man den Autor ermahnt.” (Crispo 1594, xi)

Und erneut konfrontierten die Inquisitoren Bruno mit seinen Ansichten über viele Welten: “Zu dieser Antwort wurde er in der siebzehnten Aussage befragt, scheint aber nicht zufriedenzustellen, weil er auf dieselbe Antwort zurückfiel.” (Firpo 1993, 269) Gemäß den inquisitorischen Handbüchern galt ein Rückfall als ketzerisch. Demnach war Giordano Bruno ein Ketzer.  

Kosmologische Konflikte

Gleich nach Brunos Hinrichtung schrieb Gaspar Schoppe zwei Briefe darüber und schrieb darin über Brunos Glauben an viele Welten nicht nur einmal, sondern viermal. Schoppe schrieb, dass “die Lutheraner weder solche Dinge lehren noch an sie glauben, und deshalb anders behandelt werden sollten. Ich stimme dir zu, & genau deshalb verbrennen wir [Katholiken] keine Lutheraner.“ (Schoppe 1600, 34) Die eindeutige und direkte Folgerung ist, dass Bruno für seine heidnischen philosophischen Lehren verbrannt wurde, von denen Schoppe an erster Stelle Brunos Glauben an viele Welten aufführte. Schoppe gebrauchte also den genauen Wortlaut, der auf Latein als Ketzerei beurteilt worden war: “mundos esse innumerabilis.”

Bruno wurde aufgrund mehrerer ketzerischer Ansichten verurteilt, aber diejenige über vielfache Welten war die stärkste Anklage gegen ihn. Es gibt aber weitere Hinsichten, in denen sich die Anschuldigungen gegen Bruno mit Kosmologie überschnitten.  

Die Inquisitoren verurteilten ihn nicht, weil er an Kopernikus glaubte. Brunos Glaube an die Erdbewegung verärgerte sie trotzdem sehr. Im Jahr 1596, als die Konsultoren der Inquisition zehn Aussagen in Brunos Büchern zensierten, lautete eine davon, dass sich die Erde bewegte. Genau zwanzig Jahre später, im Jahr 1616, ermahnte derselbe Geistliche, Bellarmin, Galileo offiziell für diesen Glauben. Drei weitere Mitglieder der Inquisition, die Galileos Übergriffe beurteilten sollten, waren ebenfalls an Brunos Prozess beteiligt gewesen.

Brunos Glaube an die Bewegung der Erde war keine Ketzerei, wurzelte jedoch in Ketzereien. Erstens war es eine Konsequenz seines Glaubens, dass die Sterne (Himmelskörper) Welten sind. Weil die Erde ein solcher Stern ist, und alle Sterne sich bewegen, bewegt sich auch die Erde. Zweitens basiert die Ketzerei auf der Vorstellung, dass die Erde ein Lebewesen ist, eine Art Tier, dass sie eine Seele hat und sich deshalb bewegt. Diese Art von Glauben war indirekt als Ketzerei denunziert worden, für Himmelskörper im allgemeinen, gemäß dem Bischof von Paris, Etienne Tempier, im Jahre 1277: “dass die Himmelskörper durch ein grundlegendes Prinzip, welches die Seele ist, bewegt werden, und dass sie durch eine Seele und eine begehrungsfähige Macht bewegt werden, wie ein Tier.” (Tempier 1277, 184)

Noch wichtiger ist aber, dass Bruno glaubte, dass die Erde und das Universum durch eine universelle Seele belebt werden, die anima mundi. Dies galt als Ketzerei, falls der Angeschuldigte behauptete, dass die Seele der Welt der Heilige Geist sei. Und Bruno sagte seinen Inquisitoren genau dies. Im Jahr 1139 hatte Wilhelm von Saint-Thierry Peter Abelard für seinen Glauben, “dass der Heilige Geist die Seele der Welt ist” als eine von dreizehn Ketzereien denunziert, “monströse Doktrinen”, die bestätigt und verurteilt wurden durch Papst Innozenz II. Demnach erwähnten manche inquisitorischen Handbücher sogar zu Brunos Zeiten diese Ketzerei; zum Beispiel spezifizierte eine Kriminalistische Abhandlung über alle Ketzereien, veröffentlicht 1590 in Venedig, dass es eine Ketzerei ist, zu „behaupten, dass der Heilige Geist die Seele der Welt ist, wie Peter Abelard es gelehrt hat.“ (Deciani 1590, 236)

Und dies ist, was Bruno seinen Inquisitoren in Venedig sagte: “Was den Heiligen Geist angeht, deute ich ihn als Seele des Universums.“ Diese Worte wurden genau so in Rom zitiert, als die Inquisitoren das Sommario für Brunos Prozess vorbereiteten. Auch da wurde er darüber befragt und fiel in jene Ketzerei zurück: “Was diese Antworten von ihm angeht, wurde er [erneut] in der 17. Deposition, Folio 257, befragt, wo er dieselben Antworten bekräftigte, in die er nun zurückfällt.“

Schluss

Als ich zum ersten Mal, vor vielen Jahren, von Giordano Bruno hörte, wurde er als exzentrischer Nicht-Wissenschaftler dargestellt, der von der Kirche hingerichtet wurde, weil er wiederholt katholische Grundsätze ablehnte, die mit Astronomie nichts zu tun hatten. Diese alte Geschichte hatte einen Zweck: Wissenschaft von Unsinn zu trennen, und sie hielt fest, dass Bruno nicht aufgrund seiner Naturphilosophie starb, sondern durch seine Aufmüpfigkeit.

Das historische Beweismaterial unterstützt jedoch eine andere Lesart. Brunos kosmologische Ansichten über das Universum, die Sterne, die Planeten und die Erde brachten ihn in der Tat in Schwierigkeiten. Er wusste offenbar nicht, dass der Glaube an viele Welten als ketzerisch galt, so wie es Wissenschaftshistoriker Jahrhunderte später es auch nicht mehr wussten.

Alberto A. Martinez
Veröffentlicht im Februar 2019

(Übersetzung: Markus Isch, Andreas Losch)

Diesen Leitartikel bieten wir auch im englischen Original an.

 

Boschetti, Lucia. (2006) ‘Sul processo di Giordano Bruno: indagini attorno all’eresia Novaziana’ in Rinascimento: Rivista dell’Istituto Nazionale di Studi sul Rinascimento, 2nd ser., 46, S. 93–130.

Crispi, Io. Baptistae. (1594) De ethnicis philosophis caute legendis disputationum. Rome.

Crowe, Michael J. (1986), The extraterrestrial life debate 1750-1900: The Idea of a Plurality of Worlds from Kant to Lowell. Cambridge: Cambridge University Press.

Deciani, Tiberio. (1590) Tractatus criminalis omnium hæresum, Vol. 1. Venice: Franciscum de Franciscis Senensem.

Dick, Steven J. (1982) Plurality of worlds: the origins of the extraterrestrial life debate from Democritus to Kant. Cambridge: Cambridge University Press.

Finocchiaro, Maurice. (2002) ‘Philosophy versus Religion and Science versus Religion: the Trials of Bruno and Galileo’ in Gatti, Hilary (Hg.) Giordano Bruno: philosopher of the Renaissance. Burlington: Ashgate, S. 51-85.

Firpo, Luigi. (Hg.) (1993) Il proceso di Giordano Bruno. Rome: Salerno Editrice.

Gregory XIII, Hg. (1591) Corpus iuris canonici emendatum et notis illustratum: Gregorii XIII. Pont. Max. 3rd ed. Additions by P. Lanceloti. Lyon.

Herbermann, Charles G. (1907) The Catholic encyclopedia, Vol. 3. New York: Robert Appleton.

Tempier, Étienne. (1277) ‘Sequuntur errores annotati in rotulo, 1277’ in Klima, Gyula, et al. (2007) Medieval Philosophy: Essential Readings. Malden, MA.

Martinez, Alberto A. ‘Giordano Bruno and the Heresy of Many Worlds’ in Annals of Science, 73/4 (2016), S. 345-74.

Mayer, Thomas F. (2014) The Roman Inquisition on the stage of Italy c. 1590-1640. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.

Mercati, Angelo. (Hg.) (1942) “Il Sommario del Processo di Giordano Bruno” in Studi e Testi, Biblioteca Apostolica Vaticana. Vol. 101. Vatican City.

Ricchieri, Ludovico, et al. (Hg.) (1556) Haereseologia. Basel: Henrichum Petri.

Rowland, Ingrid. (2008) Giordano Bruno: Philosopher/Heretic. New York: Farrar, Straus and Giroux.

Schoppe, Gaspar. 17 February 1600. ’Epistola, in qua haereticos jure infelicibus lignis cremari concludit’ in Pázmány, Péter. Machiavellizatio. Zaragosa: Didacus Ibarra (1621), S. 30-35.

Spruit, Leen. (2002) ’Una rilettura del processo di Giordano Bruno: procedure e aspetti giuridico-formali’ in Giustiniani, P., et al. (Hg.). Oltre il mito e le opposte passioni. Naples: Biblioteca Teologica Napolitana.

Saint­-Thierry, William of, letter to the Bishop of Chartres and the Abbot of Clairvaux (1139), in LeClercq, Jean. (1987) Receuil d’études sur Saint Bernard et ses écrits, Vol. IV. Rome: Storia e letteratura.

Yates, Frances. (1964) Giordano Bruno and the Hermetic tradition, Vol. 2. London: Routledge & K. Paul.

Bildnachweis
Giordano Bruno, Illustration in: Neue Bibliothec, oder Nachricht und Urtheile von Neuen Büchern. Frankfurt und Leipzig, 1715. S. 622, fig. 38 (c) Wikimedia Commons
Cover von Firpo, Luigi. (ed.) (1993) Il proceso di Giordano Bruno. Rome: Salerno Editrice.
Giordano Bruno vor der Inquisitionskommision. Historisierendes Relief von Ettore Ferrari (1848–1929) (c) Wikimedia Commons
Artist's impression of how commonly planets orbit the stars in the Milky Way (c) ESO/M. Kornmesser - http://www.eso.org/public/images/eso1204a/
Beginn des Buches Genesis aus der King James Bibel. #28996290 (c) Fotolia.com | habari

Der Fall Bruno in (altem) neuen Licht

Überzeugen Sie die Argumente von Alberto A. Martinez, dass die Katholische Kirche Giordano Bruno wegen astronomischer Ansichten verurteilt hatte? Was sagt das Ihrer Ansicht nach über das Verhältnis von Wissenschaft und Religion aus?

Kommentare (7)

  • Berta M Moritz
    Berta M Moritz
    am 13.02.2019
    Beide in Gruppe B aufgeführten Claims werden nicht aufgrund kosmologischer oder naturwissenschaftlicher Implikationen als Häresie aufgefasst, sondern aufgrund der tiefen theologischen Bedeutung: bei den Vielen-Welten geht es um die Frage, ob Christus dann einmal oder 2x oder noch öfter als Wort Gottes inkarniert wurde. Andere vor ihm, zB Bischof Grosseteste im mittelalterlichen England haben auch mit Vielen-Welten hypothetisiert, und zwar in streng kosmologischem Kontext. Natürlich gab es da noch keine Inquisition, aber durchaus kirchliche Verurteilungen.

    Was wohl theologisch noch schwerer als Häresie wiegt, ist, den Hl. Geist als Anima mundi zu sehen. Auch dies ist eigentlich ein Claim der Kategorie A und deutlich gnostisch.

    Ich sehe also keine Veränderung der Sachlage. Er ist nicht der "Märtyrer der Naturwissenschaften", zu dem er gerne von manchen hochstilisiert wird (man denke an die Neuauflage der TV Show Cosmos).
    • Eli Schalom
      Eli Schalom
      am 14.02.2019
      >>Ich sehe also keine Veränderung der Sachlage.<<

      Doch, ich denke wohl, zwar nicht in die entgegengesetzte andere Richtung, ( man muss ihn also nicht zum Märtyrer einer der beiden Seiten hochstilisieren) aber eben in die Richtung, dass BEIDES stimmt. Was für uns Menschen immer die schwierigste Richtung zu sein scheint.

      Er ist ein Märtyrer der Naturwissenschaften UND der Theologie. Das lässt sich nun wirklich grundsätzlich nicht mehr trennen.

      Wenn eine naturwissenschaftlich neue Erkenntnis die Interpretation der Botschaft Jesu in einer traditionellen Glaubensdoktrin in Frage stellt, dann müssen immer beide Seiten schauen, wo sie falsch liegen könnten. Denn irgendwo liegen sie falsch. Und man tut gut daran, das Ergebnis zugunsten der anderen Seite immer offen zu halten. ( …ist auch eine Weise der von Jesus im „Neuen Gebot“ geforderten gegenseitigen Liebe, hier halt auf wissenschaftlicher Ebene.. ) Ob wir es wollen oder nicht, die beiden Perspektiven und zugehörigen Disziplinen lassen sich nicht mehr trennen.

      Die viele Welten Lehre bräuchte heute für die kath. Theologie überhaupt kein Problem mehr sein.
      Das wirft weder die Lehre der Kath. Kirche aus den Angeln, schon gar nicht torpediert es die Botschaft Jesu. Sie bedarf ‚nur‘ einer in diesem Sinne zeitgemäßen Interpretation. Und die ist in einer Weise möglich, wie es für uns alle befreiend sein wird.

      https://www.facebook.com/Forum.Naturwissenschaft.Theologie/posts/
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    • Eli Schalom
      Eli Schalom
      am 14.02.2019
      PS:
      Den Satz vergaß ich:
      Wenn eine naturwissenschaftlich neue Erkenntnis eine traditionelle Glaubensdoktrin in Frage stellt, und die Kirche dann diese neue Erkenntnis als Ketzerei aburteilt, dann ist die Auswirkung auf BEIDE Disziplinen und der Ursprung in beiden doch offenkundig. Beide werden behindert, weil beide betroffen sind.
    • Alberto Martinez
      Alberto Martinez
      am 17.02.2019
      The notion of many worlds and the notion of the anima mundi were both offensive as theological claims. However, Bruno wrote them as philosophical claims about nature: the Earth, stars, and the universe. And he repeatedly stated that he was "reasoning as a philosopher," that he was not making theological arguments to challenge or undermine Catholicism. Back then, Bruno still believed that the Renaissance had created room for philosophers to more freely discuss ancient opinions and to defend them as philosophically sensible statements. But to the Inquisitors, he had plainly and repeatedly asserted heresies, even in books, especially that innumerably many worlds exist. In the 16th and 17th centuries I think of observational astronomy as the kind of work done by Tycho Brahe with his instruments and Galileo with his telescope. Mathematical astronomy is what Kepler did. But still, Bruno, Kepler, Galileo also worked on trying to figure out cosmology: the large scale structure of the universe. Bruno was not a martyr for mathematical astronomy but for cosmology: his beliefs about stars, Earth, and the universe, led to his execution. (And this is not what historians have claimed for decades.)
  • Alfred Robnik
    Alfred Robnik
    am 22.02.2020
    Einige Ergänzungen zur Schlussfolgerung im Leitartikel:

    „BRUNOS kosmologische Ansichten über das Universum [mit unzähligen Welten, wie unsere Erde, mit Menschen, gleich uns], die Sterne, die Planeten und die Erde brachten ihn in der Tat in Schwierigkeiten, [denn die unsterbliche intelligente Geist-Seele des irdischen Menschen ist kein Produkt der Evolution, sondern ein Geschenk GOTTES, speziell und einmalig für jeden Menschen. Allein nur auf unserer Erde ist GOTT in JESUS CHRISTUS für uns Mensch geworden, um uns aus dem Tod und aus diesem, vom Tod bestimmten Universum zu ‚erlösen‘ und zu befreien]. Er wusste offenbar nicht, dass der Glaube an viele Welten [auf denen Menschen leben sollten, die gleich uns der Erlösung bedürfen] als ketzerisch galt [gilt auch heute noch als nicht mit dem Glauben der Kirche übereinstimmend], so wie es Wissenschaftshistoriker Jahrhunderte später es auch nicht mehr wussten.“

    Anmerkung dazu: Mit den Ergänzungen im Text wird nicht bestritten, dass es Sterne mit erdähnlichen Planeten gibt. Niemand aber behauptet, dass auf diesen Planeten sterbliche Menschen mit einer unsterblichen Seele lebten, gleich uns, die der Erlösung bedüftig wären, gleich uns – außer vielleicht Giordano BRUNO.
  • Pierre Leich
    Pierre Leich
    am 06.04.2021
    Ich empfinde es außerordentlich wohltuend, wie auf dieser Seite immer wieder Themen gegen den Strich gebürstet werden. Diesmal muss ich dennoch sagen, dass mich die Argumentation zu Bruno nicht überzeugt.

    Der entscheidende Punkt scheint mir, dass Bruno deswegen kein Märtyrer der Naturwissenschaften sein kann, weil er kein Naturwissenschaftler war und sich mit naturwissenschaftlichen Themen nicht in unserem Sinne substanziell beschäftigt hat. Er legt keinen Wert auf Beobachtungen und sieht keinen Nutzen in der mathematischen Methode. Sein Copernicanismus war Schwärmerei und seine Annahme unzähliger Welten war jenseits von allem, was zu dieser Zeit auch nur annähernd als wissenschaftlich zu bezeichnen wäre. Freilich führen seine unzähligen Welten theologisch zu den gleichen Problemen, wie man sie vorher schon mit Antipoden (im Sinne von Menschen an den gegenüberliegenden Orten) hatte.

    Der Heliozentrismus als eine wissenschaftlich begründete oder zu begründende – auf jeden Fall begründbare – Weltsicht hat m.E. für Bruno keine Rolle gespielt. Insoweit laufen alle Unterstellungen, der Inquisition wäre es um die Unterdrückung dieser Lehre gegangen, ins Leere. Die Haltung des Vatikans zum Copernicanismus findet sich in den Briefen von Kardinal Roberto Bellarmin an Piero Dini und insbesondere an Paolo Antonio Foscarini, wo er feststellt “… wenn es einen wirklichen Beweis dafür gäbe, dass die Sonne im Zentrum des Universums ist, dass die Erde in der dritten Sphäre ist und dass die Sonne sich nicht um die Erde bewegt, sondern die Erde um die Sonne, dann müssten wir bei Auslegung von Stellen der Schrift, die das Gegenteil zu lehren scheinen, die größte Umsicht walten lassen und lieber sagen, wir verständen sie nicht, als eine Anschauung für falsch erklären, die als wahr bewiesen wurde. Ich bin indessen der Meinung, es gäbe keinen solchen Beweis, da mir keiner vorgelegt wurde.“ Zu dieser Zeit war es in der Tat noch nicht möglich zu sagen, wie ein Beweis aussehen könnte bzw. die erfolgreiche Bestätigung lag weit in der Zukunft. Die erste halbwegs zuverlässige Bestimmung der Fixsternparallaxe (an 61 Cygni im Sternbild des Schwans) veröffentlichte Friedrich Wilhelm Bessel 1838, die Aberration des Lichts entdeckte James Bradley 1728 und 1687 erschien Newtons Konzeption der Gravitation. Das Beste zur Zeit von Galilei wäre das dritte Kepler’sche Gesetz gewesen, doch leider nahm Galilei von Kepler nur unzureichend Notiz.

    Es hätte auch keines Dekrets von 1616 bedurft, wenn der Copernicanismus im Jahr 1600 theologisch kritisch gewesen wäre. Liest man das Dekret aufmerksam, wird man feststellen, dass Copernicus nicht verboten, sondern suspendiert wurde. Selbst im Urteil gegen Galilei von 1633 findet sich nur „der Ketzerei verdächtig“. Natürlich war der Heliozentrismus literal „schriftwidrig“, aber das ist etwas anderes als ketzerisch. Ich sehe daher keinen Anlass für eine Neubewertung der Causa Bruno, freue mich aber, dass Ihnen an munteren Diskussionen liegt.
  • Alfred Robnik
    Alfred Robnik
    am 01.07.2021
    Meines Erachtens muss zwischen der kirchlichen Verurteilung der Thesen Giordano BRUNOS und seinem Strafurteil zum Feuertod unterschieden werden. Die These, dass es im Universum ‚Welten’ gäbe, gleich unserer Erde, mit Lebewesen, gleich uns Menschen, mit einer unsterblichen Geist-Seele, die wie wir Menschen dem Tod verfallen sind, und die in Konsequenz daher überall auch einen ‚Erlöser’ brauchen würden, wie wir, wurde von der Kirche im Prozess gegen Giordano BRUNO abgelehnt und als „nicht mit dem Glauben der Kirche vereinbar“ verurteilt. Seine zusätzliche Verurteilung zum Feuertod entsprach der damaligen Rechtslage, die jedoch nach unserem heutigen Rechtsempfinden mit Nichts gerechtfertigt werden kann. Dass wir heute dieses Urteil zum Feuertod ablehnen und verurteilen, rechtfertigt jedoch nicht eine gleichzeitige Ablehnung und Verurteilung des damaligen Entscheides der Kirche gegen Giordano BRUNOS These der ‚vielen Welten‘ als unberechtigt. Dieser Entscheid entsprach adäquaten Entscheide aus der kirchlichen Tradition, wie im Artikel dankenswert angemerkt worden ist.

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