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Zur Frage von Zeit und Ewigkeit
Ihr Verhältnis vor dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Zeitvorstellungen
Wie berühren sich Quantentheorie und Theologie?
fragt der Physiker Jürgen Audretsch
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Thomas Portmann
07.08.2018 19:12:09Selbstverständlich kann nicht nur mit Begriffen unserer Sprache über Quantentheorie gesprochen werden, sondern es wird faktisch nur mit Begriffen menschlicher Sprache darüber gesprochen, sowohl populär als auch fachlich, letzterenfalls sogar mit sehr weitgehender formaler und empirischer Bestimmtheit. Wäre es nicht so, so müßte man stammeln oder über sie schweigen. - Ähnliches gilt übrigens auch für die Theologie.
Ich sehe überhaupt nicht diesen Berührungspunkt bzw. diese Analogie zwischen Quantentheorie und Theologie, den Herr Audretsch sieht (Zusprechen einer Eigenschaft). Insofern teile ich wohl den Standpunkt von Frau Janssen.
Zurecht macht die Theologie einen Unterschied zwischen dem geheimen und dem offenbarten Willen Gottes. So schreibt etwa Luther in seiner Schrift "Vom unfreien Willen":
"Wir sagen, wie wir schon vorher gesagt haben, über den geheimen Willen der (göttlichen) Majestät dürfe man nicht disputiren, und die menschliche Vermessenheit, welche, wie sie ja immer verkehrt ist und das Notwendige anstehen läßt, sich stets daran macht und zu erforschen strebt (tentat), müsse davon abgehalten und abgezogen werden, damit sie sich nicht mit der Erforschung jener Geheimnisse der Majestät beschäftige, welche zu erlangen unmöglich ist, da sie „wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann“, wie Paulus bezeugt (1 Tim. 6,16.)."
Insofern der Mensch Gott außerhalb dessen begegnet, was er als Gottes selbstautorisierte Offenbarung begreift, begegnet er ihm autonom, letztlich mit autonomer Wissenschaft, z.B. als Philosoph oder als Naturwissenschaftler im Sinne Immanuel Kants. Ich verstehe das Augustinuszitat "Wenn du begreifst, ist es nicht Gott" als nur auf das autonome Begreifen des Menschen bezogen. - Es wäre absurd, das Zitat anders, also als auf Gottes in der Heiligen Schrift offenbartes Wort, zu verstehen, denn das würde bedeuten, Augustinus hätte gemeint, man könne Gesetz und Evangelium nicht mit oder in Gott begreifen, was einer Bankrotterklärung der christlichen Theologie gleichkäme, die von ihm sicher nicht intendiert war. Das Begreifen der Offenbarung Gottes im Sinne der christlichen Theologie (Gesetz und Evangelium) ist aber kein autonomes, sondern ein heteronomes Begreifen - das ist der Glaube. - Es ist mir schon klar, daß es "die christliche Theologie" nicht gibt, aber indem ich sie trotzdem bemühe, will ich eben sagen, daß sich hier die großen Denominationen offenbar sogar einig sind.
Es ist offensichtlich, daß in diesem Sinne nicht die autonome, sondern die heteronome Erkenntnis Gegenstand der Theologie ist, und daß sie sich nur ganz am Rande mit der Frage beschäftigt, inwieweit man Gott außerhalb seiner Offenbarung erkennen könne. In Wirklichkeit hat die Theologie, heteronom und basierend auf der durch Mose, die Propheten und die Apostel übermittelten Offenbarung, insbesondere über das Handeln Gottes in der einen Menschheitsgeschichte, in die unser aller Leben eingebettet ist, sehr viel über Gottes Eigenschaften zu sagen, denn genau das ist ihre eigentliche Aufgabe. Insofern redet sie nicht von einem eigenschaftslosen Gott, sondern ganz im Gegenteil von dem einen Gott, der Himmel und Erde, Sonne, Mond und alle Sterne geschaffen hat, von dem einen Gott Adams und Evas, Abrahams, Isaaks und Jakobs, von dem tatsächlichen Vater des vorher angekündigten Messias, der sich durch die messianischen Zeichen, die die Propheten vorhersagten, als solcher auswies, die Sünden der Menschheit vor zweitausend Jahren an einem römischen Galgen tilgte und danach von den Toten wieder auferstand, seine Schüler und Freunde tröstete und schließlich vor den Augen vieler Zeugen in einer Wolke verschwand - also von einem Gott, der sehr, sehr konkrete Eigenschaften hat, die kein Philosoph aus apriorischen Prinzipien herleiten kann, sondern im Gegenteil: die der Philosophie und Wissenschaft primitiv, dumm und unbefriedigend vorkommen, wie die Theologie selbst von Anfang an ohne Not feststellt.
Und die Theologie ist nicht gut beraten, wenn sie davon abweicht, so wenig, wie etwa die Physik gut beraten wäre, über Gott zu spekulieren, aus ihrer Sicht eine Entität, die sich ihrer Methoden (Messen, Zählen und Wiegen) absolut vollständig entzieht.
Das bedeutet jedoch nicht, daß die Theologie (fast) nichts darüber zu sagen hätte, was man von Gott außerhalb der o.g. Offenbarung erkennen kann. So heißt es bereits im Römerbrief, praktisch dem Urstück christlicher Theologie, daß die Menschen Gottes unsichtbares, ewiges Wesen und unmeßbar große Kraft schon aus seiner Schöpfung und sein souveränes Gesetz schon aus ihrem Gewissen erkennen können, was allein schon dafür hinreichend ist, daß sie keine Entschuldigung vor ihm haben. Letztere Tatsache würdigte ausgerechnet sogar Kant ("das moralische Gesetz in mir"), obwohl ja er es war, der der klassisch-orthodoxen evangelischen Theologie den letzten Todesstoß versetzte.
Das sind schon ziemlich wesentliche Eigenschaften Gottes, die ich als autonomer, auch mäßig bis saumäßig gebildeter Mensch jeden kulturellen Hintergrundes erkennen kann, ohne je mit Quantenmechanik und ohne je mit einer der drei großen monotheistischen Offenbarungsreligionen in Berührung gekommen zu sein.
Man könnte vielleicht einwenden, das sei doch eine zu unaufgeklärte, naive oder zu ideologisch gefärbte Sichtweise, weil sie ja eben doch einer bestimmten Schrift einer bestimmten Religion entnommen sei oder aus bestimmten Kulturkreisen stamme. - Aber muß es deshalb unrichtig sein? Wenn sich auch Generationen der wichtigsten Theologien über viele Epochen hinweg jedenfalls ungefähr darin einig sind (wenn sie sich ansonsten schon leider bis aufs Blut gegenseitig bekämpft haben) und wenn nicht einmal der große Zerschmetterer der klassischen evangelischen Theologie, der Vordenker des Wissenschaftsbegriffes und der klassischen Physik sich der Erkenntnis einiger ganz bestimmter Eigenschaften Gottes erwehren konnte?
Man muß allerdings einräumen, daß die Erkenntnis dieser letztgenannten wesentlichen Eigenschaften Gottes letztlich nicht durch die autonome Vernunft zustandekommt, auch wenn sie ohne Offenbarung auskommt und mithin jedem Menschen durch die Lebenswirklichkeit zugänglich ist. Daß die dafür verantwortlichen Erkenntnisgründe hinreichend sind, daß der Mensch vor Gott keine Entschuldigung hat, wie die Theologie sagt, ist eine Sache. Deswegen ist das, was sie sagt, noch nicht wissenschaftlich befriedigend. Das gilt nicht a priori. Das überzeugt nicht per se. Die Vernunft kann es auch anders sehen. Dementsprechend schreiben andere Weltreligionen Gott oder Göttern andere Eigenschaften zu als die letztgenannten. Aber deswegen sind die verschiedenen sich widersprechenden Aussagen auch nicht einfach gleichberechtigt. - Hier sehe ich vielleicht eine Analogie zur empirischen Wissenschaft: Die Aussagen müssen sich der Wirklichkeit stellen, wenn sie denn überhaupt dazu geeignet sind. Die, denen die Erfahrung widerspricht, müssen dann als falsch gelten.
Auf welcher Ebene läßt sich nun überhaupt ein Dialog führen? Und ist hier die Sprache der Quantenmechanik überhaupt eine Hilfe?
Das alttestamentliche Zitat der Antwort Gottes auf Moses Frage danach, wer er sei, "Ich bin, der ich bin", scheint mir eher irreführend als ideengebend zu sein. Denn diese Antwort ist nicht, wie Herr Audretsch andeutet, selbstreferenziell oder zirkelschlüssig zu verstehen, in dem Sinne, mehr könne man über Gott nicht sinnvoll sagen, sondern es handelt sich um ein Wortspiel: "Ich bin der „Ich bin“", womit sich der Antwortende als absoluter ontologischer Ur- und Bezugspunkt, als genau der offenbart, der im Römerbrief als der von allen Menschen erkennbare eine Schöpfer bezeichnet wird, nämlich der, der sich durch sein unvergängliches, unwandelbares und souveränes Wesen auszeichnet und von dem der Mensch zur Rechenschaft gezogen wird.
Aber gut, was bleibt denn übrig, wenn man das alles versucht zu ignorieren und Audretsch bis zu dem quasi gemeinsamen Nenner folgt, daß Gott eine Entität sei, die existiert, und der man ansonsten keine Eigenschaft zu- oder absprechen könne - in Analogie zu einem quantenmechanisch zu beschreibenden Teilchen, dem man z.B. (im Moment) keinen Ort zuschreiben kann, sondern nur die Tatsache, daß es da ist? - "Auf diese Kernaussage könnten sich viele Religionen verständigen." - Ja? Wie soll ich mir das denken? Kann ich mich als Christ darauf verständigen, daß Gott nicht Schöpfer dieser Welt ist? Oder das Christus nicht Gott ist? Wieso nenne ich mich dann eigentlich "Christ"? - Ach, ich habe etwas nicht verstanden: Auch die Eigenschaft, daß Gott nicht Schöpfer dieser Welt ist, kann ich Gott nicht zuschreiben. Verstehe...
Wenn ich nun doch mehr aussage, gerate ich in die Situation, daß ich mit einigen Aussagen, die gemacht werden (z.B. im Apostolischen Glaubensbekenntnis), übereinstimme, und anderen widerspreche. Das liegt offenbar in der Natur der Sache. - Ein "Dilemma" würde ich das jetzt nicht nennen. Im wissenschaftlichen Diskurs ist diese Situation das Tagesgeschäft.
Aber o.k. - Wie soll ich diesem "Dilemma", wenn es denn eines wäre, entgehen? Indem ich die den Widerspruch erregende Eigenschaft nicht Gott (der Entität), sondern eben der Tatsache, daß ich "der speziellen Offenbarung Gottes und dem Mittler dieser Offenbarung" glaube (der meßprozeßähnlichen Wechselwirkung), zuschreibe? Also ich entdecke bzw. konkretisiere Gott für mich, indem ich wie ein Christ glaube, und mein islamischer Nachbar entdeckt Gott für sich, indem er sich dem einen Allah unterwirft, dessen Prophet Muhammad ist?
Das Problem dieses Ansatzes ist, daß er sachlich nicht möglich ist. Der springende Punkt dabei ist, daß er die Glaubensinhalte entscheidend verändert.
Die speziellen Eigenschaften in der speziellen Offenbarung Gottes - wie ich z.B. glaube, der Bibel - z.B. daß Gott der Schöpfer ist, sind mit theologischer Notwendigkeit Eigenschaften Gottes, und nicht Eigenschaften meines Glaubens. Wäre es anders, dann würde ich nicht an Jesus Christus, sondern an meinen Glauben glauben. Es wäre dann nicht so, daß Christus ein für alle Mal eine ewige Erlösung erworben hätte (Hebr. 9,12), sondern daß ich mich durch meinen Glauben selbst erlöste (der Akt der Erwerbung geschähe nicht "ein für alle Mal", sondern exklusiv für mich, und zwar jetzt, und nicht vor 2000 Jahren). Allein wenn ich nur im Audretschen Sinne daran glaubte, daß Gott der Schöpfer sei, dann glaubte ich so, daß er es nur für mich sei. Aber dann glaubte ich eben tatsächlich nicht, daß er in Wirklichkeit der Schöpfer sei, zum Beispiel der Schöpfer unseres (auch meines Nachbars!) Mondes, sondern daß Gott es nur in meinem Glauben sei.
Herr Audretsch nennt auch keinen Grund, weshalb man einen solch bizarren Standpunkt annehmen sollte. Wodurch ist das herausgefordert?
Auch ist er nicht analog zu dem quantenmechanischen Beispiel, das er nennt. Denn nach dem Meßprozeß zum Ort hat das Teilchen tatsächlich den gemessenen Ort, nicht die Messung (der Meßprozeß hat keinen Ort). Auch für meinen Kollegen hat es den Ort, den ich gemessen habe.
Consequences of Quantum Theory
What follows for theology?
Aktueller Kommentar in der Diskussion zum Artikel:
Anna Ijjas
18.07.2012 13:56:37In the face of this situation, Polkinghorne argues for giving up the idea of both universal rationality and universal epistemology. However, the measurement problem only states that we do not understand the relation between quantum and classical phenomena. It is far from being evident why the lack of understanding in this particular case should be accepted as the norm for rationality simpliciter. Even if we stop asking "Why it is reasonable?", in order to accept an answer to the question "What makes you think that might be the case?", we still need a universal rule of discourse -- be it a pragmatic one.
On the other hand, giving up the idea of universal rationality has serious consequences for the interdisciplinary dialogue; if different fields of experience presuppose different kinds of rationality, the relation between science and religion might be more properly described in terms of a NOMA-like model à la Gould, implying -- in some cases -- radical incommensurability.
Therefore, instead of giving up the idea of universal rationality, I suggest that we recognize quantum theory as a challenge to reconsider our idea of universal rationality. That is to say, I suggest that we do not accept the apparent insolubility of the measurement problem, but continue to seek for understanding.
Konsequenzen der Quantentheorie
Was folgt für die Theologie?
Aktueller Kommentar in der Diskussion zum Artikel:
Reiner Groth
10.11.2012 22:27:59eine naturgesetzliche Verlässlichkeit entsteht, aber in den Mikrowelten die Phänomene statistisch zu beschreiben sind. In Wirklichkeit herrscht nirgendwo eine andere Logik als die von Freiheit und Ordnung; auch die Elementarakteure sind determiniert durch ihre eigene Natur oder Beschaffenheit, zugleich aber mit Spontaneität „begabt“ - wie alles Geschaffene.
Gibt es einen freien Willen?
Oder sollte man besser von der "Freiheit der Person" sprechen? Was meinen Sie?
Aktueller Kommentar in der Diskussion zum Artikel:
Ingo-Wolf Kittel
30.06.2013 21:24:16Da die Gedanken bekanntlich frei sind, können Si und denken Sie selbstverständlich, was Sie wollen; und weil wir Meinungsfreiheit haben, steht Ihnen genauso gut frei, die frei äußern.
Nur ob und ggf. welche Gründe Sie haben so zu denken wie und was Sie denken, haben Sie damit nicht auch schon gesagt.
Allerdings müsste das, was Sie denken, als erstes auf Sie selbst zutreffen. Dann bleibt mir nur zu schließen, dass Sie nicht anders können als Sie sind - um Singers schlechtes Deutsch weiter zu benutzen.
Dann sind auch im Weiteren von Ihnen sicher auch keine Argumente mehr zu erwarten...
Mit besten Grüßen in ihre Galerie! IWK
Heinz-Herrmann Peitz
04.04.2013 13:13:34